Zur Waage M.E.B., Leer

Ein ganzes Leben haben wir in Niedersachsen gelebt, aber nach Ostfriesland haben wir es seltsamerweise nie geschafft. Umso besser passte es da, dass es von unserer Station im niederländischen Groningen nur einen Katzensprung nach Leer war. Und in der Tat hat der Ort Charme, vor allem mit einer sehr schön am Wasser angelegten Promenade, die uns auch direkt „Zur Waage“ führt, dem ersten Haus am Platze. Direkt am Museumshafen gelegen mit großem Außenbereich genießen wir bereits am Nachmittag bei bestem Wetter ein erstes Bier und die schöne Aussicht.

Abends dann geht es in das heimelige Innere, das mit alten Kacheln und blauen Tischdecken typisch friesisches Flair vermittelt. So stellt man sich ein bürgerliches Restaurant hier vor.

Chef in der Küche ist Mario Brüggemann, der hier bereits seine Lehre absolviert hatte. Nach vielen Jahren, in denen er in verschiedenen Restaurants gearbeitet hatte und zuletzt in Kiel ein eigenes geführt hatte, das sogar mit einem grünem Michelinstern ausgezeichnet war, zog ihn das Heimweh wieder nach Leer und nun ist er Herr im Haus, wo alles begann.

Die Karte listet vieles, was man im Norden erwarten würde, aber schon an den Beilagen erkennt man, dass hier zwar traditionell, aber mit einem originellen Touch gekocht wird. Wir nehmen uns vor, ganz klassisch Vorspeise, Hauptgericht und Dessert zu bestellen, aber mich lacht auch noch eine Krabbensuppe an. Da ich ahne, dass die Portionen womöglich etwas größer ausfallen könnten, frage ich den Service vorsichtshalber, ob ich mich damit dann womöglich etwas übernehmen könnte. Ehrlichkeit hat sich noch immer ausgezahlt, und so weiß ich es sehr zu schätzen, dass die freundliche junge Dame, eher abrät. Einer mit meiner besseren Hälfte geteilten Portion gibt sie aber den Segen.

Einen Küchengruß gibt es auch in Form einer Tomatenmousse mit Kresse. Letztere ist nur minimal schmeckbar, dafür ist die Mousse sehr luftig, eher ein Espuma, und von typischem Eigengeschmack.

Amuse Bouche
Amuse Bouche

Zweierlei Brot, darunter leider ein mäßiges Industriebaguette, wird mit einer aufgeschlagenen Estragonbutter serviert.

Brot & Butter
Brot & Butter

Meine Auswahl beginnt mit einem Tatar vom Emder Matjes. Für meinen Geschmack hätte es durchaus etwas mutiger gewürzt sein können, wie auch die Röstzwiebeln auch noch etwas krosser hätten sein dürfen. Eine Pumpernickel- sowie eine etwas undefinierbare grüne Creme sind eine gute Ergänzung. Der Sud dazu ist sehr mild. Wenn dort die Stachelbeere verarbeitet ist, ist sie nur dezent spürbar. Trotz der Einschränkungen lässt sich das angenehm essen. Ich finde trotzdem, dass das Gericht mit kleinen Anpassungen noch deutlich gewinnen könnte.

Tatar vom Emder Matjes - Stachelbeere, Pumpernickel, Röstzwiebel
Tatar vom Emder Matjes - Stachelbeere, Pumpernickel, Röstzwiebel

Mein Mann ist ein großer Muschelfan und so kommt ihm die Tagesempfehlung gerade recht. Ein satt gefüllter Teller Miesmuscheln von schöner Größe und Qualität im Weißweinsud mit Curry ist gut abgeschmeckt. Dabei ist der Curry nicht dominant, aber präsent. Das ist schnörkellos, klassisch und lecker.

Miesmuschel "Langleine" im Weißwein-Curry-Sud
Miesmuschel "Langleine" im Weißwein-Curry-Sud

An dieser Stelle folgt die Krabbensuppe mit Fenchelschaum, ein Dauerbrenner auf der Karte. Die Suppe ist cremig mit pikanter Pfefferwürze, markantem Krabbengeschmack und ordentlicher Einlage. Der Fenchelschaum, erneut wohl eher ein Espuma, lässt den Fenchelgeschmack vermissen. Wenn überhaupt notwendig, hätte es hier auch geschlagene Sahne getan. Dennoch eine klasse Suppe.

Marios Krabbensuppe mit Fenchelschaum
Marios Krabbensuppe mit Fenchelschaum

Angesichts der Hauptgerichte, die jetzt serviert werden, erklärt sich die Zurückhaltung des Service, was den zusätzlichen vierten Gang angeht. Denn mein Mann bekommt einen prall gefüllten Teller mit zwei Schollenfilets von stattlicher Größe, ganz klassisch gebraten, mit relativ magerem Speck und Champignons. Doch damit nicht genug, denn es folgt noch eine veritable Lore wunderbar knuspriger Bratkartoffeln, mutmaßlich aus Drillingen und relativ pur belassen, da ja der Fisch bereits reichlich Speckbeilage hat. Salat ist auch noch dabei, ganz nach Hausfrauenart mit einem leichten Schmand- oder Joghurtdressing. Das ist alles ganz formidabel und traditionelle, bürgerliche Küche par excellence.

