Best of 2023

Ein Jahr geht für uns zu Ende, in dem Kulinarisches natürlich wieder eine große, entscheidende Rolle spielte. Allerdings gab es auch private Veränderungen, die viel Zeit in Anspruch nahmen und für die Restaurantbesuche etwas in den Hintergrund treten mussten. Nach fast 40 Jahren in Hannover sind wir nach Köln umgezogen, was nicht nur eine emotionale, sondern vor allem auch eine organisatorische Herausforderung war. Gleichzeitig musste auch noch eine Zweitwohnung in Köln aufgelöst werden. All das führte dazu, dass wir einige Besuche, die normalerweise in unserem gastronomischen Kalender immer gesetzt waren, in diesem Jahr nicht wahrnehmen konnten.

Mit dem Ende meiner aktiven Berufstätigkeit ergeben sich aber dafür neue Möglichkeiten und Freiheiten, die wir auf jeden Fall nutzen werden. Und dann werden auch das Saarland und Antwerpen, zwei unserer Lieblingsziele, definitiv wieder auf unserer Route liegen.

Wir haben viele neue Restaurants in diesem Jahr kennen gelernt. Vor allem die Neueröffnungen, von denen es einige gegeben hat, haben uns dabei sehr beeindruckt. In den derzeitigen, wirtschaftlich schwierigen Zeiten, ist es erstaunlich, mit welch mutigen, aber eben auch sehr durchdachten, Konzepten Köche den Weg in die Selbständigkeit wagen. Das gibt Hoffnung, dass die Branche allen Unkenrufen zum Trotz eine Zukunft hat.

Klassische Fine Dining Restaurants werden meiner Meinung nach auch weiterhin einen festen Platz in der kulinarischen Landschaft haben. Hier werden Trends gesetzt und das Niveau bestimmt, an dem sich viele andere orientieren, selbst wenn sie für ihre Lokale andere Konzepte umsetzen. Wir beobachten einen verstärkten Trend zur Bistronomie, also ungezwungeren Modellen, die dem Gast mehr Wahlfreiheit lassen oder die mit Gerichten zum Teilen die Hemmschwelle bewusst senken. Dass dabei vor allem die Restaurants Erfolg haben, bei denen die Qualität auf einem überdurchschnittlichen Niveau ist, beweist außerdem, dass mit den richtigen Ideen auch heute noch Gäste und Personal für die Gastronomie zu begeistern sind. Und auch das macht mir Hoffnung.

Was ich mir wünsche: Respektvollere Gäste – nicht nur, was die Verbindlichkeit von Reservierungen angeht, sondern auch was den Umgangston betrifft, der leider immer häufiger zu wünschen übrig lässt. Weniger von oben herab und fordernd, sondern mehr auf Augenhöhe und mit Verständnis für die, die für uns Gäste arbeiten – eigentlich sollten dies Selbstverständlichkeiten sein, die aber dem ein oder anderen abhanden gekommen zu sein scheinen. Ich hoffe, dass sich das wieder ändern lässt.

Ich freue mich auf 2024 und viele beglückende Momente in Restaurants, ob es nun Wirtshäuser oder Sternerestaurants sind. Denn ob es ein Rahmgulasch oder ein mehrgängiges Menü gibt – solange es mit Liebe und besten Zutaten gekocht ist, wird es immer mein Herz erobern.

Hier einige der Gerichte in chronologischer Folge, die in diesem Jahr mein Herz erobert haben:

JAN, München                                                                                                                            Jan Hartwig

Kalbsbries ist eine Zutat, die in Jan Hartwigs Händen immer zu etwas Besonderem wird. Der geniale Schachzug in diesem Gericht ist die aus Forelle und Aal gezogene Rauchfischbrühe, die das perfekt ausgebackene Bries im Knuspermantel um eine aromatische Ebene erweitert, die unerwartet ist und gleichzeitig überraschend schlüssig funktioniert. Großes Kino!

Glasiertes Kalbsbries, Rauchfischbrühe, Petersilienwurzel, Sonnenblumenkerne & Staudensellerie
Glasiertes Kalbsbries, Rauchfischbrühe, Petersilienwurzel, Sonnenblumenkerne & Staudensellerie

Alois                                                                                                                                            Max Natmessnig 

Max Natmessnig, der schon in der „Roten Wand“ in Lech am Arlberg Furore machte, konnte mit seiner ausdrucksstarken Küche auch in München begeistern. Seine mexikanisch inspirierte Version eines Ceviche kommt mit pointierter Schärfe und frisch-kräutriger Note. So inflationär sich Ceviche auf allen möglichen Speisekarten findet, so weit weg ist dieses Gericht davon und so begeisternd.

