Sens, Vitznau

Schöne Landschaften hat die Schweiz zuhauf zu bieten. Der Vierwaldstätter See gehört sicher zu den beeindruckendsten Panoramen, die man sich wünschen kann. Und auch, wenn unser Zimmer mit Blick auf den See mangels Klimaanlage und trotz Design-Ventilator einen kuschelig warmen Aufenthalt verspricht, möchte ich auf die Aussicht dennoch nicht verzichten. Hat sich vermutlich auch das Paar gedacht, dass an diesem Bilderbuch-Sommertag ihre Hochzeit im Garten des noblen Vitznauerhofs feiert.

In einem Nebengebäude befindet sich unser kulinarisches Ziel, das „Sens“, ausgezeichnet seit diesem Jahr mit dem zweiten Michelin-Stern. Dort kocht seit 2018 der Niederländer Jeroen Achtien, vorher bei Jonnie Boer im „De Librije“ tätig. Mit einer spektakulär in den See gebauten Insel und direkt am Wasser gelegenen Terrasse bietet das Restaurant eine selten schöne Dinner-Kulisse.

Im „Sens“ wird ein Überraschungsmenü in 5, 6 oder 7 Gängen serviert (180 / 210 / 230 CHF). Und das ist wörtlich zu nehmen, denn noch vor dem Apéritif sollen wir aus einem bereits am Tisch befindlichen Teller mit diversen getrockneten Zutaten und Gewürzen drei auswählen, die zu einem späteren Zeitpunkt als Überraschungszutat zum Einsatz kommen.

Überraschungszutaten
Überraschungszutaten

Als erster Snack wird ein Cesar’s Salad direkt am Tisch zubereitet. Und hier wird bereits klar, wie kreativ Jeroen Achtien auch so einen Klassiker angeht. Die einzelnen Komponenten finden sich wahlweise als Cremes, wie z.B. Speck, Sardelle oder Kräuter, Eigelb wurde dehydriert und jetzt gerieben, Tomate und Gurke zu einem zweifarbigen Eiswürfel verarbeitet, der ebenfalls gerieben wird. Als Käse kommt Sbrinz zum Einsatz, Briochetaler und diverse andere Zutaten, nicht alle zwingend zu einem Cesar‘s Salad gehörend, ergänzen den Fingerfood-Happen. Das ist zwar kaum unfallfrei zu essen, weist aber den typischen und bekannten Geschmack auf – und ist lecker.

Ein Brokkoli-Cornet mit Sorbet ist angenehm frisch, im Gegensatz zu einem heiß ausfrittiertem Beignet, in das Holzkohle gearbeitet ist. Die Füllung bleibt etwas undefinierbar, aber dafür ist der Dip auf Basis von fermentierter Limette dazu ein schöner kühler Kontrast.

Es folgt ein Sandwich mit fester Creme von Sbrinz-Käse. Das ist zwar noch nicht besonders auffällig, aber dafür ist der im separaten Gläschen servierte Ketchup von fermentierter Rote Bete pikant und schlichtweg grandios, weil das Thema Ketchup zwar mit einem bekannten und dann doch auch wieder ganz ungewohnten Geschmacksbild für mich eine neue Definition erfährt.

Sbrinz Sandwich / Rote Bete Ketchup
Sbrinz Sandwich / Rote Bete Ketchup

Auch beim Taco ist die Füllung zwar köstlich, aber undefinierbar. Dafür begeistert umso mehr der geräucherte und getrocknete Pulpo, der über den Snack gerieben wird. Der bringt einen kräftigen Akzent und einen tollen Effekt.

Taco / Geräucherter Pulpo
Taco / Geräucherter Pulpo

Während die Amuse Bouches serviert werden, haben wir Gelegenheit, einen beeindruckenden Sonnenuntergang zu bewundern. Offenbar war auch hier in den vergangenen Wochen und Monaten das Wetter so unbeständig, dass man die Terrasse in dieser Woche das erste Mal mehrere Tage am Stück bespielen konnte. Uns soll es Recht sein, auch wenn sich der Blogger in mir gerade Gedanken über die Lichtverhältnisse für die kommenden Bilder macht. Aber das ausgeblendet, genießen wir das großartige Panorama, dass man problemlos auch exotischen Urlaubszielen zuschreiben könnte, wenn man es nicht besser wüsste.

