Anglo, London

Sich in einer Stadt wie London kulinarisch zurecht zu finden, zumal wenn man nur zwei Abende hat und sich dort nicht auskennt, kann ohne Orientierungshilfe ein ziemlich hoffnungsloses Unterfangen werden. Umso dankbarer war ich, dass die von mir hoch geschätzte Elizabeth Auerbach auf ihrem, mittlerweile leider eingestellten, Blog „Elizabeth On Food“ gerade rechtzeitig zwei überaus positive Besprechungen veröffentlichte, die ich beide auch prompt reservierte.

Stand das „Claude Bosi at Bibendum“ für die sternedekorierte Küche im feinen Ambiente, ist das „Anglo“ am heutigen Abend eher der Rubrik „jung, unkompliziert, aber mit Anspruch“ zuzurechnen. Das kleine, eng gestellte Restaurant befindet sich etwas außerhalb des Zentrums im Stadtteil Farringdon.
Mark Jarvis bietet hier mittags ein Lunchmenü zu 42£ sowie einige À la Carte-Gerichte an, abends ein 6 Gang-Menü zu 48£ bzw. am Freitag und Sonnabend ein 7 Gang-Menü zu 60£. Einige Zusatzoptionen kann man dazu buchen, muss man aber nicht. Wie man unschwer sehen kann, sind dies, zumal für London, unerwartet günstige Tarife. Noch mag dies der Tatsache geschuldet sein, dass das „Anglo“ unterhalb der Sternekategorie segelt. Aber ich glaube, dass sich daran auch nicht so viel ändern würde, wenn es einen Stern gäbe. Irgendwie habe ich vom ersten Moment an das Gefühl, dass man hier nicht abheben würde.

Aus einer kleinen, aber interessanten Auswahl von Craft Bieren wählen wir diesmal unseren Aperitif und schon bald erreichen uns die ersten Grüße. Es beginnt mit Krebsfleisch in einem sehr cremigen Joghurt, auf dem ein Tomatengranité für einen ganz klaren und frischen Eindruck sorgt.
Überraschend mild nimmt sich dagegen die Miniversion eines Lamm-Kebaps mit gepickeltem Kohl, Minze und Joghurt aus. Den Abschluss der Amuses bildet gesalzener Kabeljau mit einer Schnittlauchcreme und Knoblauch. Letzterer ist sehr zurückhaltend, aber doch spürbar. Auch dies eine schöne Kleinigkeit, die mit einem sehr präzisen Geschmacksbild aufwartet.

Erster offizieller Gang im Menü sind roh marinierte Jakobsmuscheln mit Shiitakepilzen und sehr dezent eingesetztem Ingwer. Etwas Sojamarinade sowie einige Cremetupfen, die etwas an Cocktailsauce erinnern, geben dem eleganten Gericht etwas Fülle.

Getauchte Jakobsmuschel mit Shiitake + Ingwer
Getauchte Jakobsmuschel mit Shiitake + Ingwer

Relativ einfach konzipiert erscheint mir der folgende Gang, bei dem grüner Spargel mit einer Frischkäse- und einer Eigelbcreme sowie einigen Brotkrumen kombiniert wird. Das ist in Ordnung, bleibt aber nicht besonders nachhaltig in Erinnerung.

Spargel mit Frischkäse + gesalzenem Eigelb
Spargel mit Frischkäse + gesalzenem Eigelb

Beim dann servierten Brot mit Hefebutter gibt es allerdings einen echten Knaller in Form eines sensationellen geräucherten Rapsöls.

Brot, Hefebutter + geräuchertes Rapsöl
Brot, Hefebutter + geräuchertes Rapsöl

Der folgende Seehecht besticht zum einen durch eine perfekt glasige Garung, bei der die Lamellen wunderbar leicht abfallen. Zum anderen ist die Kombination mit einer dekonstruierten Sauce Tartar, bei der Cornichons und Kapern obenauf liegen und ein Kartoffelschaum am Boden, sehr schlüssig und handwerklich ausgezeichnet gelöst.

Geangelter Seehecht mit Jersey Royal Tartar
Geangelter Seehecht mit Jersey Royal Tartar

Als Extragang bestellen wir zum Menü das Short Rib aus der Region Cumbria. Das Fleisch ist butterzart und kommt mit einem Zwiebelpüree und geschmortem Kohl. Die gebrannte Zwiebelvinaigrette unterstreicht den ziemlich rustikalen Charakter des Gerichts, das vor allem von der ausgezeichneten Fleischqualität lebt.

