Best of 2022

Das vergangene Jahr bot uns erneut zahlreiche kulinarische Highlights. Darunter waren bekannte Adressen, die wir regelmäßig besuchen, einige Restaurants, in denen wir lange nicht waren und Häuser, die für uns neu waren.

Kreative, überraschende, fordernde Küche begeistert uns nach wie vor. Aber mindestens ebenso faszinierten mich in diesem Jahr, vielleicht mehr als je zuvor, Gerichte, die der traditionellen und klassischen Küche zuzurechnen sind. Es sind vor allem die handwerklichen Techniken, die man nicht mehr allzu häufig antrifft, die mich fesseln und die ich auch in Zukunft erleben möchte. Sie sind das kulinarische Fundament, ohne das die Moderne nicht denkbar ist.

Überragend waren in diesem Jahr häufig die Produktqualitäten, die wir genießen durften. Es ist schon großartig zu sehen, dass sich von Butter bis zu Erdbeeren ganz neue Referenzqualitäten auftaten.

All das wissen Gäste zu schätzen. Die Restaurants, in denen wir waren, waren gut besucht. Und dennoch sind das No Show-Thema und kurzfristige Stornierungen nach wie vor ein Problem, das die gesamte Branche beherrscht. So sehr ich verstehe, dass man Stammgäste nicht vergrätzen möchte, so sehr plädiere ich dennoch für verbindlichere Regeln. Ticketsysteme, Anzahlungen oder zumindest angemessene Stornogebühren bei nicht rechtzeitiger Absage, dürfen kein Tabu mehr sein.

Wir sind jedenfalls bereit dazu und freuen uns auf viele spannende Besuche im neuen Jahr. Bis dahin freuen wir uns über die Höhepunkte des abgelaufenen Jahres, wie immer höchst subjektiv und in chronologischer Reihenfolge.

 

Haus Stemberg, Velbert

Sascha Stemberg

Tranche vom weißen Heilbutt in brauner Butter gebraten, cremige Schnittlauchgraupen, feine Kalbszunge & Rauchaalsud
Tranche vom weißen Heilbutt in brauner Butter gebraten, cremige Schnittlauchgraupen, feine Kalbszunge & Rauchaalsud

 

Dass das „Haus Stemberg“ ein Musterexemplar von gelebter Gastfreundschaft ist, ist keine Neuigkeit mehr. Verlässlich gut haben wir hier immer gegessen, aber das Menü, das wir Anfang des Jahres genießen durften, war von außergewöhnlicher Qualität.

Wie gekonnt sich Rustikales und Feines miteinander verbinden lassen, beweist Sascha Stemberg mit dem Heilbutt, den er mit Graupen, Kalbszunge und einem hocharomatischen Rauchaalsud kombiniert. Derlei Kombinationen haben hier durchaus Tradition, aber selten habe ich das so gut erlebt.

Ralf Berendsen, Lanaken

Ralf Berendsen

Jakobsmuschel - Kagoshima Wagyu - Geräucherter Hering - Zwiebel - Sambai - Imperial Heritage Kaviar
Jakobsmuschel - Kagoshima Wagyu - Geräucherter Hering - Zwiebel - Sambai - Imperial Heritage Kaviar

Unsere Karnevalsflucht führte uns dieses Jahr nach Belgien. Das Restaurant „Ralf Berendsen“, ausgezeichnet mit zwei Michelinsternen, im schicken Relais & Châteaux-Hotel „La Butte aux Bois“, überraschte uns mit durchgehend eleganten Gerichten und mutigen Kombinationen. Das Menü zeigte keinerlei Schwächen, so dass sich kaum ein Gang besonders herausstellen ließe. Exemplarisch mag die kräftig angebratene Jakobsmuschel im Wagyu-Mantel gelten, die mit einer Hollandaise auf Basis von geräuchertem Hering, Zwiebeln, einem Sambalsud und einer großzügigen Nocke Kaviar deftig, aber spannend eingefasst war. Eine echte Entdeckung.