Abendstimmung
Abendstimmung

Grissini, Brot und Kräuterdip werden serviert, bevor das Menü startet.

Und das beginnt mit roh mariniertem Saibling und einem Arrangement aus Avocado, Tomate und Kaviar. Das alleine wäre noch nicht besonders ungewöhnlich, aber durch den mit Limette verfeinerten Sud auf Basis von Schweinekamm bekommt der Fisch in der Tat eine fleischige Note, die dem Ganzen eine angenehme Fülle gibt. Das ist originell und gut.

Saibling / Schweinekamm / Avocado
Saibling / Schweinekamm / Avocado

Kühler Schnee von ungestopfter Entenleber, Jalapenocreme, Aal und karamellisierte Sonnenblumenkerne sind in einer Weise angelegt, dass sich alle Komponenten zu einem harmonischen Ganzen vermengen. Der Aal sorgt hierbei mehr für eine füllige Textur und vor allem die Jalapenocreme ist es, die hier für mächtig Wumms sorgt.

Deshalb ist es klug kombiniert, dass im Anschluss eine Gillardeau Auster mit Kaffirlimette und Kefirschaum die Schärfe sofort neutralisiert.

Auch der nächste Gang wird in zwei Teilen serviert. Als Einstimmung dient ein thailändischer Fischkuchen auf Haut vom Zander.

Der ist der Hauptdarsteller im eigentlichen Gericht, kommt vom Lago Maggiore und wurde 9 Tage bei 0 Grad in Koji gebeizt. Das gibt ihm eine festere Struktur. Achtien kombiniert dies mit Texturen von Blumenkohl und Trauben sowie einer Sauce von regionalem, zwei Jahre gereiften Miso. Das ist wunderbar kräftig und liefert ein tolles Zusammenspiel, vor allem auch mit dem dazu in der Weinbegleitung gereichtem Sake.

Vor dem Hauptgang gibt es als Erfrischung ein Sorbet von Karotte und Passionsfrucht mit einem Olivenölsud. Das ist ein ungewohnter, aber durchaus spannender und passender Akkord, der gekonnt zwischen Obst und Gemüse changiert.

Karotten-Passionsfruchtsorbet / Olivenöl
Karotten-Passionsfruchtsorbet / Olivenöl

Obwohl es im „Sens“ ein Überraschungsmenü gibt, hat man am Anfang die Wahl zwischen Lamm und Beef im Hauptgericht und natürlich entscheiden wir uns für beide Versionen.

Auch hier startet die Küche mit Einstimmungen. Für das Lamm ist dies ein Bao Bun mit einem geschmorten Stück vom Lammnacken mit süß-saurer Gurke sowie eine XO Creme aus geräucherten Jakobsmuscheln. So ungewöhnlich das klingt, so lecker ist es.

Bao Bun / Lammnacken / XO Dip
Bao Bun / Lammnacken / XO Dip

Auf dem Hauptteller finden sich Filet, Weißkraut in Versionen, Zwiebelsegmente sowie unter einem japanischen Kirschblütenblatt ein geschmortes Nackenstück. Die geräucherten Jakobsmuscheln bilden auch hier die Basis für die Sauce.

À part ist ein weiteres Stück vom Lammnacken in dünnem Teig ausgebacken. Weißkraut und Zwiebel wiederholen sich in anderer Textur auch in diesem Teller mit leichter Schärfe. In jedem Fall bietet dieser Lammgang ein ungewohntes, aber sehr gutes Geschmacksbild.

Das Intro zum Beef ist ein eher klassisches, aber deswegen nicht weniger gelungenes Tatar mit Dijon-Senf auf Brioche.