Schade, dass seine Zeit in München nur ein relativ kurzes Gastspiel war, bevor er zurück nach New York ging. Sein Stil wäre auch dauerhaft eine Bereicherung für die deutsche kulinarische Landschaft gewesen.

Wolfsbarsch, Aguachile, Jalapeño
Wolfsbarsch, Aguachile, Jalapeño

CODA Dessert Dining, Berlin                                                                                                  René Frank / Julia Leitner

Das CODA nimmt eine ganz besondere Stellung nicht nur in der deutschen Gastronomie ein, sondern weit darüber hinaus. Wie hier Desserts neu gedacht werden, ist einzigartig und mit Avantgarde nur unzureichend beschrieben.

Der erste Gang in unserem Menü mit luftig aufgeschlagener Mascarponecreme, fermentierten Kakaobohnen, getrocknetem Wirsing und einem Sud von Grapefruit, Thymian und Tapioka war so anders und neu, als vieles, das ich bis dahin kannte. Herb, säuerlich, Crunch – einfach alles passt hier perfekt.

Grapefruit - Mascarpone - Wirsing - Thymian
Grapefruit - Mascarpone - Wirsing - Thymian

intense, Wachenheim                                                                                                        Benjamin Peifer

Rehrücken ist ein wunderbares, edles Produkt. Aber ich muss zugeben, dass ich dessen ein wenig müde geworden bin, weil es so häufig als Hauptgang in den Menüs vorkam, als gäbe es nichts anderes. Sicher, immer perfekt rosa zubereitet, aber halt immer ähnlich.

Benjamin Peifer überrascht mich aber in seinem neuen Restaurant, in dem überwiegend auf offenem Feuer gekocht wird, mit einer ganz anderen Zubereitung. Kurz gegrillt, als Tataki aufgeschnitten, mit gegrilltem Aal, Shiso-Rotkohl und Flowersprouts von Grün- und Rosenkohl passiert hier unfassbar viel. Ein Teller wie ein Spielplatz.

Rehrücken aus dem Soonwald, Quitte, Unagi "à la minute" und Shiso-Rotkohl
Rehrücken aus dem Soonwald, Quitte, Unagi "à la minute" und Shiso-Rotkohl

Rijnzicht, Doornenburg                                                                                                                  Mike Cornelissen

Mike Cornelissens vor Ideen nahezu übersprudelnde Küche hat uns bereits bei unserem ersten Besuch begeistert. Auch das Menü in diesem Jahr war von überbordender Kreativität und nahezu jeder Gang nicht nur geschmacklich, sondern auch optisch ein Highlight. Dass ich mich bei dieser herausragenden Auswahl für das erste Dessert entschieden habe, liegt vor allem daran, dass es exakt meinen Geschmack traf und genau das schaffte, was ich mir wünsche: zu erfrischen und gleichzeitig vielschichtig zu sein. Hier ist es die Interpretation eines Cocktail-Klassikers, des Amaretto Sour. Mousse, Ganache, Sorbet, Meringue und am Tisch frisch geshaked der Sour selbst als Sud – ein wunderbares Säure-Süße-Spiel und eine Augenweide zudem.

Amaretto Sour | Mandel | Zitrone | Vanille
Amaretto Sour | Mandel | Zitrone | Vanille

ITO, Köln                                                                                                                                             Kengo Nishimi

Mit Kengo Nishimi ist eine japanische Küche nach Köln gekommen, die europäische Einflüsse gekonnt einbindet und damit durchaus dem Stil von Yoshizumi Nagaya in Düsseldorf ähnelt, dessen Restaurant nicht ohne Grund als das vermutlich beste japanische in Deutschland gehandelt wird. Dass Nishimi auch ebendort gearbeitet hat, mag da nicht verwundern.

Wie er in der Spargelsaison jedoch das Gemüse in einem Noripaket mit einem stattlichen Stück Kabeljau und einer Wasabi Beurre Blanc kombiniert und dazu à part einen Spargel-Eierstich mit Pata Negra-Schinken, Yuzu und Lotuschip serviert, ist von bemerkenswerter kulinarischer Intelligenz. Und gleichzeitig präsentiert er des Deutschen liebstes Sommergemüse in einem ganz neuen Gewand.

Favorite, Mainz                                                                                                                       Tobias Schmitt

Schon die ausufernde Beschreibung des Gerichts auf der Menükarte macht deutlich, wie aufwändig Tobias Schmitt seine Gerichte kombiniert. Das ist alles sehr aufwändig gemacht, aber nicht um der Detailverliebtheit willen, sondern weil jede Komponente ihren Sinn hat. So wie bei diesem Zweierlei vom Saibling, in dem vor allem der konzentriert eingekochte Saiblingsfumet für intensiven Geschmack sorgt. Dass dies ein Gang aus dem sensationell preiswerten Mittagsmenü war, sei nur am Rande erwähnt. Lust hat er auf jeden Fall gemacht, auch das große Abendprogramm auszuprobieren.