Waldhotel Sonnora, Dreis-Wittlich

Clemens Rambichler

Suprême von der Wachtel aus den Vogesen mit Topinambur, Vin Jaune und schwarzem Trüffel aus dem Périgord
Suprême von der Wachtel aus den Vogesen mit Topinambur, Vin Jaune und schwarzem Trüffel aus dem Périgord

Unser letzter Besuch im „Sonnora“ liegt viele Jahre zurück. Mittlerweile haben Clemens und Magdalena Rambichler das Haus übernommen und von Grund auf renoviert. Auch die Küche präsentiert sich deutlich aufgefrischt, ohne die klassische Grundlage, für die die Gäste seit Jahrzehnten hierher kommen, zu verlassen. Wir waren jedenfalls durchgehend begeistert und das nicht nur von der Wachtel in Variationen, die mit Trüffel und einer cremigen Sauce auf Basis von Vin Jaune pure Opulenz mit süffiger Eleganz vereint.

tulus lotrek, Berlin

Max Strohe

st. jakobsmuschel x.o. / yuzu & seeigel
st. jakobsmuschel x.o. / yuzu & seeigel

So unkonventionell vieles im „tulus lotrek“ ist, so traditionell präsentierten sich viele Gerichte. Klassisches Handwerk wie beim Hirschrücken „Wellington“ oder perfektes Saucenhandwerk wie bei einer Sauce Genoise oder einer Sauce Périgourdine waren buchstäblich zum Tellerabschlecken.

Das erste Highlight im Menü setzte aber eine großartige Jakobsmuschel mit Yuzugel, Dashisud und Karottenpüree mit Seeigel. Zum Niederknien gut.

Bozar, Brüssel

Karen Torosyan

Mont Royal Taube - Gänseleber - geräucherter Aal - Rotwein-Pfeffer-Sauce
Mont Royal Taube - Gänseleber - geräucherter Aal - Rotwein-Pfeffer-Sauce

Karen Torosyan ist ein Koch, der sich einer Küche verschrieben hat, die nicht permanent das Rad neu erfinden möchte, sondern Traditionen pflegt, die in dieser Perfektion kaum noch zu finden sind. Vor allem seine Pâtés-Croûtes, in Teig gebackene Kunstwerke, erfordern viel Erfahrung und Fingerspitzengefühl, um so beeindruckende Ergebnisse zu bringen, wie man sie im „Bozar“ erleben kann.

Ein wahres Meisterstück ist sein Trio aus Taube, Aal und Gänseleber im Cerealienmantel auf einer perfekt glänzenden und intensiven Rotwein-Pfeffer-Sauce. Klassik, die man wenigstens einmal erlebt haben sollte.

Le Moissonnier, Köln

Eric Menchon

Taubenpastete in Teigkruste mit grünem Pfeffer und Pistazienchouchous, Morcheln und Entenlebersauce mit Muscat de Rivesaltes
Taubenpastete in Teigkruste mit grünem Pfeffer und Pistazienchouchous, Morcheln und Entenlebersauce mit Muscat de Rivesaltes

Seit mehr als 30 Jahren steht Eric Menchon am Herd dieser Kölner Gastro-Institution und die Kreativitätsmaschine, die er zusammen mit Patron Vincent Moissonnier damals angeworfen hat, läuft noch immer auf Hochtouren. In der Regel besteht jeder Gang aus drei Tellern, die mal mehr, mal weniger schlüssig zueinander finden, aber jeder für sich genommen bereits großartig ist.

Die Taubenbrust, die gegrillt auf einem Satellitenteller serviert wurde, war bereits wunderbar, ebenso der Gemüseteller in Form eines Cannelloni vom Treviso. Aber der eigentliche Star in diesem Gericht ist die mit Morcheln und Muscat de Rivesaltes aromatisierte Entenlebersauce zur herzhaft gewürzten Wurst und dem Blätterteig. Wenn es eine Sauce des Jahres für mich gäbe, dann wäre es vermutlich diese.

