Epicure, Paris

Geburtstag. Paris soll es sein. Ein Dreisterner soll es sein. Und da beginnt das Problem. Soll es die große Klassik sein, die Avantgarde, gemäßigte Moderne oder gar vegetarisch? Ja, auch das wäre sogar möglich. Paris hat zehn Dreisterne-Restaurants, so viele wie ganz Deutschland. Das Preisniveau dort ist atemberaubend und wenn wir schon ein mittleres Vermögen ausgeben, dann will die Wahl wohlüberlegt sein. Ob man à la Carte isst, wie es in Kritiken häufig empfohlen wird, oder sich für ein Menü entscheidet – man sollte sich keinen Illusionen hingeben, bei angemessenem Weinkonsum zu zweit mit einer dreistelligen Summe auszukommen. Aber all das ist uns bekannt und nach gründlicher Recherche fällt die Wahl auf einen der großen Klassiker: das Epicure im Hotel Le Bristol. Eric Fréchon ist seit 1999 im Haus, seit 2009 mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet. Unter allen Pariser Spitzenrestaurants ist dieses, nach allen Kritiken zu urteilen, eines der unumstritten Besten.

Auf der Homepage und in der Reservierung wird darauf hingewiesen, dass für Herren Jacketpflicht herrscht. Ich lege zur Feier des Tages auch noch Krawatte an, was nicht erforderlich wäre, aber ich freue mich auf den Abend, von dem ich mir viel verspreche. Und da darf es schon mal die große Gala sein.

Ein wenig ehrfürchtig nähern wir uns dem Bristol, einem Grandhotel par Excellence, in Sichtweite des Élysée-Palastes, das ebenso wie das Brenner’s Parkhotel zur noblen Oetker-Kollektion gehört. Wir sind zu früh und werden überaus freundlich in die Lobby-Bar gebeten, wo wir bei einem Cocktail das Ambiente auf uns wirken lassen. Alles hier ist gediegen, stilvoll, aber nicht einschüchternd. Nun gut: dass sich auch Gäste mit Sandalen oder Jogginghosen in die Lobby verirren, passt nicht ins Bild. Aber auch als Spitzenhotel kann man sich seine Gäste nicht immer aussuchen. Und Geld macht noch lange keinen Geschmack.

Als wir den imposanten Speisesaal betreten, herrscht trotz der beeindruckenden Größe eine angenehme Intimität, aber keine bedrückende Stille. Im Gegenteil – der Service, und es gibt viel Service, ist herzlich und alles andere als reserviert. Das lockert die Stimmung und ich fühle mich in einem Anflug von übermütigem Leichtsinn ermuntert, mein Glück heute Abend mit meinen rudimentären Rest-Französischkenntnissen zu bestreiten. Das ist ebenso leichtsinnig wie überflüssig, denn der Service ist selbstverständlich auf internationales Publikum eingestellt und beherrscht ausgezeichnetes Englisch. Aber so ist das nun mal mit Leichtsinn – er folgt selten einer Logik und so muss ich damit leben, dass ich an manchen Stellen einfach nicht alles verstehe. Gelobt seien das Internet und online verfügbare Speisekarten.

Zum Apéritif schickt die Küche ein Dreierlei und bereits dort überschätzt der Service mit seinem Sprechtempo meine Französischkenntnisse ganz erheblich. Sagen wir es also so: Die Petitessen waren köstlich, absolut präzise gearbeitet, aber ich habe keine Ahnung mehr, was es war.

Apéros
Apéros

Parallel dazu wird ein Speck-Guglhupf serviert, der ungemein saftig, würzig und, ja, auch fettig ist. Das hier ist nichts für Cholesterinfanatiker, aber besser als alles, was wir unter der Bezeichnung Guglhupf je hatten.

Speck Guglhupf
Speck Guglhupf

Auch die Brotauswahl zur exquisiten normannischen Butter ist beeindruckend und ausgezeichnet. Der Service wird auch nicht müde, hiervon erneut anzubieten, sobald sich der Teller zu leeren droht.

