Le Coquillage, Saint-Méloir-des-Ondes
Am 14. Oktober 2025 in Frankreich | 319 Aufrufe | 1 Kommentar
Schon als wir die Normandie durchqueren, reißt der Himmel auf. Als wir unser Ziel, das Château Richeux, nur einige Kilometer von Cancale, erreichen, breitet sich die Bretagne in all ihrer Pracht und Schönheit aus. Die Sonne taucht nicht nur das imposante Schloss, das als Relais & Château Hotel über 12 zauberhafte Zimmer verfügt, in strahlendste Farben. Das Meer ist weit weg, aber in der Ferne erkennen wir Mont Saint Michel. Am frühen Nachmittag ist der Restaurantbetrieb noch in vollem Gang, ganz offensichtlich bei ausgebuchtem Haus. Einige Gäste nehmen bereits ihren Kaffee im Garten ein. Wir erkunden derweil die weitläufige Parkanlage, mit zahlreichen Beeten, Gewächshäusern, Wiesen und einem eigenen Haus, in dem gebacken wird. Es ist, gerade bei solch einem perfekten Wetter, fast zu schön, um wahr zu sein.
Hier, an diesem etwas abgelegenen Ort auf einem Hügel, setzt Hugo Roellinger die Geschichte seines Vaters fort, der in Cancale, bereits in den Achtziger und Neunziger Jahren zu den anerkanntesten Köchen des Landes gehörte und 2006 mit drei Michelinsternen ausgezeichnet wurde. Allerdings schloss er sein Restaurant bereits zwei Jahre später wieder. Sohn Hugo, Jahrgang 1988, begann erst eine Laufbahn als Offizier der Handelsmarine, bevor er sich entschied, ebenfalls Koch zu werden. Mit 26 übernahm er die Leitung des „Le Coquillage“ und wurde noch im gleichen Jahr mit einem Stern ausgezeichnet. 2019 folgte der zweite, 2020 der grüne Stern und 2025 nun der dritte Stern. In Cancale betreibt man noch ein Bistro sowie einen Gewürzhandel.
Das Restaurant teilt sich auf zwei Räume auf, die bei Tageslicht Blick aufs Meer bieten. Aber für die ersten Snacks und den Apéritif beginnt man in separaten Salons.
Ein Duo aus Muscheln macht den Auftakt. Eine gratinierte Venusmuschel ist würzig-scharf und mit tiefgründigem Geschmack, während die kalte Miesmuschel etwas mediterraner ausfällt, aber ebenso facettencreich.
Ganz großartig die dünn aufgeschnittenen, geräucherten Makrelenscheiben mit feiner Pfeffernote und ausgezeichnetem Öl.
Es folgen noch ein Stück Gurke von ungewöhnlich fester Konsistenz in einer kräutrigen, aber dennoch schwer definierbaren Sauce und ein Kartoffelchip mit Alge und Pfeffer, der halb knusprig und halb weich ausfällt. Beides interessant, im positiven Sinn.
Jetzt wechseln wir in den Speisesaal an einen schönen Fensterplatz, der allerdings außer tiefer Dunkelheit um diese Zeit keine andere Aussicht bietet.
Das Menü „Au gré du vent et de la lune“, entfernt übersetzt mit „Im Spiel von Wind und Mond“, wie nahezu alle Gerichte poetisch umschrieben, wird mit 255 Euro berechnet, für französische Dreisterne-Restaurants nahezu ungewöhnlich preisgünstig, startet mit einer lauwarmen Brühe aus Pilzen und schwarzem Tee. Das ist leicht bitter, ungewöhnlich und für meinen Geschmack auch etwas gewöhnungsbedürftig.
Zur sehr guten Rohmilchbutter werden zwei Scheiben des hausgebackenen Brotes, eines natur und eines mit Algen, gereicht.
