
L’Alchémille, Kaysersberg
Am 15. August 2020 in Frankreich | 3071 Aufrufe | 3 Kommentare
Das Elsass ist voll von pittoresken Ortschaften und Kaysersberg ist sicherlich eine der eindrucksvollsten davon. Die Massen an Touristen, die sich täglich über das Kopfsteinpflaster schieben und vor der massiven Brücke in der Ortsmitte das Postkartenmotiv mit romantischem Bächlein und Fachwerkfassade ablichten, gibt reichlich Zeugnis davon. Wo viele Menschen verkehren, ist die Nahrungsversorgung in der Regel auf das kompatible, fleischlastige Regionalprogramm aus Choucroute garnie, Presskopf, Flammkuchen & Co. beschränkt.
Eine Ausnahme stellt das etwas abseits des Ortszentrums gelegene „L’Alchémille“ dar, in dem Jérôme Jaegle seine sehr eigenständige Regionalküche praktiziert. In und um Kaysersberg bewirtschaftet er fünf Gärten, so dass er sich weitgehend autark mit Gemüsen, Kräutern und Obst versorgen kann. Fleisch und Fisch werden ebenfalls aus der Nähe bezogen.
Bei schönem Wetter kann man bereits im Garten des Restaurants seinen Apéritif einnehmen und sich auf diese Naturküche einstimmen. Zwei Überraschungs-Menüs in unterschiedlicher Größe stehen zur Auswahl, Alchémille (82€) und Du Cueilleur (98€), die das tagesfrisch verarbeiten, was die Gärten halt so hergeben.
Wir erwarten also viel Gemüse und die ersten Snacks stimmen uns darauf bereits ein. Gepickelte Zucchini und Mangold mit grobem Senf, eine Waffel mit einer Creme aus dem namensgebenden Frauenmantel (L’Alchémille) und ein Cracker mit Kräutercreme und Blüten sind nicht nur bildhübsch anzusehen, sondern auch von intensivem Geschmack.
Auch das Amuse Bouche, das mit Kartoffelschaum, Brotcroutons und Sauerklee relativ einfache Zutaten in den Mittelpunkt stellt, entpuppt sich als luftig und gleichzeitig füllige Angelegenheit, die einfach nur lecker ist.

Für das Menü wechseln wir nach innen, wo schon bald ein Wagen mit einem mächtigen Butterberg an unseren Tisch gerollt wird. Die ist kräftig abgeschmeckt und macht mit dem ausgezeichneten Brot viel Freude.

Zucchini gehört für mich eigentlich zu den Gemüsen, die ich verhältnismäßig langweilig finde. Jérôme Jaegle versteht es aber, mir hier eine ganz neue Dimension zu eröffnen. In dünnen Scheiben geschichtet und mit einer ganz punktuellen Salzigkeit durch den Forellenkaviar sowie Schärfe durch Schnittlauch, ist dies ein ganz wunderbarer und vielschichtiger Auftakt.

Mit Karotte, Rote Bete und Holunderbeeren geht es weiter. Ein schönes Texturspiel und erdige, ausgewogene Aromen bestimmen das schöne Gericht.

Im nächsten Gang ist zwar ein nicht näher bezeichneter Süßwasserfisch verarbeitet, mutmaßlich in den zwei Mousse-artigen Pralinen, aber das ist gar nicht explizit zu erschmecken. Dazu gesellen sich gedörrte Tomate und ein fermentierter Karottensud. Das ist kühl, frisch und hocharomatisch und beweist, dass eine tierische Zutat nicht zwangsläufig die Hauptrolle in so einem Gericht spielen muss.

Ganz auf ein Produkt konzentriert geht es weiter. In Pergament werden mit Zitronenmelisse gedämpfte Stangenbohnen gebracht. Auf dem eigentlichen Teller gibt es dazu zweierlei Kräutercremes, die den Bohnengeschmack gut unterstützen. Eine sehr gute Produktpräsentation.
Die Lachsforelle kommt aus dem Nachbarort und Jérôme Jaegle gart sie perfekt, innen saftig und mit krosser Haut. Ein Mangoldbällchen ist mit Mangoldstücken und Petersilie gefüllt. Angegossen wird eine hoch aromatische Suppe von Zwiebeln und wildem Thymian. Optisch ist das vielleicht nicht der größte Burner, aber in Summe ist das ein ganz wunderbarer Gang!

Dass sich auf dem nächsten Teller die Quintessenz des Elsass befindet, ist unter der grünen Kräutersauce nicht auf den ersten Blick zu erkennen, aber darunter befindet sich feiner Kalbskopf mit Schwarte und eine Woche fermentiertes, neues Sauerkraut, dazu Bärlauch und Lauchblätter. Die Bärlauchblüten sind eingelegt, aber immer noch geschmacklich sehr typisch. Sauerkraut und Kalbskopf könnten eine sehr deftig, rustikale Angelegenheit sein. Hier jedoch ist das sehr elegant gelöst und zeigt uns das Elsass in einer ausgesprochen zeitgemäßen Form.

