Pure C, Cadzand

Cadzand ist die südlichste Gemeinde der Niederlande und ein typischer Ferienort mit langem Sandstrand, wenigen Geschäften, umso mehr Restaurants und ebenso vielen Hotels und Ferienwohnungen. Der Architektur wegen kommt man nicht hierher. Sie vereint die üblichen Bausünden der Siebziger und Achtziger Jahre. Auch das zentral gelegene Strandhotel macht da keine Ausnahme. Schön geht anders. Und doch ist es Ziel für viele internationale Gourmets. Der Grund hat einen Namen: Sergio Herman.

Außenansicht
Außenansicht

Schon zu Zeiten, als er noch das legendäre „Oud Sluis“ im benachbarten Sluis bespielte, hatte er hier 2010 ein Zweitrestaurant eröffnet und es in die Hände von Syrco Bakker gegeben, der viele Jahre an seiner Seite kochte und zudem über Stationen bei Jean-Georges Klein, Jonnie Boer und Gordon Ramsey verfügt. Offenbar hatte Herman aber bereits zu dem Zeitpunkt viel langfristigere Pläne, an der Weiterentwicklung von Cadzand mitzugestalten. Von einem Um- und Neubau des Strandhotels mit Hermans Haus- und Hofarchitekten Piet Boon war bereits vor vielen Jahren die Rede. In diesem Sommer nun ist der Neubau tatsächlich fertig. In der Zwischenzeit hat die Gemeinde eine Marina angelegt, die von einem ins Meer hineinragenden Restaurant flankiert ist, das ebenfalls von Sergio Herman konzipiert wurde und dessen Küche von einem seiner früheren Köche geleitet wird. Auch das „AIRrepublic“ hat mittlerweile, wie das „Pure C“ seinerzeit bereits im ersten Jahr einen Michelin-Stern erkocht.

Wir sind an diesem Ostersonntag Mittag zum dritten Mal im „Pure C“, wobei der letzte Besuch nun auch schon wieder drei Jahre her ist. Das Ambiente im Wintergarten-ähnlichen Anbau ist in der Zwischenzeit noch ein wenig luftiger gestaltet worden. Geblieben ist die Aussicht auf die Dünen und das Meer. Musik, Atmosphäre, Einrichtung – alles wirkt modern, hip, loungig und steht in krassem Gegensatz zu dem biederen äußeren Anblick. Wir fühlen uns sofort wieder wie zuhause und rundum wohl. Woran auch der wie immer super freundliche Service unter der Leitung von Maarten Buysse seinen Anteil hat, der uns, als er an unseren Tisch kommt, nach minimalem Überlegen, wieder erkennt und sich sichtlich freut. Reife Leistung dafür, dass unser letzter Besuch so lange her ist und das Restaurant mittags wie abends mit rund 70 Plätzen durchgehend ausgebucht ist.

Interieur
Interieur

Im „Pure C“ wird ein 7 Gang-Menü angeboten (109€), das außer am Samstag Abend auf 5 Gänge reduziert werden kann. Einige wenige Upgrade-Optionen und à la Carte Gerichte sind möglich, aber auch mit dem regulären Menü bekommt man einen guten Einblick in Syrco Bakkers Aromenwelt. Die Weinbegleitung für das große Menü wird mit moderaten 72€ berechnet. Ich opfere mich als Chauffeur für die Heimfahrt nach Deutschland und halte mich an vorzügliche alkoholfreie Cocktails, die hier mit ebenso viel Aufwand und originell kreiert werden wie die alkoholhaltigen.

Als ersten Gruß öffnet Maarten Buysse eine Konservendose, die marinierten Steinköhler mit Algen enthält und daneben einen Steam Bun mit Spirulina und Kimchi. Alleine diese Kleinigkeiten markieren in ihrer Essenz das, worum es im „Pure C“ geht. Fisch, Seafood, alles was das Meer zwischen Ooster- und Westerschelde so hergibt sowie Pflanzen, Kräuter und Gemüse, die ebenfalls quasi vor der Haustüre, manchmal sogar in den Dünen wachsen, die man von seinem Platz aus sehen kann. Es geht um Geschmack – und um Spaß!

Steinköhler, Alge & Steam Bun, Spirulina, Kimchi
Steinköhler, Alge & Steam Bun, Spirulina, Kimchi

Ein weiterer Snack aus Rote Bete, Walnuss und Kaffee ist sehr zurückhaltend, aber auch sehr harmonisch.