Im nächsten Gang spielt zunächst Rote Bete, die im Salzteig gegart wurde, die Hauptrolle. Kombualge, Limone und Ingwer sowie eine Vinaigrette von Rhabarberessig und Rose nehmen der Bete jegliche Schwere und Muffigkeit. Sie mutet mild und fast schon floral an.
Dazu gibt es eine sehr naturell gehaltene, fleischige Auster, die einen guten Kontrast zur Roten Bete darstellt und dann doch sehr schnell wieder den Bezug zum vor der Tür liegenden Meer herstellt.
Von den Bäumen des zum Haus gehörenden Obstgartens stammt der folgende Apfel, der zunächst komplett verschlossen präsentiert wird. Nimmt man den Deckel ab, finden sich darunter klein geschnittene Stücke von Kaisergranat mit Scheiben vom Rettich in einem Sud von fermentiertem Apfel, Ingwer und diversen anderen Zutaten, die ich mir nicht alle habe merken können. Das ist per se schon sehr gut, erneut recht pur und mit einem federleichten, nahezu ätherischen Aroma. In dem Moment, in dem man etwas Apfel mit auf den Löffel schabt, bekommt es aber einen ganz anderen, fast süßlichen Charakter. Sehr stark!
Der nächste, ebenfalls noch kalte Gang, kommt in zwei Teilen. Die aufgeschnittene Jakobsmuschel von fester Struktur findet sich in einer Beurre Blanc mit Öl von schwarzen Johannisbeeren. Aufgrund der Temperatur mutet das sehr ungewöhnlich an, aber eben auch sehr gut.
Separat dazu gibt es ein Chawanmushi mit sechs Monate gereiftem Kaviar und getrockneter, Jakobsmuschel, ebenfalls in Beurre Blanc. Hier sorgt die Kälte des Gerichts fast noch mehr dafür, dass alles etwas intensiver wahrgenommen wird. Feine Salzigkeit und sehr balancierte Säure bestimmen dieses spannende Geschmackserlebnis beider Teller.
Weiter geht es mit einer warmen Tartelette von gekochten Shrimps, die am Boden eine fabelhafte Creme von Brunnenkresse und Petersilie zeigt und die mit erstaunlich viel Kerbel belegt ist. Am Tisch wird dann noch eine sehr leichte Kartoffelmousseline darüber gegeben, so dass der Kerbel überhaupt nicht mehr dominant wirkt. Ein komplexes und doch ganz einfach zu verstehendes Vergnügen, das Löffel für Löffel Spaß macht.
Es folgt Seespinne mit konfiertem Eigelb und mexikanischem Chilipulver in einer mit Cidre basierten Brühe. Der Sud ist weder laut noch dominant, sondern punktet dezent mit Komplexität und lässt der Seespinne die Hauptrolle.
Im wahrsten Sinn abgründiger wird es mit dem Tintenfisch, der auf einem Kombualgenblatt serviert wird. Er ist in dünnen Streifen geschnitten, sehr zart und dennoch angenehm bissfest mit Algen in Lorbeeröl und Assam-Pfeffer. Darauf ein durchaus kräftiger, aber schwer zu identifizierender Schaum von schwarzem Kardamom. Abgerundet wird alles von einer intensiven Oktopusbrühe, die dem Gericht tatsächlich einen dunklen, tiefen Charakter verleiht.
Den Abschluss der herzhaften Gerichte bildet eine Variation rund um Hummer. Auf dem ersten Teller kommt er, in bereits vorgeschnittenen Stücken gegrillt und mit XO-Sauce bestrichen, was ihm einen sehr rauchigen und umamistarken Auftritt verleiht. Die Krustentiersauce dazu wurde mit drei verschiedenen Chilisorten aromatisiert, ohne dass es aber scharf, sondern nur angenehm pikant bleibt.
Die kleinen Scherenstücke auf dem kleinen Teller werden lediglich mit Scheiben von gelber Tomate und Oxalisblättern serviert. Das fällt ziemlich neutral aus, so als sollte es als beruhigendes Element zum gegrillten Hummer dienen.