Marv & Ben, Kopenhagen

Tintenfisch, Vadouvan, Havgus
Tintenfisch, Vadouvan, Havgus

Die Küche in diesem kleinen, quirligen Restaurant, kommt pro Gericht mit wenigen, aber klug komponierten Zutaten aus. Ein echtes Aha-Erlebnis war der Tintenfisch, der in feinen Streifen in einer sensationellen Sauce auf Basis von 12 Monate altem Havgus badete. Der Käse ist quasi die dänische Version eines Parmesans. Zusammen mit reichlich Butter und Vadouvan und dem eher groben Spinat ergibt sich eine ungewöhnlich rustikale, aber eben auch ungemein süffige Kombination von ausladendem Wohlgeschmack.

Jordnær, Gentofte

Eric Vildgaard

Steinbutt - Trüffel - Vin Jaune
Steinbutt - Trüffel - Vin Jaune

Der Besuch im „Jordnær“ war der eigentliche Grund für unseren Besuch in Kopenhagen. Sowohl die Geschichte von Eric Vildgard, ein Mann von mehr als imposanter Statur, als auch Berichte über seine komplett fleischlose, dafür auf allerfeinste Fisch- und Meeresfrüchte konzentrierte Küche, ließen schon lange in mir den Wunsch wachsen, das vor Ort zu erleben. Beeindruckend ist der kompromisslose Qualitätsfanatismus, in dem er seinem Freund Christian Bau in nichts nachsteht, als auch die betörende Schönheit seiner Gerichte. Kaviar und Krustentiere spielen dabei eine große Rolle, die meisten Gänge seines umfangreichen Menüs fallen kalt aus, was den Frischecharakter zusätzlich unterstreicht. Aber auch die warmen Gerichte, wie der Steinbutt mit einer feinen Farce von Trüffel und Bärlauch, einer Butter-Trüffelsauce und einem Vin Jaune-Schaum bestechen mit großer Harmonie und Eleganz. Nicht ohne Grund wird Eric Vildgaard als heißer Kandidat für einen dritten Michelinstern gehandelt.

L.A. Jordan, Deidesheim

Daniel Schimkowitsch

"Hanami" - Malaga Erdbeere, Joghurt und Panna Cotta
"Hanami" - Malaga Erdbeere, Joghurt und Panna Cotta

Auch Daniel Schimkowitsch lässt bei seinen Produktqualitäten keine Kompromisse zu. Egal ob Fisch, Krustentiere oder Fleisch – nur die besten Produkte schaffen es in seine Küche, die sich reduziert, aber immer geschmacksintensiv präsentiert.

Wir hatten viele große Momente im letzten Menü, aber dass ausgerechnet Erdbeeren am nachhaltigsten in meiner Erinnerung bleiben würden, hätte selbst ich nicht gedacht. Kurz zuvor hatten wir bereits im „Jordnær“ fabelhafte Mara de Bois-Erdbeeren, aber die Malaga-Erdbeeren, die uns Daniel Schimkowitsch servierte, waren noch mal ein anderes Level. Eine Panna Cotta aus weißer Schokolade und ein Joghurteis waren die jahreszeitlich passenden Mitspieler, die den Erdbeeren aber nie die Show stahlen.

Victor’s Fine Dining by Christian Bau, Perl-Nennig

Christian Bau

Tuna - Gänseleber - Holunderblüte
Tuna - Gänseleber - Holunderblüte

Ein Besuch bei Christian Bau verspricht vom ersten Bissen an höchsten Genuss. Seine Produktqualitäten sind einzigartig, seine japanisch inspirierten Gerichte sind von außergewöhnlichem Ideenreichtum. Besonders begeistert hat mich beim letzten Mal ein Gang mit Thunfisch, Gänselebereis, Edamame und Holundervinaigrette, der ganz fabelhaft die Balance zwischen Leichtigkeit und Üppigkeit findet.

