Intense, Kallstadt (geschlossen)
Am 13. August 2017 in Deutschland | 62133 Aufrufe | 3 Kommentare
Lange haben Benjamin Peifer und Bettina Thiel ein Geheimnis darum gemacht, wo in der Pfalz sie ihr erstes eigenes Restaurant eröffnen würden. Aus Marketingsicht nicht ungeschickt, denn mit von Zeit zu Zeit lancierten Bildern vom Renovierungsfortschritt blieben die beiden im Gespräch, hielten die Spannung aufrecht und haben dennoch nichts verraten. Kosten? Mutmaßlich zu vernachlässigen.
Als dann aber feststand, dass das „Intense“ sein Zuhause in Kallstadt im ehemaligen Weinkastell „Zum weissen Ross“ haben würde, konnte ich mir ein fettes Grinsen nicht verkneifen. Denn genau dort haben wir vor vielen, vielen Jahren eines der denkwürdigsten Essen erleben dürfen. Nicht so sehr wegen der Mahlzeiten selber – daran erinnere ich mich nicht mal im Ansatz. Nein, es waren mehr die Umstände, die sich seinerzeit einbrannten. Es war zu einer Zeit, als wir noch rauchten und man auch im Restaurant noch rauchen durfte. Wir hatten damals das 8 Gang-Menü und die Küche schaffte es, inklusive Amuse Bouche, das gesamte Programm in 1 1/2 Stunden abzuspulen. Es war schlichtweg nicht möglich, auch nur einmal zwischen zwei Gängen eine Zigarette zuende zu rauchen. Dass wir den Abend dann doch noch auf 2 1/2 Stunden strecken konnten, war nur der Tatsache zu verdanken, dass wir uns mit Kaffee und Digestif so lange aufgehalten haben. So viel zu damals.
Der heutige Abend wird mutmaßlich etwas anders ablaufen und auch die Erwartungshaltung an das Essen ist eine andere, denn Benjamin Peifer hat uns bereits im „Urgestein“ in Neustadt nachhaltig beeindruckt. Michelin-Stern, Koch des Monats im „Feinschmecker“ und zahlreiche andere Auszeichnungen sprechen ebenfalls eine deutliche Sprache.
Das Ambiente ist deutlich entschlackt. Betritt man das Restaurant, befindet man sich direkt im Hauptraum, der von einem Kreuzgewölbe geprägt ist und in dem sich wenige Tische in großzügigem Abstand finden. Im Nebenraum ist noch ein Stammtisch für bis zu 8 Personen zu buchen, an dem man sich wahlweise auch mit unbekannten Gästen gemeinsam platzieren lassen kann. Die Musik ist pulsierend und laut, fast zu laut. Der Empfang durch Bettina Thiel ist herzlich und vom ersten Moment an einnehmend.
Die Wirtschaftlichkeit, gerade für ein junges Restaurant, gebietet es, dass es auch hier nur ein Menü gibt. Ob man das nun Carte Blanche, Menu Fixe oder Omakase nennt, spielt eigentlich keine Rolle. Benjamin Peifer ist indes ehrlich genug, auch auf der Karte zu formulieren, was das letztlich bedeutet: „S’werd gesse, was uff de Tisch kummt“. Uns soll es recht sein. Wir hatten eh nichts anderes vor. Wer möchte, kann sich noch einen Überraschungsgang in süß oder herzhaft dazu bestellen. Uns genügt das Menü so, wie es ist. Wenn ich die Andeutungen richtig verstanden habe, handelt es sich bei diesen Extragängen wohl um Signature Dishes aus „Urgestein“-Zeiten.
Benjamin Peifer führt auch im eigenen Restaurant seine Linie aus modernisierter Pfälzer Tradition und deutlichen asiatischen Einflüssen konsequent fort. Den „Gequellde mit weissem Kees“ dekonstruiert er, den Macaron versieht er mit regionalen Zutaten wie Forelle und Meerrettich. Beides strotzt von intensivem Geschmack.