Der dritte Teller präsentiert dann die großen Scherenstücke in einer sehr reichhaltigen Buttersauce mit Tomate und tatsächlich 25 (!) Chilisorten. Hier haben wir jetzt endlich markante, aber auch nicht nur oberflächliche, Schärfe.
Neben der ausgezeichneten Hummerqualität gefällt an diesem Gang vor allem das spannende Wechselspiel von kraftvoll über ruhig bis zu aufwühlend.
Den mit ausschließlich bretonischen Sorten bestückten Käsewagen, den man an dieser Stelle zusätzlich bestellen könnte, lassen wir aus, da wir bereits ziemlich gut gesättigt sind und gehen direkt zum süßen Teil über. Der startet mit einem hauchdünnen Cornet, gefüllt mit blumiger, leichter Honigmousse und -pollen aus eigener Ernte.
Für das erste Dessert muss ich zunächst googeln, um den Titel zu verstehen. Hinter Laminaria digitata verbirgt sich die Hauptzutat, nämlich Fingertang, der hier als Eis verarbeitet wurde. Dazu gesellen sich ein Monat gereifter Ossietrakaviar aus der Aquitaine, dünne Algen, Haselnuss- und Algenpulver. Abgerundet wird das Ganze durch eine sehr reichhaltige Salzkaramellsauce, die den dezenten Meeresgeschmack wieder zurück in den Dessertbereich holt. Wie sich hier Salziges und Süßes miteinander verbinden, ist höchst ungewöhnlich, aber spannend und sehr gut gelungen.
Der Jahreszeit passend bekommt Birne ihren Auftritt. Zunächst in kandierter Form in etwas kaubedürftigen Teigblättern. Erfrischender dagegen das Birnensorbet mit Birnencreme und Oxalis sowie das Granité von Yuzu und Birne. Das ist nicht besonders komplex, aber an dieser Stelle ein willkommener kühler Ausklang.
Den finalen Abschluss liefert dann eine Île flottante mit perfekter Crème anglaise und sehr intensivem Vanillearoma. Darauf eine federleichte Eischneehaube, die leichten Crunch bietet. Das alleine ist schon zum Reinlegen gut. Aber in Kombination mit der dazu bereitgestellten warmen Infusion aus Rum, Cidre und Gewürzen wird das mehr als fabelhaft. Schlichtweg großartig.
Viele Köche schreiben sich Regionalität auf ihre Fahnen, aber selten hat man, dass dies so erlebbar ist, wie hier. Bei vielen Gerichten schmeckt man das Meer auf der Zunge und auch wenn man es in der Dunkelheit nicht sehen kann, fühlt man es. Nicht alles an diesem Menü war für mich eine Offenbarung, aber viele Gänge waren ausgezeichnet und sogar mehr. Allen gemeinsam war, dass hier ein Koch am Werk ist, der eine ganz klare Vorstellung davon hat, wie er die Produkte seiner Heimat fantasievoll und bestmöglich in Szene setzen will. Hugo Roellinger zeigt hier eine sehr individuelle und eigene Handschrift, was alleine schon die Reise wert ist.
Als wir wieder in unserem Zimmer sind, hat der Wind merklich aufgefrischt. Das Meer kommt scheinbar wieder zurück. Am nächsten Morgen ist alles wieder ruhig. Die Sonne strahlt erneut. Es ist ein magischer Ort.
Details
| Restaurant: | Le Coquillage |
| Adresse: | Le Buot, 35350 Saint-Méloir-des-Ondes |
| Öffnungszeiten: | Dienstag - Samstag: 12.00 - 13.00 Uhr & 19.30 - 20.15 Uhr Sonntag + Montag: Ruhetag |
| Website: | www.maisons-de-bricourt.com/fr/page/le-coquillage |
Schlagworte
3 Michelin Stars, Bretagne, Château Richeux, Hugo Roellinger, kreativ, Le Coquillage, Meeresfrüchte
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