Claude Bosi at Bibendum, London

Die Adresse könnte kaum prädestinierter sein für ein Gourmetrestaurant. Im Michelin-House in Chelsea prangt Bibendum, das knuffig-dicke Reifen-Männchen an jeder Ecke und auf zahlreichen Fenstern. Dennoch ist der Eingang in das mit 2 Michelinsternen dekorierte Heilige gar nicht so einfach zu finden. Im Erdgeschoss befindet sich eine große Austernbar, in der Bistroküche serviert wird. Da muss man erst hindurch, dann wieder in ein Treppenhaus, um an einem weiteren Empfang vorbei dann in den ersten Stock geleitet zu werden, wo schließlich der tatsächliche Empfang durch reizende Damen erfolgt.

Außenansicht
Außenansicht

Der Speiseraum ist verhältnismäßig großzügig gestaltet. Von Bildern anderer Restaurants in Londoner Spitzenrestaurants habe ich den Eindruck gehabt, dass es durchaus auch mal recht eng zugehen kann. Hier ist das nicht der Fall. Allerdings erfordern die Ledersessel maximale Konzentration und einen aufrechten Sitz. Ansonsten würde ich leicht Gefahr laufen, hier permanent wegzurutschen.

Interieur
Interieur

Neben einer À la Carte-Auswahl, aus der man sich drei Gänge für 100£ zusammenstellen kann, wird auch noch ein Überraschungsmenü mit 6 Gängen für 120£ angeboten. Auf Rückfrage setzt sich dieses sowohl aus Gerichten aus der Karte zusammen als auch aus nicht aufgeführten Gängen. Angesichts des bekanntlich hohen Preisniveaus in London, nimmt sich dieses Angebot für ein 2 Sterne-Restaurant verhältnismäßig moderat aus und es wird auch unsere Wahl.

Während wir uns noch mit der Weinkarte beschäftigen, erreichen uns zum Apéritif die ersten Snacks. Am besten gefällt uns dabei die Praline mit weißer Schokolade, Foie Gras und Rosinen, die eine wunderbar cremige Fülligkeit auszeichnet. Eine weitere Praline mit Pistazien bleibt etwas undefinierbar, ist insgesamt aber gut. Der Käsecracker ist in Ordnung, aber etwas eindimensional und die falsche Olive ein Dauerbrenner, der für mich langsam aus dem Apéro-Repertoire verschwinden dürfte. In 2018 muss mir keiner mehr beweisen, dass er das kleine Handbuch der Molekularküche von Ferran Adriá studiert hat. Trotzdem in Summe ein gefälliger Start.

Auch das akkurat geschnittene Ei gehört mittlerweile in das Standardprogramm vieler Restaurants. Im „Bibendum“ ist es gefüllt mit geräucherten (!) Borlotti-Bohnen, Kokosnussschaum und Curry. Aber hallo! Das ist jetzt mal tatsächlich eine Überraschung, weil ich Bohnen und Kokonuss nie und nimmer zusammengebracht hätte. Und die Bohnen zu räuchern, ist auch eine verblüffende Idee, die hier fabelhaft aufgeht. Ganz toll!

Amuse Bouche: Borlotti-Bohnen, Kokosnussschaum
Amuse Bouche: Borlotti-Bohnen, Kokosnussschaum

Nicht, dass die Butter hier außergewöhnlich wäre, das Brot hingegen ist es schon, aber die selbstironische Präsentation finde ich doch sehr sympathisch.

Butter
Butter

Das Menü selbst startet dann recht ungewöhnlich mit einer kalten Suppe. Die Ajo Blanco, in Spanien vor allem auf Basis von altbackenem Brot, Mandeln und Knoblauch hergestellt, verfeinert und modernisiert Claude Bosi hier mit einer Vielzahl von Elementen. Am Boden zum Beispiel findet sich eine geräucherte Mandelcreme, eine ganz zarte Fruchtigkeit steuert Honeymoon-Melone bei, eine besonders hochwertige Honigmelonenart. Fingerlimes und diverse Kaviarsorten bringen Säure und Salzigkeit, Mandelstückchen sorgen für Crunch. Das ist cremig, füllig, unkompliziert und ausgesprochen lecker.

Ajo Blanco, Honeymoon-Melone, Mandelpüree
Ajo Blanco, Honeymoon-Melone, Mandelpüree

Wiederum im ersten Moment zwar schön präsentiert, aber eben auch wieder etwas unscheinbar, kommt der nächste Gang: Cornish Cock Crab. Unter einer üppigen Schicht Holunderblütengelee, das auch geschmacklich schon sehr präsent ist, verbirgt sich am Boden eine Krustentiercreme, darüber der gezupfte Taschenkrebs. Das ist frisch, erneut sehr süffig und köstlich.

Cornish Taschenkrebs, Holunderblütengelee, Granny Smith, Seekräuter
Cornish Taschenkrebs, Holunderblütengelee, Granny Smith, Seekräuter

Etwas undefinierbar erscheint das Gemüse Nosotto, eine Wortschöpfung von Claude Bosi für ein wie Risotto hergestelltes Gericht ohne Reis, dafür aus Sellerie. Damit es aber nicht vollends vegetarisch bleibt, ist auch noch Blaue Garnele in dem Gang verarbeitet. Man sieht sie zwar nicht wirklich und sie herauszuschmecken fällt mir auch etwas schwer.  Mir gefällt indes der schöne Kontrast zwischen warm und kalt, der vor allem durch die Grapefruit kommt, die nebenbei auch noch schöne fruchtige Säureakzente setzt.