Fragte man mich nach meinem Leibgericht, müsste ich nicht allzu lange nachdenken. Nur wenig geht für mich über ein gut gemachtes Hühnerfrikassee und auch in meiner eigenen Küche ist dies ein Gericht, das ich mit großer Begeisterung zubereite. Folglich führte an der Bestellung des als Hühnerfrikassee 2.0 auf der Karte stehenden Gangs kein Weg vorbei. Das 2.0 erklärt sich vor allem aus dem Hauptteller, auf dem sich eine kross gebratene Brust mit einer Salatcreme und Mirabellenkompott findet, daneben auf einem Mürbeteigboden ein Erbsenpüree mit Krabben und gebratener Möhre. Das hat jetzt nicht viel mit einem Frikassee zu tun, ist aber gut gemacht und wäre als einzelnes Gericht mehr als ausreichend und befriedigend. Aber wir wären hier nicht im Norden und in einem bürgerlichen Restaurant, wenn das schon alles sein sollte. Denn à part gibt es eine Schale mit dem klassischen Frikassee mit perfekt zart geschmortem Fleisch und Erbsen, gut abgeschmeckt, aber relativ mächtig und – oh Wunder – auch eine opulente Portion. In Summe ist das aber eine schöne Kombination aus klassischer und moderner Version.

Es ist wohl keine Überraschung, dass wir beide an dieser Stelle bereits pappsatt sind. Bevor wir uns dem Dessert widmen können, braucht es also eine Pause, in der ein gut gekühlter Aquavit und der Rest unserer Flasche Wein aus der zwar mit einfacheren, aber sehr soliden Qualitäten vernünftig zusammengestellten Weinkarte gute Dienste leisten.

Für meinen Mann geht es dann weiter mit einem Nachtisch, der in der Karte als „Zwetschge – Zwetschge“ angekündigt ist. Aber eigentlich ist das nicht zweimal Zwetschge, sondern eher drei- bis viermal, denn die Frucht findet sich als Geleeschicht auf einem recht mächtigen Käsekuchen, als Eis, Schaum und separat als gutes Kompott. Etwas seltsam und nicht wirklich passend ist dazu eine Kürbiscreme und eine Kugel aus rohem Kürbissalat. Irgendwie harmoniert das für unseren Geschmack nicht mit den übrigen Zutaten. Aber Zwetschgenvariation und Kuchen sind gut gelungen.

Ich entscheide mich für eine ostfriesische Spezialität, von der ich bis dahin noch nichts gehört hatte, zumindest war mir der Name nicht geläufig. Sintbohntjes sind in Weinbrand eingelegte Rosinen. Dazu gibt es Vanilleeis vom Hof Campen, wo das Eis aus eigener Milch hergestellt wird. Aber wo ein oder zwei Kugeln und die Hälfte der Rosinen gereicht hätte, sind es hier eben drei Kugeln plus ein Berg Sahne plus unfassbar viele Rosinen im Sud. Das ist einfach, lecker, aber schlichtweg so viel, dass ich irgendwann kapituliere.

Sinbohntjes - mit Vanilleeis von Hof Campen & Sahne
Sinbohntjes - mit Vanilleeis von Hof Campen & Sahne

Da hilft nur ein weiterer Aquavit und ein Verdauungsspaziergang zurück ins Hotel. Aber den machen wir sehr zufrieden, denn was uns hier geboten wurde, war bei allen kleinen Einschränkungen eine Gasthausküche, wie man sie sich wünscht. Sie bedient traditionelle Gerichte und gibt ihnen hier und da einen modernen Twist, ohne dabei zu verschrecken. Das ist hier auch nicht die Gegend, wo man Gäste mit zu ausgefallenen Ideen überfordern sollte. Die üppigen Portionen bedienen ebenfalls die Erwartung, die man hier mitbringt, wenn man essen geht. So gesehen macht Mario Brüggemann hier wohl eine Menge richtig, denn das Haus ist gut besucht, wie auch nachmittags bereits.

Bei der Verabschiedung entschuldigt sich der sehr freundliche Service für die Wartezeiten, da man im ersten Stock noch eine größere Gesellschaft zu bedienen hatte. Dass wir das gar nicht wahrgenommen haben, spricht ebenfalls für sich. Warum die „Waage“ das einzige Restaurant in Leer ist, das der Michelin empfiehlt, verstehen wir jetzt aber auf jeden Fall.

Details

Restaurant: Zur Waage
Adresse: Neue Str. 1, 26789 Leer
Öffnungszeiten: Terrasse: Mittwoch bis Sonntag von 12:00 - 20:30 Uhr
Restaurant: Mittwoch bis Sonntag von 12:00 - 14:00 Uhr und 18:00 - 20:30 Uhr
Montag & Dienstag: Ruhetag
Website: www.restaurant-zur-waage.de

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Kommentare

  1. Carsten am 13. November, 2024 um 19:48 Uhr.

    Die Bratkartoffeln sehen wirklich Klasse aus! Hühnerfrikassee mögen wir beide! Müssen wir mal zusammen machen.

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