Cumbria Short Rib mit verkohltem Kohl + Zwiebeln
Cumbria Short Rib mit verkohltem Kohl + Zwiebeln

Mit ebenfalls wenigen Zutaten kommt auch der Hauptgang aus, der ein ganz fabelhaft gegartes Stück Entenbrust in den Mittelpunkt stellt. Das Fleisch ist saftig und von intensivem Geschmack. Unter der seitlich platzierten Rote Bete Scheibe finden sich noch faschiertes Keulenfleisch und eine Erde aus schwarzer Olive. Orangenzesten sorgen zusammen mit der ausgezeichneten Jus für eine fast klassische Anmutung einer Ente à l’Orange. Die Jus ist allerdings so knapp bemessen, dass wir davon unbedingt nachordern und auch nichts zurück gehen lassen.

Aylesbury Ente mit Rote Bete + Orange
Aylesbury Ente mit Rote Bete + Orange

Zwiebeln scheinen zu Mark Jarvis Lieblingszutaten zu gehören, denn auch zum dünn gehobelten Cheddar gibt es auf geröstetem Brot wieder eine Zwiebelcreme. Als Extra lässt sich australischer Trüffel dazu bestellen und das passt als Unterstützung zu dem sehr samtigen, fülligen und kräftigen Charakter sehr gut.

Käse + Zwiebel auf Malzbrot mit australischem Trüffel
Käse + Zwiebel auf Malzbrot mit australischem Trüffel

Das Thema Kirschen und Mandeln bestimmt das erste Dessert. Die Kirschen, sowohl frisch als auch dehydriert und ein Kirschsud geben in Kombination mit Mandeleis und gerösteten Mandeln einen klassischen Akkord mit schöner Frische, aber auch einer sehr markanten Säure. Gut, dass da die 2010 Riesling Auslese von der Mosel gut gegenhalten kann.

Neue Kirschen + geröstete Mandeln
Neue Kirschen + geröstete Mandeln

Mit einem als Sommerbeeren und Buttermilch betitelten zweiten Dessert geht das Menü zuende. De facto sind dies jeweils eine aufgeschnittene Gariguette Erdbeere und eine Himbeere. Dazu findet sich etwas Gelee, etwas Curd sowie ein Buttermilchschaum. Überzeugen kann mich dies nicht. Auch wenn die übrigen Gänge auch mit relativ wenig Komponenten auskommen, ist mir dies hier doch zu wenig komplex und recht einfach konzipiert. Irgendwie finde ich es schade, dass ausgerechnet der letzte Eindruck doch eher schwach ausfällt.

Sommerbeeren + Buttermilch
Sommerbeeren + Buttermilch

Denn insgesamt war dies ein sehr gutes Menü auf einem durchweg hohen Niveau. Mark Jarvis versteht es, seinen Gerichten einen ganz klaren aromatischen Fokus zu geben.Dabei hilft sicherlich, dass er sich zu beschränken weiß und die Teller nicht überlädt. Mehr als drei Grundkomponenten wird man selten finden, was den eigentlichen Hauptzutaten genügend Raum lässt, sich zu entfalten. Besonders deutlich wird dies beim Seehecht, dem Short Rib und der Ente.

Mit vielen Gängen kratzt die Küche deutlich am Stern. Am Tisch sind wir uns nicht einig, ob ein Stern bereits angebracht wäre. Ich persönlich könnte ihn gut vertreten, meinem Mann fehlt noch etwas Konsistenz über das gesamte Menü hinweg. Warten wir also ab, wer hier mit seiner Einschätzung letztlich richtiger liegen wird.

Viel Spaß macht uns der Service und hier vor allem die italienische Sommelière, mit der sich über den Abend ein munteres Ratespiel entwickelt, bei dem ich gar nicht so schlecht abschneide. Die Weinbegleitung schlägt mit 65£ für 8 Gläser zu Buche. Dass es bei diesem recht günstigen Kurs nicht absolut hochklassige Weine sein können, ist klar. Daher konzentriert man sich auf besonders eigenständige Weine. Da muss einem auch nicht immer alles gefallen, aber eine spannende Erweiterung des Horizonts kann es ja trotzdem sein. Wie zum Beispiel beim (Natur-)Rotwein von den Azoren. Interessant, aber nicht zwingend nach einer Wiederholung verlangend. Aber das ist auch schon der einzige Ausreißer nach unten.

Weinbegleitung
Weinbegleitung

Das „Anglo“ ist das, was man ein „One to watch“, nennen kann. Mark Jarvis hat hier, abseits des Zentrums ein grundsympathisches Restaurant geschaffen, in dem man zu vernünftigen Preisen – und das ist in London ja per se schon eine Rarität – einen ganz entspannten und genussreichen Abend verbringen kann.

Details

Restaurant: Anglo
Adresse: 30 St Cross St, London EC1N 8UH
Öffnungszeiten: Dienstag - Samstag: 12.00 - 14.30 Uhr
Montag - Samstag: 18.00 - 21.00 Uhr
Ruhetag: Montag
Website: www.anglorestaurant.com/

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