Döllerers, Golling

Andreas Döllerer

Alpin Ramen
Alpin Ramen

Wie kaum anderswo lässt sich in Andreas Döllerers Küche die Region und Heimat, in der er lebt, wiedererkennen. Alle Zutaten, die er verwendet, kommen aus der unmittelbaren Umgebung. Und doch wirkt diese Regionalität nicht aufgesetzt, sondern hat in ihren besten Momenten sogar eine erstaunliche Weltläufigkeit. Wie bei seiner Version einer Ramen, die in einer hinreißend intensiven Hühnerbrühe neben saftigstem Keulenfleisch und Duroc-Rippchen auch diverse Gemüse, Tannenflechten und in Soja mariniertes Ei vereint. Eine wahre Hühnersuppe deluxe.

Schwarzwaldstube, Baiersbronn

Torsten Michel

Zitronengrasspieß vom bretonischen Hummer und Jakobsmuschel mit Muskat und Macis gebraten, glasierter Sellerie und Meeresfrüchte-Ceviche, leichte Kokosnage
Zitronengrasspieß vom bretonischen Hummer und Jakobsmuschel mit Muskat und Macis gebraten, glasierter Sellerie und Meeresfrüchte-Ceviche, leichte Kokosnage

Viel zu lange ist unser letzter Besuch her, zuletzt aufgehalten durch Brand und Pandemie. Umso gespannter waren wir darauf, diese Institution der deutschen Gastronomie am alten und doch neuen Standort zu erleben. Stilistisch hat sich nicht viel verändert. Torsten Michels Küche ist eindeutig der Klassik verpflichtet, das aber dafür mit weitem Blick in die Welt.

Ein besonders gelungenes Beispiel dafür ist der Zitronengras-Spieß, der mit bestem bretonischen Hummer und kräftig gerösteter Jakobsmuschel schon viel Geschmack mitbringt. Die Meeresfrüchte-Ceviche am Boden, Paprika-Chutney und eine wunderbar differenzierte Kokos-Nage machen dies zu einem ultra-köstlichen Teller.

The Jane, Antwerpen

Nick Bril

Irish Mór, Balfegó, Buttermilch, Brot Miso, Yuzu Kosho
Irish Mór, Balfegó, Buttermilch, Brot Miso, Yuzu Kosho

Ein Essen im „The Jane“ ist jedes Mal ein Gesamterlebnis, bei dem Küche, Architektur, Musik, Wein und vor allem ein unverschämt charmanter, lockerer Service Hand in Hand gehen. Nick Bril, gerade in Belgien zum Koch des Jahres ausgezeichnet, setzt die Produkte Zeelands und der Nordsee weiterhin gekonnt und kreativ in Szene. Für die fleischige Irish Mór-Auster spielt eine Brot-Miso, die aus den fermentierten Brotresten des Tages gewonnen wird, eine entscheidende Rolle. Aber auch Balfégo-Thunfisch und Kaviar sorgen für die gewohnte Komplexität, die alle Gerichte hier auszeichnen. Es fällt schwer, einen Besuch im „The Jane“ nur auf einen bestimmten Gang zu konzentrieren. Wir fühlen uns kaum irgendwo wohler als hier.

Schlagworte

, , , , , , , , , , , , , , , , , , , , ,

Verwandte Artikel


Kommentare

  1. Creature of the night am 30. Dezember, 2022 um 14:35 Uhr.

    Ihr Lieben,
    wie immer eine wunderbare Parade, die gern noch doppelt oder dreifach so lang sein dürfte. Erlebnisse und Fotos hätte es sicher genug gegeben. Ich freue mich für Euch und die Leserschaft und wünsche Euch wieder so phantastische Gerichte 2023!
    Gero

  2. Carsten am 2. Januar, 2023 um 15:53 Uhr.

    Ich schließe mich dieser „Kreatur“ oben an! 🙂 Nicht alles aus deiner Wahl wäre in meine Top Liste 2022 gekommen, aber trotzdem fasst es ein schönes kulinarisches 2022 zusammen. Mögen 2023 auch mit neuer home base ein genauso genussreiches Jahr werden. Liebe Grüße an euch Beide nach H oder K aus R von H und C! 🙂

Dein Kommentar