Butter
Butter

Wir halten uns aber zurück, denn unsere Wahl ist auf das große Degustationsmenü gefallen. Doch bevor das beginnt, schickt die Küche noch ein Amuse Bouche, traditionell als Mousse. In diesem Fall ist es eine Selleriemousse auf einer gelierten Rinderconsommée. Die Mousse eindeutig im Geschmack, sehr luftig. In Kombination mit dem intensiven, leicht kühlen Gel ergibt sich ein sehr stimmiges Bild. Und es wird nach all diesen Kleinigkeiten bereits klar, dass alles hier sehr präzise abgeschmeckt und handwerklich erstklassig gearbeitet ist. Toller Einstieg.

Amuse Bouche: Gelierte Rinderconsommee, Mousse von Sellerie
Amuse Bouche: Gelierte Rinderconsommee, Mousse von Sellerie

Der erste Gang beeindruckt zunächst einmal durch eine puristische Ästhetik. Drei makellose, dicke Stücke Kaisergranat, umhüllt von einem dünnen Blatt Kohl, in einer kühlen, säuerlichen Selleriecreme. Etwas Kaviar, gerade so viel, dass es kleine, jodige Spitzen setzt. Das ist alles. So klar die Optik, so klar auch der Geschmack. Alles an diesem Gang ist fein ausbalanciert. Nichts fehlt, nichts ist zu viel. Alles ist perfekt.

Große Langustinen, Kaviar, leicht gekocht, kalt serviert Yuzu und frischer Sellerie Geschmack
Große Langustinen, Kaviar, leicht gekocht, kalt serviert Yuzu und frischer Sellerie Geschmack

Das nächste Gericht ist vermutlich das berühmteste von Eric Fréchon und bereits beim Erläutern der Karte weist auch der Service darauf hin. Wäre es nicht Bestandteil des Menüs, hätten wir es natürlich dazu bestellt. Denn die mit Artischocken, Trüffeln und Foie Gras gefüllten Macaroni sind auch ein Grund für unseren Besuch hier. Und wir werden nicht enttäuscht. Auch dieser Teller ist nicht weniger als perfekt. Als wäre die Füllung nicht schon intensiv, erdig und geschmackvoll genug, die fein gratinierte Pasta kaum besser zu machen, setzen die beiden Saucen noch einen drauf. Die Trüffeljus hoch konzentriert, die Sauce Suprême reichhaltig und ebenso intensiv. Was für ein dekadenter und tief befriedigender Genuss!

Gefüllte Macaroni mit schwarzem Trüffel, Artischocken und Entenstopfleber, überbacken mit altem Parmesan
Gefüllte Macaroni mit schwarzem Trüffel, Artischocken und Entenstopfleber, überbacken mit altem Parmesan

Ausgezeichnete Zutaten und ebensolches Handwerk sind auch die Markenzeichen bei der folgenden Rotbarbe. Diese ist mit Auberginenkaviar in eine Zucchiniblüte eingearbeitet, dazu eine abgewandelte Form der Ratatouille, bei der die Zutaten in geschichteter Form zu einer Art Schnitte geformt sind, und eine erneut optisch bestechende Präsentation. Zusammen mit einer geschmacklich äußerst klaren Sauce von gelber Paprika fühlt man sich unmittelbar ans Mittelmeer versetzt.

Rotbarbe gefüllt mit Artischockenkaviar und Kreuzkümmel in einer Zucchiniblüte, gelbe Paprikasauce mit Arganöl
Rotbarbe gefüllt mit Artischockenkaviar und Kreuzkümmel in einer Zucchiniblüte, gelbe Paprikasauce mit Arganöl

Bisher ist ein Paukenschlag nach dem anderen gefolgt. Aber die Taktung ist uns etwas arg schnell, weshalb wir um eine Pause bis zum Hauptgang bitten. Kein Problem für den vorbildlichen Service, der nach angemessener Zeit fragt, wann es weitergehen darf.
Auch am Hauptgang gibt es eigentlich nicht viel auszusetzen. Die Challans-Ente ist auf den Punkt gebraten und von erstklassiger Qualität, die Pommes Soufflées wunderbar und auch die übrigen Zutaten – Zwiebelpüree, Crunch und Sauce – sind stimmig. Mir ist nur der Gesamtakkord etwas zu süß. Aber das schmälert den Eindruck nur marginal.

