Schwarzwaldstube, Baiersbronn
Am 30. September 2022 in Deutschland | 24675 Aufrufe | 1 Kommentar
Ich habe noch die Mail vom 05. Januar 2020, in der David Breuer Gästen ihre Reservierung absagen und darüber informieren musste, dass das Stammhaus der Traube-Tonbach samt „Schwarzwaldstube“, also DER gastronomischen Instanz in Deutschland, abgebrannt sei. Schlimmer hätte das Jahr für die Hotelierfamilie Finkbeiner kaum beginnen können. Und da war noch nicht mal abzusehen, dass kurz danach zwei Lockdowns dem Unternehmen zusätzlich zusetzen würden.
Dass man sich trotzdem unmittelbar an den Wiederaufbau und eine Übergangslösung machte, zeugt von dem unbedingten Unternehmergeist und Willen, die „Schwarzwaldstube“ wieder zu der Institution zu machen, die sie bis dahin war. Ein Besuch im zwischenzeitlich auf dem Parkdach errichteten „temporaire“ ergab sich für uns nicht, aber umso mehr freuten wir uns, die neuen Räumlichkeiten kennenzulernen und nach langer Zeit wieder einmal hier zu sein.
Das neue Gebäude fügt sich von der Form und den verwendeten Materialien gekonnt in die Landschaft und vermag mit natürlicher Eleganz zu überzeugen. Gleiches setzt sich auch im Inneren fort, wo sich das Restaurant an bekannter Stelle und mit gleicher Aufteilung, aber erheblich lichter präsentiert. Entschlackt von jeglichem Schwarzwaldbarock hat man hier einen reduzierten, aber zeitlos eleganten Ort geschaffen.
Während wir die Karte studieren, erreichen uns die ersten Fingerfood-Häppchen zum Apéritif. Eine Blumenkohlmousse mit gezupftem Saibling und Saiblingskaviar sowie ein Reischip mit Gambero Rosso, Zitronengel und Corailcreme bieten von mild ausgewogenem bis zu leicht scharf-süßem Spektrum fein abgestimmte Aromen. Beim Tatar vom pommerschen Rind mit Wasabi fällt allerdings der Brotchip für unseren Geschmack zu dominant aus und überdeckt den guten Fleischgeschmack.
An diesem Abend bietet die Karte drei Menüs, ein kleines in fünf Gängen (245€), ein großes in sieben Gängen (265€) sowie ein vegetarisches in sechs Gängen (215€). Alle Gänge sind auch à la Carte zu bestellen und der Service, mittlerweile unter Leitung von Nina Mihilli, lässt dem Gast auch die Möglichkeit, einzelne Gänge zu tauschen. So ergibt sich ausreichend Wahlmöglichkeit. Mittlerweile ist, wie aus früheren Zeiten gewohnt, zusätzlich aber auch eine Auswahl von à la Carte-Gerichten erhältlich.
Stéphane Gass, mittlerweile seit mehr als 30 Jahren im Haus, ist weiterhin Herr über eine bestens sortierte Weinkarte aus allen Regionen und in allen Preislagen. An der charmanten und kenntnisreichen Beratung hat sich ebenfalls nichts geändert. Die „Schwarzwaldstube“ ohne Gass ist kaum vorstellbar.
Es geht weiter mit einem Amuse Bouche, das ein formidables Stück Holzmakrele mit diversen Cremes, unter anderem von Kokos und Avocado, in einem Gemüsesud präsentiert. Das verbindet fruchtige mit säuerlichen Noten, ist gleichzeitig mild, aber eben auch charaktervoll und harmonisch. Ausgesprochen fein.
Abweichend vom großen Menü, für das wir uns beide entschieden haben, wählt mein Mann die Vorspeise aus dem kleinen Menü. Die Terrine von gegrillter und marinierter Entenleber ist makellos und geschmackvoll gearbeitet. Das eigentliche Highlight auf diesem Teller ist für mich allerdings der begleitende Salat von Innereien und Keulenfleisch mit Rucola. Alles ist auf den Punkt gegart, mit der fabelhaften Madeiravinaigrette kräftig abgeschmeckt und stellt für mich die Terrine fast in den Schatten.
Meine Vorspeise setzt mit Balfégo-Thunfisch und Imperialkaviar zwei absolute Spitzenprodukte in den Mittelpunkt. Torsten Michel beizt den magereren Rücken und den fetteren Bauch mit Thunfischschmalz, was beiden Stücken jeweils eine gewisse Reichhaltigkeit gibt. Diese wird noch unterstützt vom Artischockensalat, der mit Kapern und Sardellencreme ebenfalls eine üppige Fülligkeit mitbringt. Der Kaviar liefert hier mit seiner gut akzentuierten Salzigkeit einen schönen Kontrapunkt. Ein sehr luxuriöser und in sich stimmiger Auftakt.