Zweierlei vom Saibling | gebeizte Tranchen & roh mariniertes Tatar | weiße Zwiebel | Ofenlauch | Bärlauchknospen | Saiblingsfumet | Weizengrasöl
Zweierlei vom Saibling | gebeizte Tranchen & roh mariniertes Tatar | weiße Zwiebel | Ofenlauch | Bärlauchknospen | Saiblingsfumet | Weizengrasöl

L’Aparté, Genf                                                                                                                           Armel Bedouet

Ein Tagesausflug nach Genf von unserem Urlaubsort aus brachte uns in dieses mit einem Michelin-Stern ausgezeichnete Hotelrestaurant. Der Bretone Armel Bedouet, bereits seit 2008 im Haus, präsentiert hier eine hoch elegante, französische Küche, die sich zeitgemäßen Elementen nicht verschließt. Sein Amuse Bouche, ein Tatar vom Taschenkrebs mit Gurkensorbet und -sud sowie Shiso als Tempura ist so fein gearbeitet, dass sich manches Restaurant glücklich schätzen würde, so etwas als reguläre Vorspeise auf der Karte zu haben.

Amuse Bouche
Amuse Bouche

Boury, Roeslare                                                                                                                          Tim Boury

Tim Boury, jüngster Zugang unter den belgischen Dreisternern, ist kein Avantgardist. Seine Küche ist klassisch und modern zugleich, legt es aber nie auf Irritationen an, sondern will immer harmonisch bleiben. Ein besonderes Highlight in unserer Menüfolge war eine Abfolge von drei Gerichten, in denen bretonischer Hummer die Hauptrolle spielt. Frisch mit Tomate, eingelegten Erdbeeren in einem Basilikumsud, üppiger mit der mit dem Corail gefüllten Zucchiniblüte mit Sanddorn und mediterran mit Tomatenconcassée, Basilikum, Kalamata Olive und Burrata – und alles funktioniert prächtig. Das ist fabelhaftes Handwerk und eine Produktpräsentation par excellence.

Bretonischer Hummer III: Burrata. Kalamata Olive
Bretonischer Hummer III: Burrata. Kalamata Olive

Gut Lärchenhof, Pulheim                                                                                                    Torben Schuster

Auf einem Golfplatz unweit von Köln hat Torben Schuster seine Bühne für eine eigenständige Küche, die sich einer Kategorisierung weitestgehend entzieht. Das Tatar vom Kaisergranat erhält durch Gänseleber eine wunderbar cremige Textur und gleichzeitig eine überraschende aromatische Tiefe. Kleine frittierte Garnelen für den Knusper, eine Dashi mit prägnanter Säure und Kürbis liefern eine Vorspeise, die zu den besten gehörte, die ich dieses Jahr hatte.

Kaisergranat - Tatar, Gänseleber, Hokkaidokürbis, Glasgarnele & Kürbis-Dashi
Kaisergranat - Tatar, Gänseleber, Hokkaidokürbis, Glasgarnele & Kürbis-Dashi

Schatzhauser, Baiersbronn                                                                                                  Florian Stolte

Die Traube-Tonbach hat viele kulinarische Aushängeschilder, allen voran die legendäre „Schwarzwaldstube“. Mit dem Neubau des Stammhauses nach dem verheerenden Brand wurde aus der früheren „Bauernstube“, die sich vor allem den deftigen Klassikern der badisch-elsässischen Küche widmete, nun das „Schatzhauser“. Florian Stolte, der auch für das asiatisch inspirierte „1789“ verantwortlich zeichnet, hat die Speisekarte hier internationaler gestaltet, aber zum Glück einige regionale und traditionelle Gerichte beibehalten, wie das Ragoût Fin, das sich leider heutzutage nur noch viel zu selten findet.

Florian Stolte macht daraus eine wahre Luxusversion mit gebackenem Kalbsbries zusätzlich zu den Pilzen und Geflügel- und Kalbfleisch. Das ist ein echtes Wohlfühlgericht, bei dem man nicht mehr nachdenkt, sondern nur noch genießt.