Vegetarisches Nosotto, Blaue Garnele, kalifornische Grapefruit
Gemüse Nosotto, Blaue Garnele, kalifornische Grapefruit

Sehr klassisch und durchaus auch puristisch wird es mit dem folgenden Fischgang. Tadellos zubereiteter Steinbutt wird à la grenobloise serviert, also in einer Sauce auf Basis von Butter, Kapern und mitunter auch Brot.
Bosi verfeinert auch dies auf elegante Art. Kartoffeln, zum Teil als Stampf, in dem Nussbutter verarbeitet ist, finden sich in einem üppigen Nussbutterschaum, Kapern und Croutons liegen oben auf. Das ist nichts für Cholesterinfanatiker, wohl aber für Geschmacksfetischisten. .

Steinbutt à la Grenobloise
Steinbutt à la Grenobloise

Der recht puristisch und auf das Hauptprodukt fokussierten Präsentation bleibt die Küche auch beim Fleisch treu. Ein ordentlich gegartes Stück Entenbrust steht hier im Mittelpunkt, flankiert von Rote Bete in Strukturen. Keulenfleisch als eine Art Hack ist ebenfalls verarbeitet und ein geräuchertes Stück Aal liefert einen schönen Kontrast. Die Rote Bete Sauce weist eine wunderbare Geschmackstiefe und Konsistenz auf. Schade nur, dass die Rote Bete selbst zu kalt ist. Ansonsten ist dies ein sehr abwechslungsreicher und gelungener Gang.

Ente, Aal, Rote Bete
Ente, Aal, Rote Bete

Mit einem kleinen, aber hübsch gearbeiteten Cornet rund um Mohn und schwarzen Sesam geht es als Überleitung zum Dessert.

Pré-Dessert: Cornet mit Mohn und schwarzem Sesam
Pré-Dessert: Cornet mit Mohn und schwarzem Sesam

Mit einer kunstvoll gearbeiteten Baiserkugel schließt das Menü ab. Vacherin ist in diesem Fall nicht der allseits bekannte Käse, sondern eine auf Baiser basierende Nachspeise. Das Steinpilzpuder setzt nur zurückhaltende Akzente und das Bananensorbet im Innern mit den Cerealien verortet das Gericht ohnehin eindeutig im Süßspeisenbereich.
Wie so oft ist die Optik von außen beeindruckender als im Inneren, wo sich das Ganze auch farblich in einer unschön, breiigen Masse präsentiert. Geschmacklich schmälert das den guten Gesamteindruck jedoch nicht.

Auch die Petits Fours sind klassisch und makellos. Sie reihen sich ein in ein Menü, das sehr klassische, französisch fundierte Züge hatte. Vermutlich keine allzu große Überraschung für jemanden, der in Lyon geboren wurde und im Laufe seiner Karriere neben vielen anderen Stationen auch bei Fernand Point, Alain Passard und Alain Ducasse gearbeitet hatte. Dennoch ist Bosis Küche eine, die mit, nennen wir es ruhig, britischem Understatement daher kommt. Unter einer häufig zwar eleganten, aber eher zurück genommenen Präsentation verbirgt sich bei jedem Gericht ein sehr akkurat ausgeprägtes Geschmacksbild. Auf unnötige Effekthascherei verzichtet Claude Bosi zugunsten intelligent komponierter Gänge mit exzellenten Zutaten und dem ein oder anderen Überraschungsmoment. Das wirkt ausgesprochen souverän und ist seine zwei Sterne vollends wert.

Einen gewissen Kontrast zur eher klassischen Ausrichtung der Küche bietet die Weinkarte, die ganz à la mode, mit einer üppigen Auswahl von biologisch erzeugten und Naturweinen verblüfft. Die junge Sommelière, ebenfalls Französin, hat es mit ihrem starken Akzent etwas schwer, sich verständlich zu machen, so dass ich recht schnell beschließe, auf mein rudimentäres Restfranzösisch zurück zu greifen. Und schon klappt es deutlich besser mit der Kommunikation.

Ansonsten läuft der Service sehr professionell, aber eben auch etwas routiniert ab, was ich aber durchaus nicht als unangenehm empfinde. Nachdem die ersten Gänge recht zügig serviert werden, wird unserer Bitte nach einer Pause vor dem Hauptgang problemlos nachgekommen. Zur Verabschiedung hat sich das Restaurant schon weitestgehend geleert. Omnipräsent lacht uns das Michelinmännchen noch einmal zu, um uns dann auch im Treppenhaus noch einmal zu begegnen.

Innenansicht
Innenansicht

London hat sicher noch viele andere hervorragende Adressen zu bieten. Für den Anfang war das hier aber schon mal ein ganz starker und überzeugender Auftakt.

Details

Restaurant: Claude Bosi at Bibendum
Adresse: Michelin House, 81 Fulham Rd, Chelsea, London SW3 6RD
Öffnungszeiten: Mittwoch - Sonntag: 12.00 - 14.15 Uhr
Mittwoch - Freitag: 18.30 - 21.45 Uhr
Samstag: 18.30 - 22.00 Uhr
Sonntag: 18.30 - 21.00 Uhr
Montag + Dienstag: Ruhetag
Website: www.bibendum.co.uk/

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