Deutlich kräftiger wird es mit dem folgenden Gang mit Hummer und Jakobsmuschel. Vor allem die mit deutlichen Röstaromen gebratene Jakobsmuschel setzt hier markante Akzente, die von Paprika-Chutney, Sellerie-Kokos-Püree und einem Ceviche am Boden vielfältig flankiert werden. Wunderbar die tolle, differenzierte Kokosnage sowie die deutliche, aber nicht dominante Zitronengrasnote, die sich durch das ganze Gericht zieht. Dies ist ein ultra-köstlicher Teller.
Mit dem perfekt glasig gegrillten Lachs und Fenchel in Variationen wird es im nächsten Gericht zwar reduzierter, aber aromatisch gibt es noch mal eine Schippe drauf. Dafür sorgen eine dezidierte Rauchnote sowie die intensive Jus aus den Karkassen und Sherryessig. So pointiert, so ausgezeichnet.
Auch die folgende Taube kommt mit relativ wenig Komponenten aus und kann ganz ihre Stärken ausspielen. Torsten Michel brät Brust, Keule und Leber in Süßholz exakt auf den Punkt. Dazu gibt es mit dem Köfte-Knusper in Baharat einen leicht marokkanischen Touch. Aprikosen bringen etwas Süße ins Gericht und selbstverständlich ist auch die mit Arabica akzentuierte Sauce von großer Tiefe und Geschmacksfülle. Ein Tauben-Gang auf Top-Niveau und auch auf meiner persönlichen Tauben-Skala sehr weit vorne.
Über die Käseauswahl, die vom Elsässer Großmeister Maître Antony stammt, muss man keine Worte mehr verlieren. Die Sorten sind perfekt gereift und dieses Vergnügen auszulassen, wäre nahezu sträflich.
Im ersten Dessert wird es recht frisch mit einer Mousse vom Génépi-Likör, der eine zarte Bitternote mitbringt. Die wird gut abgepuffert vom ausgezeichneten Sauerkirschsorbet. In dem ist die Frucht sehr deutlich herausgearbeitet. Die geeisten Perlen fallen da eher zurückhaltend aus, ebenso die nicht zu prägnante Birne, der man die Gewürze, in denen sie mariniert wurde, nicht wirklich anmerkt. Insgesamt aber ein schöner erfrischender Dessertgang.
Ich bin normalerweise kein allzu großer Fan von Kaffee im Dessert, aber die Kreation um mit Espresso getränkten Baba sowie geeisten Espresso gefällt mir trotzdem sehr gut. Das liegt vor allem an der Mangoeiscreme mit zurückhaltend eingesetzten indischen Aromen, die einen schönen Kontrast und gleichzeitig eine sehr passende Ergänzung bieten. Das ist alles nicht zu süß und liefert, auch mit dem salzigen Erdnusskaramell und den Nüssen, zudem ein schönes Texturspiel.
Die Pâtisserie trumpft noch einmal auf mit einer hübsch präsentierten Auswahl an Petits Fours, bei denen vor allem die sensationellen Cannelés herausstechen, die zu den allerbesten gehören, die ich je probieren durfte. Es ist vor allem die wunderbar krachende Kruste, die, wie wir von Stéphane Gass lernen, durch das Backen in Kupferformen kommt, wodurch das hier zur Premium-Version meines Lieblingsgebäcks wird.
Dass der Service in der „Schwarzwaldstube“ schon immer von einer beeindruckenden Lockerheit war, die aber nie ins Lässige oder Joviale abdriftet, ist bekannt. Auch dieser Abend hat da keinen Unterschied gemacht. Nach dem Weggang von David Breuer hat Nina Mihilli die Restaurantleitung übernommen und sie scheint die Linie mit ihrem Team konsequent weiterzuführen. Dies ist beileibe kein steifer Gourmettempel, sondern ein genussfreudiges Refugium.
Torsten Michels Küche hat zudem in keinem Moment einen Zweifel daran gelassen, warum die „Schwarzwaldstube“ immer noch zur absoluten Spitze in Deutschland gehört. Hier gelingt der Spagat von klassisch französischer Küche und eigenständigem Stil mit weitem Blick in die Welt außerordentlich souverän und lässt keinen Zweifel an den berechtigten drei Sternen und allen weiteren Auszeichnungen.
Die lange währende Geschichte dieser Institution kann an diesem neuen Ort nahtlos weitergeschrieben werden.
Details
Restaurant: | Schwarzwaldstube |
Adresse: | Tonbachstraße 237, 72270 Baiersbronn |
Öffnungszeiten: | Mittwoch - Freitag: 19:00 - 22:00 Uhr Samstag - Sonntag: 12:00 - 14:00 Uhr und 19:00 - 22:00 Uhr Montag und Dienstag: Ruhetag |
Website: | www. |
Schlagworte
Baiersbronn, französisch, kreativ, Nina Mihilli, Schwarzwaldstube, Stéphane Gass, Torsten Michel, Traube-Tonbach
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Lieber Herr Westermann,
herzlichen Dank für weitere Tischnotizen der empathischen Extraklasse !
Wenn man spürt, dass die Leidenschaftlichkeit Ihres Berichtes die Passion des Teams der Schwarzwaldstube widerspiegelt, dann weiß man um die Bedeutung von großer Kulinarik. Danke !
Ingrid Dürnberger
Roland Rauen