Komplett in der Pfalz befinden wir uns mit einer kleinen Dampfnudel und der vermutlich besten Rieslingschaumsauce, an die ich mich erinnern kann.
Schon im „Urgestein“ war es Benjamin Peifer wichtig, dass seine Gerichte leicht zugänglich zu genießen sind. Daher bevorzugte er schon dort eher Schüsseln als Teller. Auch hier ist es nicht anders. Als Besteck sind grundsätzlich Gabeln und Löffel vorgesehen. Lediglich der Hauptgang wird ein Messer benötigen.
Der folgende Gang ist von einer Süffigkeit, die man tatsächlich nur auslöffeln möchte. Ceviche vom Kingfish wird mit einer kalten, klaren Tomatenbouillon aufgegossen, ist fruchtig, scharf, ölig, füllig, einfach wunderbar.
Mit dem gegrillten Aal wird es deutlich deftiger. Als Hommage an die Winzer gedacht, findet hier vom Weinblatt bis zur Traube in diversen Konsistenzen alles rund um die Rebe ihren Einsatz. In ähnlicher Form kennen wir dieses Gericht auch bereits aus dem „Urgestein“, wo allerdings auch Zander noch eine Rolle spielte. Dieses Gericht wirkt in seiner Rustikalität noch ein wenig fokussierter – und wieder eindeutig in der Pfalz verortet.
Die nach Ike Jime-Art getötete Lachsforelle mit Kürbis in Variation, Bergamotte und Verveine ist hingegen auf der feineren und eleganteren Seite. Hier wird nicht mit Röst- und Raucharomen laut getönt, sondern sehr behutsam der ungemein saftige Fisch mit wenigen markanten Akzenten in Szene gesetzt. Dass es dazu in der Getränkebegleitung einen kalten Verveine-Tee gibt, der ganz in der Nähe angebaut wird, ist dabei so ungewöhnlich wie konsequent.
Doch dies ist nur ein kurzes Atemholen, bevor es mit dem nächsten Gang wieder aromatisch deutlich anzieht und auch asiatische Komponenten wieder stärkeren Einzug finden. Der zarte, aber würzige Schweinebauch ist von – für mein Empfinden – relativ mildem Kimchi begleitet.
Es folgt mein persönliches Highlight im Menü. Doch zuvor präsentiert die Küche den Hauptdarsteller in Form eines ziemlich zusammengeschrumpelten Weißkohls. Er war zwei Stunden im Ofen und ist außen nahezu verbrannt. Serviert wird indes natürlich nur das Innere, versehen mit Gomasio, einer Paste auf Basis von Sesamsalz. Alleine dies hätte schon ausgereicht, um eine so einfache Zutat glänzen zu lassen. Optional kann der Gast für 25 Euro das Gericht mit Imperial-Kaviar toppen lassen, wovon ich Gebrauch mache. Und tatsächlich hebt die milde Salzigkeit und dezente Jodigkeit das Gericht noch mal weiter nach vorne. Ich bin begeistert.
Ein Marshmellow auf Basis des hauseigenen Gin („Gintense“) & Tonic stellt die Pause zum Hauptgang dar. Den Gin würde ich dennoch lieber in der klassischen Form empfehlen. Mit starken Yuzu- und Koriandernoten hat dieser Gin in der Nase extrem markante asiatische Noten. Mit Tonic aufgegossen hingegen, macht sich ein ganz feiner floraler Ton breit. Da ist in Zusammenarbeit mit Stefan Winterling, aus der vor allem für seine Crémants bekannten Pfälzer Winzerfamilie stammend und mittlerweile auf Mallorca für das Weingut Son Campaner tätig, etwas sehr eigenwilliges und eigenständiges gelungen.
