Jordnær, Gentofte

Erzählt man Freunden, dass man vor allem zum Essen nach Kopenhagen fährt, ist die erste Frage, ob man in’s „Noma“ geht. Vielleicht wird auch noch das „Geranium“, gerade auf Platz 1 der „World‘s 50 Best Restaurants“-Liste gewählt oder das „Alchemist“, immerhin aktuelle Nr. 1 der europäischen OAD-Liste (Opinionated About Dining), genannt. Alles sicher hoch spannende Adressen und jeden Besuch wert. Unser Interesse gilt jedoch dem „Jordnær“, gelegen in Gentofte, einem Vorort von Kopenhagen und in einem von außen mehr als schlichten Dreisterne-Hotel untergebracht.

Nichts deutet daraufhin, dass sich hier eines der besten Restaurants Europas befindet, von dem viele sagen, dass es der nächste Dreisterner in Skandinavien sein könnte. Im Jahr der Eröffnung 2017 bekam es den ersten Stern, seit 2020 hält es zwei Sterne. Auch das „Jordnær“ hat es übrigens mit Platz 38 erstmals in die durchaus umstrittene, aber dennoch prestigeträchtige „World’s 50 Best“-Liste geschafft. Für unsere Wahl spielt das jedoch keine Rolle, außerdem war das zum Zeitpunkt unseres Besuches auch noch gar nicht bekannt.

Obwohl wir mit dem Taxi zwanzig Minuten vor der reservierten Zeit ankommen, werden wir bereits an der Tür von einer deutschsprachigen Mitarbeiterin mit Namen begrüßt. Und der herzliche Empfang setzt sich auch im Restaurant durch Tina Kragh Vildgaard fort, mit der bereits im Vorfeld ein sehr sympathischer email-Austausch stattfand, der zwar die üblichen Fragen nach Allergien abklärte und trotzdem sehr persönlich ausfiel. Es sind diese Kleinigkeiten, die deutlich machen, dass nicht nur das Essen auf dem Teller hier höchsten Ansprüchen genügen soll.

Der Gastraum verströmt nordische, unaufdringliche Eleganz. Es gibt ein gesetztes Menü (ca. 400€, zum Zeitpunkt unseres Besuches noch etwa 360€), grundsätzlich fleischlos, das nicht mit feinsten Zutaten, darunter viel Kaviar, spart.

Interieur
Interieur

Schon der erste Gang, ob es sich hier um ein Amuse Bouche oder bereits einen regulären Gang handelt, spielt eigentlich keine Rolle, lässt mich ob der einnehmend schönen Präsentation den Atem anhalten. Der Salat von der Königskrabbe, bedeckt mit einem Gelee von Muscheln und Sake, ist trotz des cremigen Grundcharakters von frischem Charakter und lässt die Komponenten klar erkennen.

Königskrabbe - Miesmuschel - Sake
Königskrabbe - Miesmuschel - Sake

Auch die Tartelette mit Hummer und einer großzügigen Portion Forellenkaviar ist wunderbar. Im durchaus kompakten Snack kontrastiert eine überraschende Salzigkeit fein mit der Süße des Hummers. Einfach ausgezeichnet.

Hummer - Yuzu - Forellenkaviar
Hummer - Yuzu - Forellenkaviar

Eine weitere Tartelette mit Tatar vom Balfego Thunfisch auf Soyamayonnaise und Myoga sowie Beluga Kaviar steigert die Intensität deutlich, bleibt aber weiterhin auf der sehr eleganten Seite. Eric Vildgaards Vorliebe für Kaviar werden wir im Laufe des Menüs noch häufiger erleben.

Balfegó Thunfisch - Beluga Huso Huso - Shoyu
Balfegó Thunfisch - Beluga Huso Huso - Shoyu

Die folgende Waffel aus japanischem Bierteig gehört bereits zu den Signature Dishes im „Jordnær“. Nur bedeckt von einer erneut großzügigen Portion Baeri-Kaviar lässt sie kaum erahnen, was in ihr steckt. Tatsächlich ist sie von unten gefüllt mit einer Creme von Shrimps und Schnittlauch und liegt unerwartet schwer in der Hand. Die Befürchtung, dass dies ein fragiles Konstrukt sein könnte, das einem beim ersten Biss unter den Fingern zerbröseln könnte, verfliegt sofort, denn die Waffel präsentiert sich trotz des hauchdünnen Teigs als außerordentlich stabil und bekommt mit dem Kaviar eine fulminante Ergänzung. Eine extrem harmonische und handwerkliche Glanzleistung, die in Textur und Geschmack nicht zu verbessern ist.