Gebratene Challans-Ente mit Feigen, würziger Honig, Crunch, Zwiebelpüree mit Verbene, Soufflée-Kartoffel
Gebratene Challans-Ente mit Feigen, würziger Honig, Crunch, Zwiebelpüree mit Verbene, Soufflée-Kartoffel

Der großzügige Käsewagen ist bestückt mit dem Besten der Affineure Marie-Anne Cantin aus Paris und des Übervaters der Maître Fromagers schlechthin, Bernard Antony aus dem Elsass. Dass in diesem Haus alles von ausgezeichneter Qualität ist, versteht sich von selbst und so freuen wir uns über die schöne Auswahl. Ganz selbstverständlich und ohne darum zu bitten, bringt der Service neue Gläser für den noch verbliebenen Weißwein, den wir zum Käse trinken wollen. Ein schweizer Uhrwerk könnte nicht präziser arbeiten.

Käseauswahl von Marie-Anne Cantin und Bernard Antony
Käseauswahl von Marie-Anne Cantin und Bernard Antony

Mit dem Pré-Dessert leitet die Küche zu den süßen Gängen über. Das Orangensorbet auf Cassis-Gelee ist erneut in den Einzelgeschmäckern ganz klar und eindeutig. Nichts verfälscht oder überdeckt hier die einzelnen Komponenten. Eine schöne Erfrischung!

Pré-Dessert: Orangensorbet auf Gelee von schwarzen Johannisbeeren
Pré-Dessert: Orangensorbet auf Gelee von schwarzen Johannisbeeren

Im Juli ist mit nur 49 Jahren der Chef-Patissier des „Epicure“, Laurent Jeannin, verstorben, der seit 2007 im Haus war. Auf ihn gehen einige Kreationen zurück, die es ebenfalls zu Signature Dish-Status gebracht haben. Mit diesem Wissen sind wir gespannt, auf welchem Niveau sich dieser Teil des Menüs präsentieren wird.

Es startet mit einem fruchtigen Dessert, das, ganz im Stil der übrigen Gänge, relativ reduziert daherkommt. In der rot überzogenen Kugel befindet sich ein Kokos-Sorbet, das mit leicht eingekochten Himbeeren gefüllt ist, die auch die begleitende Komponente sind. Ein kleines Gebäckstück aus Puffreis liefert etwas Textur, die Sauce ist mit Ingwer ganz dezent, aber merklich abgeschmeckt. Erneut ein Beispiel, wie man wenige Zutaten mit ganz präziser Dosierung effektvoll in Szene setzen kann.

Unnötig zu erwähnen, dass auch das abschließende Dessert diesem Prinzip folgt. Hebt man den Deckel der zur Kakaobohne geformten Schokoladenhülle ab, findet sich darunter erneut nur eine mit Kakao bestäubte Fläche. Das Thema ist also Schokolade – soweit klar. Stößt man aber erst mal ins Innere vor, ist man verblüfft, wie vielschichtig und nahezu schwerelos sich das Dessert präsentiert. In einer schaumigen Schokoladenmasse findet sich ein Sorbet, das mit Zitronengras aromatisiert ist. Etwas Crunch ist auch noch dabei. Und damit es nicht zu eindimensional schokoladig bleibt, gibt es à part eine Sphäre von Ceylon-Tee. Das ist allerfeinste Patissierkunst und ein würdiger Abschluss eines in weiten Teilen begeisternden Menüs.