Bevor der Hauptgang serviert wird, darf sich der Gast noch ein Messer aussuchen und auch die sind nicht von der Stange. Sie wurden von Stefan Santangelo, einem Schmied aus Maikammer gefertigt und Korken verschiedener Pfälzer Winzer wurden in den Griff eingearbeitet. Das ist originell, liebevoll und eine erneute Hommage an die Region. Ich entscheide mich übrigens für das Oliver Zeter-Messer.
Die Vorfreude steigt, denn heute steht mein Lieblingsfleisch auf der Karte: Taube. Und die zudem noch von Theo Kieffer, einem der renommiertesten Züchter aus dem Elsass. Ähnlich wie beim Käse von Maître Fromager Bernard Antony, finden sich dessen Produkte auf den Speisekarten der besten Restaurants Europas. Diese Taube ist dry aged, was ihr ein zusätzlich intensives Aroma verleiht. Sie wird von Benjamin Peifer in zwei Gängen serviert. Als erstes wird ein Schälchen mit der Leber als Parfait mit Feige und warmem Brioche serviert.
Im Anschluss dann die Taube mit Brust und Keule, gebraten, bei der Brust den Garpunkt perfekt getroffen und von etwas Pilzen und erneut Feige begleitet. Die Saucen füllig und geschmackvoll, auch wenn ich mich an weitere Details nicht mehr erinnere. Ebenso wenig wie an den auf der Menükarte vermerkten Tabak vom Feigenblatt. Vielleicht war das die knusprige Auflage auf der Brust. Und selbst wenn nicht, war dies stark!
Über einen zubereiteten Käsegang freue ich mich immer besonders. Steckt hier doch mehr Potential für Kreativität, als die meisten denken mögen. Und so ist es auch hier. Lockere Ziegenkäsecreme, mutmaßlich aus Frischkäse, findet in Aprikosen und geräucherter Schokolade eigenwillige, aber sehr passende Begleiter.
Das Dessert kombiniert eingängige Zutaten und Geschmacksbilder, nämlich rote Beeren, Joghurt und Vanille, allerdings in abgewandelter Form. Unter einer weichen Joghurtplatte befindet sich ein Kompott aus verschiedenen reifen Beeren. Die Saison bietet gerade alles, was das Herz begehrt. Dazu ein paar gekühlte Granatapfelkerne, etwas Mürbeteig und ein wundervoll cremiges Vanilleeis. Der Lavendel bleibt erfreulich dezent. Das ist jetzt keine Neuerfindung, aber in sich so stimmig und köstlich, dass es einen würdigen Abschluss dieses Menüs darstellt.
In der Getränkebegleitung serviert Bettina Thiel dazu einen hausgemachten Kirschwein. So sehr ich auch diesen regionalen Bezug schätze und so sehr das auch zum Dessert passen mag, so ganz ist es einfach nicht mein Ding und ich hätte mir an dieser Stelle doch irgendwas konventionelleres gewünscht.
Zum Schluss schlägt Peifer noch einmal den Bogen zum Anfang des Menüs. Erneut gibt es einen „Gequellde mit weißem Kees“ und einen Macaron als „Hommage an die Pfalz“, beides diesmal jedoch in süßer Ausführung. Besonders gelungen finde ich den Macaron, der mit Weiß- und Rotweincreme gefüllt ist.