Rote Bete, Walnuss, Kaffee
Rote Bete, Walnuss, Kaffee

Dass man auch für ein Brötchen eine Show inszenieren kann, wird beim abschließenden Gruß, der mittlerweile zum Klassiker geworden ist, deutlich. Das noch warme „Pure C“-Brot wird am Tisch von einem Koch in Scheiben geschnitten, die mit einer üppigen Creme aus schwarzen Oliven und einer Art Salsa von grünen Oliven und Anchovis belegt werden. Klar ist dies „nur“ ein Schnittchen, aber was für eins! Das Brot ist von ausgezeichneterer Qualität als man beim bloßen Anblick des schlicht wirkenden Brötchens denken mag. Der Belag ist fettig, salzig, intensiv. Einfach wunderbar!

Das sehr gute Brot, Salz- sowie eine Algenbutter werden mit ebensolcher Sorgfalt am Tisch in Szene gesetzt wie alles hier.

Brot, Algen- und Salzbutter
Brot, Algen- und Salzbutter

Der erste Gang präsentiert Kingfish in zwei Versionen. Auf einem Teller eine kalt marinierte Variante mit Apfel, Lardo und etwas undefinierbar gefrorenem. Das ist vor allem etwas scharf und frisch, während der Fisch auf dem zweiten Teller als Tataki, also kurz und scharf angebraten und dann lauwarm serviert wird. Der Ponzu-Sumach-Sud gibt dem so unscheinbar wirkenden Stück Tiefe, so dass mir diese Variante besser gefällt.

In Punkto Komplexität und Fülligkeit legt die Küche einen Gang zu. Die Streifenbarbe ist mit Haselnuss knusprig ummantelt. Fregolas und Kohlrabi sorgen für weitere texturelle Abwechslung. Basilikum findet sich als Öl im Dressing wieder, das alles zusammenhält.

Streifenbarbe, Fregola, Rübe, Basilikum
Streifenbarbe, Fregola, Rübe, Basilikum

Aus der Abteilung Wohlfühlgericht stammt der folgende Teller, bei dem es, wie so oft bei Sergio Herman-Schülern, um unkompliziertes Löffeln geht. Salat vom Taschenkrebs und Topinambur sind cremig angelegt. Die angekündigte Mandarine ist nicht spürbar. Aber alle Komponenten, inklusive der Cremes und Öle schmiegen sich harmonisch aneinander. Und trotzdem ist genug Abwechslung, dass es nicht eintönig wirkt.

Taschenkrebs, Mandarine, Topinambur, Kerbel
Taschenkrebs, Mandarine, Topinambur, Kerbel

Aromatisch komplexer wird es mit Hummer und grünem Spargel, der vielleicht etwas grenzwertig bissfest war. Dafür steuert der Bottarga intensive Würze bei und erneut fängt ein süffiger Sud alles wieder sehr harmonisch ein.

Hummer, grüner Spargel, Verbene, Weißkäse
Hummer, grüner Spargel, Verbene, Weißkäse

Als Auftakt zum Fischhauptgang serviert die Küche einen Cracker, der mit einer Seeteufellebercreme gefüllt und mit Parmesan, Tomatenpuder und einem Pulver aus Seekräutern bestreut ist. Was soll ich sagen? Dieser Happen ist sensationell! Alles hieran ist perfekt: die Textur, die Cremigkeit, die Aromen aller Komponenten, die wunderbar ineinander greifen und im Mund ein Feuerwerk veranstalten, wie ich es lange nicht erlebt habe. Es kommt nicht oft vor, dass ich vor Begeisterung auf den Tisch schlage. Hier passiert es.

Seeteufelleber, Tomate, Parmesan, Seekräuter
Seeteufelleber, Tomate, Parmesan, Seekräuter

Da kann dann der zuvor am Tisch präsentierte Seeteufel nicht mithalten. Das Gericht ist mit Auberginencreme und einem gefüllten Canneloni zwar ohne Zweifel sehr füllig und der Fisch von makelloser Qualität, aber nach der großartigen Einstimmung springt einfach nicht vollends der Funke über. Das ist allerdings Jammern auf ziemlich hohem Niveau.