Dass es damit noch nicht zuende sein würde, war eigentlich klar, aber der Zauberwagen, der zum Kaffee an den Tisch gerollt wird, verfehlt seine Wirkung nicht. Wunderschöne Macarons und Pralinés werden vor uns ausgebreitet, effektvoll beleuchtet und in diversen Schubladen akkurat geschichtet. Mit Sicherheit ist dies eine der schönsten Präsentationen von Mignardises, die ich bisher erlebt habe. Sind dies die besten Macarons, wie häufiger behauptet wurde? Keine Ahnung. Aber sie sind auf jeden Fall ganz ausgezeichnet, wie alle übrigen Süßigkeiten auch.

Petits Fours Wagen
Petits Fours Wagen

Wow – was für ein Abend! Gerade wenn man mit hohen Erwartungen ein Restaurant zum ersten Mal besucht, ist die Gefahr einer potentiellen Enttäuschung naheliegend. Umso erfreulicher, wenn die Erwartungen dann doch mehr als erfüllt werden. Es waren nicht nur die ein, zwei Signature Dishes, auf die ich mich freute und tatsächlich so gut waren, wie erhofft. Nein, das Gesamtniveau war über den ganzen Abend beeindruckend. Unsere erste Dreisterne-Erfahrung in Paris hat uns eine sehr produktbezogene Küche präsentiert, die nicht auf Verfremdung oder übermäßige Kombinationen setzt.

Dass die von mir am häufigsten verwendeten Beschreibungen Klarheit und Präzision sind, kommt nicht von ungefähr. Eric Fréchon versteht es, die Hauptzutaten mit wenigen, extrem genau austarierten Mitspielern glänzen zu lassen. Das ist zutiefst klassisch und dennoch sehr modern und zeitgemäß. Gleiches gilt für die Präsentation, die nicht altbacken, aber auch nicht exaltiert daherkommt, sondern auf sehr sympathische Weise zeitlos. Und vielleicht kennzeichnet das die Küche von Eric Fréchon auch am besten: sie ist zeitlos und elegant wie ein Chanel-Kostüm.

Der Service verdient eine besondere Erwähnung. Abgesehen davon, dass ich mir mit meinem Französisch-Anflug selbst ein Bein gestellt habe, war das eine sehr entspannte, charmante und humorvolle Begleitung durch den Abend. Auch die Weinberatung war so wie sie sein soll: nicht herablassend, sondern den Geschmack des Gastes gut erfassend und nicht bevormundend beratend. Mit unserer Wahl eines 2010 Puligny-Montrachets von Jean-Marc Boillot und dem 2009 St. Joseph „Le Berceau“ von Bernard Gripa sind wir jedenfalls sehr zufrieden.

Zum Schluss werden wir am Tisch gleich von zwei Mitarbeitern gefragt, wie uns der Abend gefallen hat. Als ich erzähle, dass ich Geburtstag habe und es genau so war, wie ich es mir dafür gewünscht habe, ist man ehrlich bestürzt, dass ich das nicht bei der Reservierung angegeben habe. Ob es dem zu verdanken ist oder ob es jeder Gast am Ende erhält:, ist mir egal. Über die Tüte mit der Petits Fours Box zur Verabschiedung freue ich mich, als wäre sie nur für mich gedacht.

Das „Epicure“ war die richtige Wahl für diesen Abend. Teuer, sehr teuer sogar, aber auch gut. Sehr, sehr gut.

Details

Restaurant: Epicure
Adresse: 112 rue du Faubourg Saint-Honoré, 75008 Paris
Öffnungszeiten: Mittag: 12.00 - 14.00 Uhr
Abend: 19.30 - 22.00 Uhr
kein Ruhetag
Website: www.oetkercollection.com/destinations/le-bristol-paris/restaurants-bar/restaurants/epicure/

Schlagworte

, , , , , , ,

Verwandte Artikel


Kommentare

  1. Robert Löw am 7. Juli, 2023 um 14:50 Uhr.

    Die Beschreibung habe ich mit Freude gelesen. Und auch meinen Freunden weitergeleitet. Freue mich schon heute, auf den Besuch im Epicure. Habe schon mal vor Jahren dort eine Kleinigkeit gegessen. Damals noch 1 Stern. Aber schon damals dachte ich mir, das war so gut. Das ist ein 3 Sterne Niveau.

Dein Kommentar