Rosettenwaffel - Baerri Elegance - Fjord Shrimps
Rosettenwaffel - Baerri Elegance - Fjord Shrimps

Dass im nächsten Gang Jakobsmuschel serviert wird, ist auf den ersten Blick gar nicht zu erkennen. Die leicht marinierten Scheiben sind unter japanischen Rosenblättern auf einem Spieß befestigt, der sich auf einem Glas mit einer klaren, aber deutlich öligen Flüssigkeit befindet. Es handelt sich um einen Sud von weißen Johannisbeeren und Hibiskusöl, was dem fruchtigen Geschmack eine mundfüllende Reichhaltigkeit verleiht. Das steht in schönem Kontrast zu der super frischen Jakobsmuschel.

Jakobsmuschel - Rose - Weiße Johannisbeere
Jakobsmuschel - Rose - Weiße Johannisbeere

Eric Vildgaard serviert viele seiner Gerichte in recht tiefen Tellern, was den Eindruck erweckt, dass die Portionen relativ klein sind. Tatsächlich aber befindet sich unter der oft unscheinbaren Oberfläche in der Regel noch Überraschendes.

Die wunderhübsch mit Blüten und Kräuterblättern ausdekorierte, gelierte Langustinen-Essenz, die aus den Köpfen und Schalen gezogen und mit Cognac abgeschmeckt wurde, bedeckt ein ganz feines Tatar vom Kaisergranat, das nahezu eine Mousse-artige Konsistenz hat. Angegossen wird eine klare Marinade von Marindatomaten aus Sizilien und Olivenöl. Erneut sind hier alle Komponenten ganz rein herauszuschmecken. Intensiver Tomatengeschmack geht einher mit feiner Süße des Kaisergranats und dem kräftigen Charakter des konzentrierten Gelees. Es ist prägnant und elegant, ohne dass sich hier etwas in den Vordergrund drängt.

Langustinen Essenz - Marinda Tomate - Olivenöl
Langustinen Essenz - Marinda Tomate - Olivenöl

Mit dem folgenden Gang zollt Vildgaard seiner Zeit im „Noma“ Tribut und versteht ihn als Reminiszenz an die Nordic Cuisine. Die flach geschnittene Auster ist bedeckt von einem Sud aus Buttermilch und Meerrettichsaft, ergänzt um Wasabiöl und Dill. In einer ähnlichen Variation dieses Gerichtes spielen Fjord-Garnelen eine entscheidende Rolle, aber auch mit der Auster als Protagonist ist dies eine wunderbare, kräftige Komposition, die zum Lieblingsgang meines Mannes wird.

Auster - Meerrettich - Dill
Auster - Meerrettich - Dill

Von betörender Schönheit präsentiert sich auch der nächste Teller, der erneut seine ganze Vielfalt erst preisgibt, wenn man sich mit dem Löffel durch alle Schichten gearbeitet hat. Am Boden gibt es wieder Kaviar, darauf grüner Spargel, in der linken Hälfte eine Mousseline von Bachkresse mit Noilly Prat-Schaum, in der rechten Hälfte diverse Wildkräuter. Es ist schon erstaunlich, wie klar die einzelnen Geschmäcker heraus gearbeitet sind. Kaviar wird nie zum Selbstzweck eingesetzt, sondern mehr als Würzmittel. Ein weiteres Beispiel perfekten Handwerks.

Grüner Spargel - Brunnenkresse - Noilly Prat
Grüner Spargel - Brunnenkresse - Noilly Prat

Optisches Understatement zeichnet auch den folgenden Gang aus. Unter der Hollandaise auf Basis von Grapefruit findet sich fein gezupfter Hummer, darauf eine Panna Cotta von weißem Spargel und Grapefruitgelee. Das ist komplex und vielschichtig, changiert zwischen süß und bitter und ist einfach nur exzellent.

Spargel - Grapefruit - Hummer
Spargel - Grapefruit - Hummer

Kaviar, auch bisher im Menü schon nicht wirklich unterrepräsentiert, spielt jetzt die Hauptrolle. In einen großzügig bemessenen Ring aus Ossietra-Kaviar aus Bulgarien gibt der Service eine mit Walnuss aromatisierte Milch, die den nussigen Charakter perfekt unterstützt.

Ossietra Imperial - Walnuss
Ossietra Imperial - Walnuss

Dass die Produktqualitäten im „Jordnær“ über jeden Zweifel erhaben sind, belegt auch das nächste Gericht mit Hamachi Akami, also dem Rücken von der Gelbschwanzmakrele, der vier Tage gereift ist und damit eine wunderbar feste Textur erhält. Ponzu sorgt für Säure und Frische, Austerncreme am Boden für jodige Fülle, Sesam ist gut eingebunden und Wasabi ist so fein dosiert, dass in Summe wieder ein hoch elegantes Gesamtbild entsteht.