Auch der Hauptgang stellt ein ganz typisches regionales Produkt in den Mittelpunkt, nämlich den Elsässer Schinken, etwas irritierend kegelförmig wie eine überdimensionierte Karotte geformt, dafür mit einer Ummantelung aus Popcorn spannend gewürzt. Der Schinken selbst ist sehr zart und eine erfreuliche Alternative zu den sonst üblichen Edelzutaten, die uns sonst begegnen. Ein veritabler Kracher ist allerdings der Maiskolben als Beilage, normalerweise nicht unbedingt mein Lieblingsgemüse, hier aber mit einer betörend köstlichen Auflage aus Zwiebelcrunch und Estragoncreme versehen, so dass es schlichtweg der beste Maiskolben ist, den ich je gegessen habe. Originell und sehr, sehr gut!

Zu diesem Zeitpunkt ziehen wir am Tisch ein Zwischenfazit und sind sehr begeistert von dem tollen Konzept. Dies ist eine alles andere als asketische Küche, bei der man sich auf den jeweils nächsten Gang freut, weil alles sehr kreativ gestaltet ist und die Gerichte viel Genuss bereiten.
Und so sind wir gespannt, wie Jérôme Jaegle den Käsegang präsentiert. Es gibt eine Scheibe leicht angewärmten Tomme, unter dem sich Würfel vom Käse, Kräuter und Brombeersauce finden. Eine stimmige, würzige Kombination.

Als Pré-Dessert serviert die Küche Gurke als Eis und einen Sud aus Gurke und Basilikum mit einem Marshmallow-Ring. Das ist unkompliziert und erfrischend.

Das eigentliche Dessert wird in mehreren Teilen gleichzeitig serviert und kreist natürlich um Früchte aus dem Garten.
Dazu gehören ein ausgezeichnetes Eis von Verbene mit Granola, ein Kompott von Mirabellen mit einem malzartigen Cracker, ein Tempura sowie ein Blumenwasser, das aromatisch einem kühlen Tee ähnelt.
Vor allem die Mirabellen wecken Kindheitserinnerungen bei mir, denn wie oft habe ich Kompott in genau dieser Form – allerdings ohne den leckeren Cracker – auf dem Tisch gehabt. Bilder von unzähligen Weckgläsern im Keller gehen mir durch den Kopf. Unabhängig davon ist dies eine originelle und jahreszeitlich passende Präsentation.
Den regionalen und zutiefst naturbezogenen Charakter des Menüs unterstreicht auch der letzte Akzent, den der Service zum Kaffee setzt. Direkt aus der Wabe wird ein Stück Berghonig geschnitten. Für uns Stadtkinder ist das eine durchaus ungewöhnliche Erfahrung, auch wenn man, zumindest im Fernsehen, schon mal eine Honigwabe gesehen hat. Aber geschmacklich ist das schon interessant, auch wenn ich gar nicht so sehr auf derart konzentriert Süßes stehe.

Damit geht ein spannendes Menü zu Ende, das uns sehr begeistert hat. Jérôme Jaegle versteht es, ein Menü zu gestalten, in dem Fisch und Fleisch nicht wirklich die Hauptrolle spielen und das trotzdem nichts vermissen lässt. Der Genuss- und Kreativfaktor ist ausgesprochen hoch und insofern ist dies eine sehr zeitgemäße Küche, gepaart mit fabelhaftem Handwerk.
Der Service bleibt etwas zurückhaltend, was möglicherweise der Sprachbarriere geschuldet ist, aber er agiert freundlich und aufmerksam. Dass das „L’Alchémille“ mittlerweile zu mehr als einem Geheimtipp geworden ist, können wir jedenfalls nach diesem Abend sehr nachvollziehen.
Details
Restaurant: | L'Alchémille |
Adresse: | 53 route de Lapoutroie, 68240 Kaysersberg |
Öffnungszeiten: | Donnerstag - Samstag 12.00 bis 13.30 Uhr & 19.15 bis 20.45 Uhr Sonntag 12.00 bis 13.30 Uhr Montag - Mittwoch: Ruhetag |
Website: | www.lalchemille.fr/de/ |
Schlagworte
Elsass, Gemüse, Jérôme Jaegle, Kaysersberg, kreativ, L'Alchémille, Michelin, regional
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Ein sehr schönes Menü! Ich muss wohl wirklich mal ins Elsass!
Man kann aus jeder Zeile die Begeisterung und auch etwas Überraschung herauslesen, wie gut diese moderne (nicht modernistische) Regionalküche funktioniert.