La Vie, Osnabrück (geschlossen)
Am 17. September 2015 in Deutschland | 3059 Aufrufe
Osnabrück mag eine historisch bedeutsame Stadt sein. Schön indes ist sie nicht. Vielleicht ist das der Grund, warum es tatsächlich schon wieder fünf Jahre her ist, dass wir das letzte Mal hier waren. Dabei gibt es mit dem „La Vie“ eigentlich einen guten Grund, öfter zu kommen, denn das Essen hier hat uns auch beim letzten Mal sehr gut gefallen. Ob Thomas Bühners Küche immer noch so verspielt und kleinteilig daher kommt, wie ich sie in Erinnerung hatte, war also wert, mal wieder zu überprüfen.
Die Entscheidung fiel kurzfristig. Freitags gebucht, samstags gefahren. Ist es ein bedenkliches Zeichen, dass man in einem der besten Restaurants des Landes auch so kurzfristig noch einen Platz bekommt? Verbuchen wir es als Glück, denn am Tag selbst sind alle Tische belegt. Der Westfale ist also doch genussfreudiger, als man denken mag.
Und generell ist die Stimmung im „La Vie“ durchaus sehr entspannt. Jazzige Lounge-Musik beschallt das edle klassizistische Haus. Thomas Bühner huscht noch schnell durch die Räume und wünscht uns bei Ankunft viel Vergnügen. Er wird Recht behalten.
Schon die Auster zum Champagner gefällt durch eine satte Süffigkeit und pointierte Würze. Als Amuse Bouche dann eine Rote Bete Gazpacho mit Wildlachs und Pistazienöl. Ein kleines, aber sehr fein austariertes Gericht, bei dem sich angenehm dosierte Schärfe und Frische gekonnt die Balance halten.
Das eigentliche Menü startet dann mit gebeiztem Loup de Mer mit Blumenkohl, Quinoa und Zitrone. Spätestens jetzt wird klar, dass sich an der Kleinteiligkeit nicht viel verändert hat. Der Teller ist wunderschön anzusehen und bietet mit seinen mindestens 15 Komponenten zahlreiche Möglichkeiten, den gebeizten Fisch mit all seinen Gemüsekomponenten quer zu kombinieren. Nicht zu vergessen, das separat gereichte sensationelle Algenbrot, das mehr als nur eine banale Sättigungsbeilage ist, sondern eine sinnvolle Ergänzung mit dem sehr ausgeprägten Geschmack nach Meer.
Die Langustine, ein beeindruckendes Prachtexemplar, begeistert mit einer kräftigen Rauchnote, das sich harmonisch an die exzellenten gegrillten Gemüse legt. Dazu passen auch perfekt die gerade richtig dosierten kleinen Stücke gepoppter Schweinekruste. Sowohl der Bulgur, als auch die verschiedenen Cremes sind nicht Selbstzeck für die erneut bestechende Optik, sondern haben alle ihren Zweck. Dies sind ausgeklügelte Gerichte, bei denen alle Komponenten ihre Berechtigung haben.
Streberteller – ja. Aber mit Sinn und Verstand!
Wir schieben zum kleinen Mittagsmenü noch die Taubenbrust aus dem großen Menü ein. Sous vide gegart und perfekt rosa wird sie begleitet von einer unglaublich intensiven, klassischen Sauce und einer fabelhaften Mais-Variation, die das Gericht nicht, wie es zu erwarten gewesen wäre, ins Süße verschiebt, sondern in sich einfach nur harmonisch und rund bleibt. Der Gänseleber-Cracker, der zu Beginn zu essen ist und die Gänseleber in weißer Schokolade (in Maisform), die man im Anschluss essen soll, geben dem Ganzen noch einmal eine unerwarteten Twist. Das ist sehr, sehr gut.
Und genau so geht es weiter. Das Lamm, als Nacken geschmort, als Rücken rosa gegart sowie als Tatar kommt mit einer ausschweifenden Variation von Süßkartoffel – oder war es doch Kürbis – und diversen Schäumen, Saucen und Tupfen. Schade fast, dass nicht alles en detail erklärt wird. So muss man sich selbst durchtasten durch eine bunte Wundertüte, die einen aber nie enttäuscht. Im Gegenteil – das ist handwerklich und kompositorisch großes Kino.
Das Dessert sieht dann zunächst unspektakulärer aus als es ist. Aber wenn sich die Whiskey-Sphäre als dickflüssige Emulsion um die anderen Komponenten legt, bekommt die luftige Mascarponecreme und das frische Eis von grünen Tomaten eine unerwartete Tiefe und wird zum süffigen Vergnügen, durch das man sich einfach nur durchlöffeln möchte.
Ein paar feine Petit Fours beenden einen genussvollen Mittag – fast. Denn zum Abschluss wird noch der mit traumhaft dragierten Piemonteser Haselnüssen gefüllte Kaugummiautomat auf den Tisch gestellt. Definitiv ein Spielzeug mit Suchtpotential.
Was bleibt als Fazit? Thomas Bühners Gerichte mögen verspielt und allzu kleinteilig wirken. Ich mag das, denn es ist nicht Selbstzweck, sondern fein und sehr bedacht komponiert. Jeder Gang besticht durch ausgefeilte Zusammenstellung von Konsistenzen und Temperaturen. Wenn der Service jetzt noch ein wenig lockerer würde und etwas erklärungsfreudiger, auch beim Wein, stünde das dem „La Vie“ gut zu Gesicht. Sven Oetzel hat als Sommelier eine gelungene Weinbegleitung gefunden und strahlt eine deutlich sichere Souveränität aus als bei unserem, zugegeben, schon länger zurück liegenden letzten Besuch. Davon darf sich gerne mehr auf den übrigen Service übertragen.
Osnabrück? Nun ja, nicht unbedingt schön, aber auf jeden Fall lecker. Es wird mutmaßlich nicht wieder fünf Jahre dauern, bis wir wieder kommen.
Details
Restaurant: | La Vie |
Adresse: | Krahnstraße 1, 49074 Osnabrück |
Öffnungszeiten: | Dienstag bis Samstag ab 19 Uhr Freitag und Samstag ab 12 Uhr Sonntag und Montag Ruhetage |
Website: | www.restaurant-lavie.de |
Schlagworte
3 Michelin Stars, Fine Dining, kreativ, La Vie, Michelin, Osnabrück, Thomas Bühner
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