Ragoût Fin / gebackenes Kalbsbries / Pfifferlinge / Blätterteigkissen
Ragoût Fin / gebackenes Kalbsbries / Pfifferlinge / Blätterteigkissen

Le Moissonnier, Köln                                                                                                                 Eric Menchon / Vincent Moissonnier

Der Schreck, den die Nachricht auslöste, das „Le Moissonnier“ in seiner bekannten Form zu schließen, wich schnell der Erleichterung, als klar war, das es doch weitergehen würde. Und was als Tagesbistro angekündigt war, entpuppte sich dann doch als eine Version light des früheren Restaurants, in dem sich optisch nicht viel verändert hatte. Auch die Karte, obwohl schon etwas einfacher gehalten, wies dann doch einige alte Bekannte auf.

Ganz wunderbar in dem neuen Konzept funktioniert zum Beispiel ein Gang wie die Pissaladière mit Thunfisch mit dünnem, knusprigen Teig, konfierten Zwiebeln und Anchoïade.

Früher hätte das ein Gericht auf einem der vielen Satellitenteller sein können. Jetzt funktioniert das auch solo prächtig. Aber das wichtigste ist, dass das „Le Moissonnier“-Feeling nach wie vor da ist. Die Geschichte geht also weiter. (Bericht folgt)

Pissaladière de Thon rouge Yellowfin
Pissaladière de Thon rouge Yellowfin

Doubek, Wien                                                                                                                         Stefan Doubek

Die Neueröffnung des „Doubek“ ist vermutlich eine der spektakulärsten des Jahres, nicht nur in Österreich. Stefan Doubek hatte sich bereits einen Namen gemacht in der „Umar Fisch Bar“ am Naschmarkt, hat aber auch beeindruckende Stationen im „Jordnaer“ oder bei „Konstantin Filippou“ in seiner Vita.

In seinem eigenen Restaurant startet Doubek mit einem Menü, das an Highlights keinen Mangel hatte. In der Küche, die nur von einem Holzofen befeuert wird, liefert er unter anderem mit dem Carabinero ein Musterbeispiel von vollständiger Verwertung ab, denn aus den gemörserten, getrockneten Füßen arbeitet er eine knusprige Auflage und aus dem Inneren der gerösteten Köpfe zieht er eine intensive Sauce. Zusammen mit einer Hollandaise auf Basis einer glutenfreien Sojasauce ergibt sich ein reduzierter und fokussierter, beeindruckend aromatischer Gang. (Bericht folgt)

Carabinero · Tamari · Zitrone
Carabinero · Tamari · Zitrone

Pramerl and the Wolf, Wien                                                                                              Wolfgang Zankl-Sertl

In dem kleinen, gemütlichen Restaurant, das wir aufgrund eines euphorischen Berichts der „Sternefresser“ besucht haben, wurden wir mit einer eigenständigen Küche überrascht, die nicht auf große Effekte setzt, aber mit ungewöhnlichen Kombinationen überzeugt. In einem durchgehend ausgezeichneten Menü setzte das Dessert einen fabelhaften Schlusspunkt. Brombeeren und süße Dulce de Leche Crème werden von einem Langpfeffer-Eis mit prägnanter Schärfe wunderbar konterkariert und mit Baiser- und Schokoladenteigplättchen texturell ergänzt. Geschmacklich klasse und anhaltend, wunderbar auf den Teller gebracht. (Bericht folgt)

Langer Pfeffer / Brombeere / Dulce de Leche
Langer Pfeffer / Brombeere / Dulce de Leche

KOMU, München                                                                                                                 Christoph Kunz

Christoph Kunz, im „Alois“ mit zwei Michelinsternen ausgezeichnet, ist in München der nächste Spitzenkoch, der sein eigenes Restaurant eröffnet. So licht und hell, wie er es gestaltet hat, so elegant präsentiert sich auch seine Küche. Ein exzellentes Beispiel dafür ist das vegetarische Gericht in seinem Menü. Brokkoli als Creme, geröstet und geräuchert auf einer mit frischem Lorbeer abgeschmeckten Frischkäsecreme, Physalis und einer Satésauce mit subtiler Schärfe ergeben eine vegetarische Komposition de Luxe. (Bericht folgt)

Brokkoli, Haselnuss, Lorbeer
Brokkoli, Haselnuss, Lorbeer

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Kommentare

  1. Matthias am 31. Dezember, 2023 um 12:12 Uhr.

    Sehr interessant – vielen Dank! Ich bin gespannt auf die noch kommenden Berichte – da sind tatsächlich ein paar mir noch unbekannte Restaurants dabei. Alles Gute für 2024 und liebe Grüße, Matthias ✨🙏🏻✨

  2. Carsten am 24. Januar, 2024 um 16:44 Uhr.

    Jetzt bin ich endlich mal dazu gekommen, dein Genuss Resümee des Jahres 2023 zu lesen! Viele feine Höhepunkte, und ich wünsche dir für 2024 noch ganz viele mehr! Gerade jetzt ganz besonders!

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