Mittlerweile sind bereits gut drei Stunden vergangen und keine Minute davon kam uns langatmig vor. Alles hier ist in einem sehr relaxten Flow und in dem steuern wir nun auf den Hauptgang zu, dem einzigen Fleischgericht.
Ein gegrilltes Stück Rücken vom Duroc Schwein mit respektablem Fettanteil und sehr markanter Holznote sowie ein geschmortes Stück vom Kinn mit einer köstlichen Gewürzkruste sind für sich alleine schon sehr gut. Ein geschmeidiges Selleriepüree, getrocknete Kohlblätter und Senfblätter flankieren das Fleisch, eine Morcheljus und ein knuspriger Selleriewürfel in mehreren Schichten zeugen ebenfalls vom hervorragenden Handwerk.

Duroc Schwein, Morchel, Estragon, Knollensellerie
Duroc Schwein, Morchel, Estragon, Knollensellerie

Das Dessert dekliniert das Thema Ananas auf fantasievolle Weise durch. Separat findet sich ein herb würzig mariniertes Stück auf einem Spieß.
Der eigentliche Teller ist bildschön arrangiert und präsentiert einen mit Estragon aromatisierten Salat sowie ein Sorbet mit Estragonstaub. In beiden Fällen unterstreicht der Estragon den säuerlichen Charakter auf ganz feine Weise. Reis findet sich in Form von Milchreis und in gepuffter Form, weiße Schokolade sorgt für weitere Cremigkeit. Den angekündigten Mais kann ich nicht ausmachen, aber auch so ist dies ein wunderbar abwechslungsreiches und vielschichtiges Dessert.

Mit den originell inszenierten Petits Fours schlägt die Küche wieder den Bogen zum Beginn des Menüs, denn in den Petitessen sind erneut viele lokale Zutaten aus Meeresnähe verarbeitet und alleine die Präsentation macht noch einmal deutlich, wo wir hier sind.

Petits Fours
Petits Fours

Als wir um halb fünf die Rechnung begleichen, ist das Restaurant noch gut halb gefüllt. Von der Zeit kommen wir zwar nicht an unseren Lunch im „The Jane“ in Antwerpen heran, als wir noch eine Stunde später das Haus verlassen. Aber das Gefühl ist sehr ähnlich. Wir sind ungeheuer beschwingt, nahezu euphorisiert. Ich weiß nicht, wie Sergio Herman es schafft, all seinen Restaurants diese besondere Stimmung zu verpassen, die den Gast mit einem Mix aus fabelhaftem Essen, einzigartigem Ambiente, der passenden Musik und einem Service, der Charme im Blut hat, vollends einnimmt.

Natürlich ist das Essen auch hier das Wichtigste und Syrco Bakker schafft es, ähnlich wie Nick Bril, einen eigenen Stil zu entwickeln, der trotzdem – auch wenn wir nie bei ihm selbst gegessen haben – ganz viel von Sergio Herman zu atmen scheint. Bakkers Küche nutzt die Möglichkeiten der Region komplett aus und bei aller Internationalität, die er seinen Gerichten durch den gelegentlichen, pointierten Einsatz von asiatischen Komponenten gibt, ist sie doch ganz ein Spiegel dieses Streifens der Nordsee.

Warum die Leistung im „Pure C“ nach wie vor nur mit einem Stern vom Michelin ausgezeichnet wird, ist nicht wirklich verständlich. Die Küche ist für mich so klug und durchdacht, so stimmig, leicht zugänglich und doch mit Tiefgang, dass für mich längst eine Aufwertung fällig ist.

Syrco Bakker erzählt, dass man mit Eröffnung des Neubaus die Platzzahl im Restaurant etwas reduzieren will, um unter anderem auch mehr direkt am Gast agieren zu können. Ich bin mir sicher, dass das den ohnehin schon hohen Entertainment-Charakter noch einmal deutlich steigern kann. Bräuchte es aber gar nicht, denn auch so spielt das „Pure C“ für mich schon in der ersten Liga der Restaurants, die höchsten Spaßfaktor versprechen.

Details

Restaurant: Pure C
Adresse: Boulevard de Wielingen 49, 4506 Cadzand-Bad
Öffnungszeiten: Mittwoch - Sonntag mittags und abends
Montag + Dienstag Ruhetag
Website: www.pure-c.nl/de/

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Kommentare

  1. Gast im Haus am 30. Mai, 2018 um 18:11 Uhr.

    Ein feines, extrem detailliertes Menu in (wie immer) in wunderschöner Rezension miterlebbar gemacht! Danke!

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