Nicht, dass wir jemals Gefahr gelaufen wären, den Rekord aus dem letzten Jahrhundert zu brechen, aber gerade am Anfang des Menüs legte die Küche schon ein recht strammes Tempo vor. Vermutlich war dies unserer relativ späten Ankunft geschuldet. Erst ab Mitte des Menüs liefen wir synchron mit den übrigen Tischen. Wir wären durchaus auch früher gekommen, aber das Online-Reservierungssystem gab uns nur noch diese Zeit vor – und artig, wie wir sind, halten wir uns nun mal dran…
Abgesehen davon war dies ein bockstarker Auftritt, den Benjamin Peifer und Maximilian Goldberg in der Küche sowie Bettina Thiel im Service hinlegten. Peifer führt seine Linie aus „Urgestein“-Zeiten konsequent weiter. Es finden sich viele regionale Bezüge, aber sich nur auf Neuinterpretationen von Pfälzer Gerichten zu beschränken, wäre ihm nicht genug. Schon immer spielten asiatische Komponenten eine wichtige Rolle in seiner Küche und er baut sie so geschickt und selbstverständlich ein, als wären Kallstadt und Kyoto immer schon Nachbarstädte. Nichts wirkt hier angestrengt, nichts wird mit einem dogmatisch erhobenen Zeigefinger erläutert oder serviert. Alles fügt sich sehr stimmig zusammen. Benjamin Peifer scheut sich nicht vor starken Aromen, aber vielleicht mehr als früher beherrscht er auch die feinen, differenzierten und leisen Momente. Handwerklich ist das alles ohnehin auf einem sehr starken Niveau. Es sollte mich wundern, wenn hier nicht sehr bald ein Stern leuchten würde.
Zum Gelingen des Abends tragen auch Bettina Thiel und ihr Service-Team bei, das professionell und locker agiert. Die Getränkebegleitung war mir an einigen Stellen zu speziell. Für das Menü hatte sie vorwiegend leichte Weine ausgewählt, dazu einen kalten Tee, ein Bier und Kirschwein. Wenn man, so wie wir auch eine Vorliebe für kräftigere und fülligere Weine hat, konnte der italienische Rote gefallen. Beim nächsten Mal allerdings werden wir uns vermutlich eher aus der interessant bestückten und fair kalkulierten Weinkarte bedienen.
Wer mag, kann am Ende des Abends noch die Küche besichtigen und wird dabei einen Chef’s Table erleben, der in der Tat einen Logenplatz auf das Geschehen bietet. Und damit der Abend mit dem Verlassen des Restaurants noch nicht zu Ende ist, bekommt jeder Tisch noch ein „Frühstück to go“ mit. Und da endlich gibt es das Brot vom gelernten Bäcker Benjamin Peifer, das es den Abend über nicht gegeben hat (und was auch nicht nötig war, denn der Sättigungsgrad ist auch so völlig ausreichend). Gemeinsam mit einem kleinen Glas aufgeschlagener, brauner Butter und einer Anleitung zum Aufbacken bereitet es mir am kommenden Tag viel Freude und bringt mir noch einmal ein Grinsen zurück.
Der Abend war anders als der, den wir vor Urzeiten im „Weissen Ross“ erlebten. Er war besser. Viel besser.
Details
Restaurant: | Intense |
Adresse: | Weinstraße 80, 67169 Kallstadt |
Öffnungszeiten: | Dienstag-Samstag ab 19:00, späteste Ankunftszeit ist 20:00 Sonntag + Montag Ruhetag |
Website: | www.restaurant-inten.se |
Schlagworte
Benjamin Peifer, Bettina Thiel, Casual Fine Dining, Gourmet, kreativ, Omakase, Pfalz
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Starker Artikel – gefällt mir außerordentlich. Da haben Bettina Thiel und Benjamin Peifer einen tatsächlich kongenialen Gast und Kenner zu Besuch gehabt. Glück auch für sie.
Toller Artikel, allerdings ja aus dem Jahre 2017. Hätte mich daher über aktuellere Highlights aus der Küchenkunst von Herrn Peifer gefreut, um besser zu beurteilen, welches Menue kredenzt wird. Danke vorab!
tischnotizen ist viel unterwegs. In diesem Jahr haben wir es noch nicht geschafft, das „Intense“ zu besuchen. Ich bin mir aber sicher, dass Sie kein großes Risiko eingehen, wenn Sie buchen, auch ohne vorher das Menü zu kennen, das sich ja ohnehin regelmäßig verändert. Im August wird im „Intense“ übrigens rein vegetarisch gekocht.