Hamachi Akami - Sesam - Ponzu
Hamachi Akami - Sesam - Ponzu

Über das Brot hier wurde an anderer Stelle schon viel Richtiges geschrieben. Dass es an dieser Stelle des Menüs kommt, mag etwas eigenwillig erscheinen, aber als Übergang von den kalten zu den warmen Gerichten passt es dann doch wieder. Zum Brot: Der Service erklärt, dass man austesten wollte, wieviel Butter man in einem Brioche unterbringen kann, ohne dass der Teig beim Backen auseinander bricht. Als wäre dieses Brot nicht per se schon sensationell genug, reicht man dazu ein Stück Butter einer kleinen Manufaktur, perfekt gesalzen und mit leichter Säure, die ohne Zweifel zu den besten gehört, die ich je gegessen habe.

Dass der Service danach feuchte Handtücher reicht, ist nicht nur logisch, sondern vor allem notwendig.

Der erste Hauptgang präsentiert ein Stück fabelhaften Steinbutt mit einer Farce aus den Abschnitten, Trüffel und Bärlauch. Dazu gibt es eine Sauce auf Basis von Butter und Trüffel sowie ein Schaum von Vin Jaune. Das ist von einnehmendem Wohlgeschmack, sehr harmonisch und – verwundert es noch jemanden – von bestechender Eleganz. Ich wüsste nicht, was man an diesem Gericht verbessern könnte.

Steinbutt - Trüffel - Vin Jaune
Steinbutt - Trüffel - Vin Jaune

Den Abschluss der herzhaften Gänge markiert eine gegrillte Langustine mit Beurre Blanc und Schaum von Yuzu-Koshi. Etwas Chili steuert eine prägnante Schärfe bei. Das ist ein ausgewogenes Spiel von Röstaromen, Fülle, Spicyness und Säure. In seiner Reduziertheit beeindruckend und trotzdem vielschichtig. Fabelhaft.

Langustine - Yuzu - Koji
Langustine - Yuzu - Koji

Ganz der Jahreszeit widmet sich das erste Dessert. Eine großzügig bemessene Portion von intensiven Mara de Bois Walderdbeeren auf einer Creme sowie Eis von Erdbeeren, Rhabarbersirup und Hagebutte sind eine herrliche Erfrischung, in der die herausragende Produktqualität die Hauptrolle spielt.

Mara de Bois - Rhabarber - Hagebutte
Mara de Bois - Rhabarber - Hagebutte

Im zweiten Dessert wird es mit Milcheis und Halbgefrorenem von tasmanischem Honig sowie Sud von Kamilleblüten deutlich süßer, aber noch so, dass es ok ist. In jedem Fall ist auch dies nicht zu schwer.

Kamille - Milch - Honig
Kamille - Milch - Honig

Den finalen Abschluss bilden mit Canelés, Madeleines, Fruchtjelly sowie einer Tarte mit Creme einige klassische Petits Fours, die das hohe Niveau nahtlos halten.

Petit Fours
Petit Fours

Was Eric Vildgaard im „Jordnær“, der Begriff steht sinngemäß für Bodenständigkeit und Bescheidenheit, auf die Teller zaubert, ist zwar weder wirklich bodenständig noch bescheiden, aber es passt dennoch gut zum Stil der Küche. Die Gerichte sind zu einem großen Teil von fast schon provozierender Reduziertheit, hinter der sich aber durchgehend ein komplexes und feinst durchdachtes Geschmacksbild verbirgt. Selten habe ich Gerichte von so klarem und purem Geschmack erlebt. Die Produktqualitäten befinden sich auf einem Niveau, das man so bestenfalls von Christian Bau kennt. Dass die beiden eine Freundschaft verbindet und Vildgaard in diesem Jahr bei ihm bereits zum zweiten Mal zu einem Four Hands-Dinner kommt, kann da nicht verwundern.

Unser Menü im „Jordnær“ hat meine Erwartungen mehr als erfüllt und mich mehr als einmal mit offenem Mund staunen lassen. Dass es bei 17 Gängen keinen einzigen Durchhänger gab, ist mehr als erstaunlich und zeugt von dem außergewöhnlichen Können und Niveau in diesem beeindruckenden Restaurant.

Dass der Service in diesem Haus von der Begrüßung bis zum Abschied von großer Herzlichkeit geprägt ist, soll nicht unerwähnt bleiben. Ob es die Köche sind, die die Gänge erklären oder jemand aus der Service-Brigade: alle strahlen und vermitteln eine Freude daran, dem Gast einen wunderbaren Abend zu bereiten, dass sich das unmittelbar überträgt.

Zum Abschied gibt es für den nächsten Tag ein Brot sowie ein Stück der grandiosen Butter. Eine bessere Erinnerung hätte man sich kaum wünschen können.  

Details

Restaurant: Jordnær
Adresse: Gentoftegade 29, 2820 Gentofte
Öffnungszeiten: Dienstag - Freitag: ab 18.00 Uhr
Jeden 1. Samstag im Monat Lunch: ab 13.00 Uhr
Samstag-Montag: Ruhetag
Website: www.restaurantjordnaer.dk/

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