Beef Tatar / Brioche
Beef Tatar / Brioche

Etwas weniger überzeugend finde ich die Scheiben von der 15 Jahre alten Milchkuh auf einer recht großzügig bemessenen Menge Sushi-Reis. Die Fleischqualität ist zwar ausgezeichnet, aber die Kombination mit dem Sushi-Reis geht für mich, auch von den Proportionen, nur bedingt auf. Gut gefällt mir die Säure und Fruchtigkeit beisteuernde Beilage aus Tomaten und Kumquats sowie die etwas leichtere Sauce.

Auch der separat servierte Cracker mit Schmorfleisch weiß zu gefallen und insgesamt ist das vielfältig und gut gemacht, aber unterm Strich bin ich mit meiner Wahl für das Lamm etwas glücklicher.

Die Kreativität lässt auch beim folgenden Käsegang nicht nach. Zum Schnee und der Sphäre vom Ziegenkäse mit Aprikose und geriebenem Aprikosenkern gibt es separat noch ein „Beef“ Jerkey von Roter Bete. Der Service empfiehlt, jeweils einen vor und nach dem Käse zu essen, was in der Tat einen super originellen und intensiven Effekt ergibt, weil der frisch-fruchtige Käse von einer fleischigen Note flankiert wird.

Auch das Dessert klingt in seiner Zusammenstellung zwar ungewöhnlich mit seiner Kombination aus Kirsche in purer und fermentierter Form sowie einem cremigen Eis aus Kirschkernen und reichlich Oxalis als Deko, bleibt aber geschmacklich relativ konventionell. Harmonisch und köstlich allemal, aber im Vergleich zu den vorherigen Gängen ohne den großen Überraschungseffekt.

Kirsche / Oxalis
Kirsche / Oxalis

Bis hierhin haben wir uns bereits mehrmals gefragt, wann die Überraschungszutaten, die wir zu Beginn des Abends ausgewählt ausgewählt haben, eingesetzt werden oder ob wir es womöglich nicht bemerkt haben, dass dies bereits passiert ist.

Aber der große Auftritt folgt jetzt in Form eines am Tisch komplettierten Stieleises. Vorab wird noch gewählt zwischen weißer und dunkler Schokolade, in die das Eis getaucht wird. Die Zutaten finden sich als Topping und alles wird anschließend in flüssigem Stickstoff gehärtet. Das ergibt zweierlei Arten von „Magnum“ mit spannenden Akzenten.

Eine Miso-Praline schließt dann das Menü endgültig ab.

Miso-Praline
Miso-Praline

Die Küche von Jeroen Achtien scheint kaum kreative Grenzen zu kennen. Darin unterscheidet sie sich wenig von der Küche im „De Librije“. Japanische Einflüsse spielen hier eine Rolle, Fermentation ist auch ein beherrschendes Thema. Die „Sens“-Küche ist überraschungsreich und bietet oft unerwartete Geschmackserlebnisse. Der Unterhaltungsfaktor, den ein Essen hier bietet, ist ohne Frage groß. Dazu tragen sowohl die Präsentationen einzelner Gerichte am Tisch als auch der versierte Service bei.

Die Sonne ist lange untergegangen und hat uns viele faszinierende Ausblicke gegönnt, wie man sie nicht oft so hautnah in einem Restaurant erlebt. Als wir das Restaurant nach Mitternacht verlassen, hat das Mondlicht bereits die Regie übernommen. Auch der Ausblick ist faszinierend, wie vieles an diesem Abend.

Nachtstimmung
Nachtstimmung

Details

Restaurant: Sens
Adresse: Seestrasse 80 CH-6354 Vitznau
Öffnungszeiten: Bis zum 03.10.2021: Mittwochs - Sonntags ab 19.00 Uhr
Ab 04.10.2021 – 08.01.2022: Donnerstags - Sonntags ab 19.00 Uhr
Website: www.vitznauerhof.ch/sens/

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Kommentare

  1. Carsten am 14. Oktober, 2021 um 8:52 Uhr.

    Wunderbar, und wenn nun aus dem Fenster schaut beim, dann wird man melancholisch bei dem Ambiente!

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