Auberge du Vieux Puits, Fontjoncouse

Vor etlichen Jahren war es ein Artikel im „Feinschmecker“, der uns zum ersten Mal ins Languedoc-Roussillon führte, tief in die Pyrenäen und fast bis an die spanische Grenze. Auch damals, und das kann gerne 15 Jahre her gewesen sein, wurde die „Auberge du Vieux Puits“ als kulinarischer Leuchtturm der Region empfohlen. Wir waren in Folge drei Mal dort und haben auch zwei Mal in den wunderbar großzügigen Zimmern, die um einen Pool angelegt sind, übernachtet. Das ist auch weiterhin zu empfehlen, denn Fontjoncouse ist ein winziger Ort, der nur über teilweise abenteuerliche Wege zu erreichen ist. Und, zumindest nachts, würde ich die kurvige Straße mit beängstigend engen Brücken nicht mehr befahren wollen.

Außenansicht
Außenansicht

Ich mag die karge, wilde Gegend des Roussillon sehr, aber irgendwie ergab es sich über lange Zeit nicht, sie in die Reiseplanung einzubauen und so liegt unser letzter Besuch doch tatsächlich schon wieder etwa 10 Jahre zurück. Viel ist seitdem passiert. Gilles Goujon, der Chef des Hauses, wurde in 2010 mit dem dritten Michelin-Stern ausgezeichnet, der Gault Millau hob das Haus in seiner 2017-Ausgabe in den Olymp der 19,5 Punkte-Liga. (Warum er es dann im Folgejahr allerdings wieder auf 19 Punkte herabstuft, erklärt er leider nicht.) In der „La Liste“ belegt er regelmäßig vorderste Plätze.

Der Speisesaal hat seit unserem letzten Besuch eine deutliche Auffrischung bekommen, ist jetzt wesentlich heller und luftiger. Darüber hinaus hat man nicht mit gezielt eingesetzten Gimmicks gespart, die eindeutig auf das Essen fotografierende Publikum zielen. Wird ein Gang serviert, geht wie von Geisterhand das, selbstverständlich perfekt auf den Platz ausgerichtete, Licht an und erlischt wieder, wenn der Teller leer gegessen oder abgeräumt ist. Was wie Magie wirkt, ist natürlich das Ergebnis eines sehr genau jeden Tisch im Auge behaltenden Saalchefs, der eben auch für die Lichtchoreografie zuständig ist. Man mag das etwas over the top empfinden. Ich habe Spaß an diesem Schauspiel.

Interieur
Interieur

Nicht verändert hat sich hingegen die Lounge im Eingangsbereich des Restaurants, in der um den namensgebenden alten Brunnen (den man zumindest noch durch eine Glasplatte sehen kann) zahlreiche massive rote Sessel gruppiert sind. Ob man die, wie an anderer Stelle zu lesen, besonders geschmacksverirrt findet, kann man sicherlich diskutieren. In der Tat sind sie nicht besonders bequem. Für uns gehören sie aber dazu und so nehmen wir auch den Apéritif und die ersten Apéros dort ein.

Lounge
Lounge

Die überzeugen bereits durch intensiven Geschmack, wie beim Pomme Soufflé mit lauwarmer Trüffelfüllung oder beim Tartelette mit Geflügellebercreme. Auch die Krustentierfüllung im Teigkissen ist kräftig gewürzt und gefällt. Lediglich die Tomate-Mozzarella-Variation bleibt im Vergleich recht harmlos.

Apéros
Apéros

Die Menüpreise in der „Auberge du Vieux Puits“ bewegen sich für 3 Sterne-Verhältnisse in Frankreich noch auf moderatem Niveau. Es wird ein 5 Gang-Menü für 175€ angeboten, die 6 Gang-Variante als Überraschungsmenü für 205€. Zu viel Überraschung sollte man aber nicht erwarten, denn letztlich gibt es auch hier die Klassiker des Hauses und im Zweifelsfall die selben Gerichte wie in der 5 Gang-Variante. Werktags gibt es zudem noch ein 3 Gang-Mittagsmenü zu 115€.
À la carte könnte man auch wählen. Dann liegen Vorspeisen und Hauptgerichte bei 70-84€, Käse und Desserts bei jeweils 27€. Angesichts der servierten Portionen habe ich aber nicht den Eindruck, dass es im Menü mengenmäßig reduzierter zugeht.
Preislich deutlich angezogen hat die Weinkarte, aber das ist sicher auch den hohen Auszeichnungen und des erheblichen Personalaufwandes geschuldet.
Wir wählen – natürlich – die große Menüvariante.

Den Auftakt macht eine extrem große und fleischige Auster mit einer Perle aus hauchdünnem Zucker. Mit dem dazu gelieferten Hammer muss der Gast die Perle zerschlagen, wodurch etwas Rauch freigegeben wird. Das ist ein netter Effekt, aber in Erinnerung bleibt mir die Auster vor allem als das wohl fleischigste und geschmackvollste Exemplar, das ich je hatte. Die Austernmousse dabei unterstützt den positiven Eindruck zusätzlich.

Amuse Bouche #1: Auster mit "Rauch"-Perle
Amuse Bouche #1: Auster mit "Rauch"-Perle

Als weiteren Gruß schickt die Küche eine Stab- sowie eine Miesmuschel. Der Clou hierbei sind die essbaren Schalen, die ausgesprochen naturgetreu nachgebildet sind. Geschmacklich gibt das zwar keinen erkennbaren Mehrwert, aber beeindruckend ist die Ausführung trotzdem.Vor allem die Füllung der Stabmuschel kann darüber hinaus auch mit fein abgeschmecktem Tartar punkten.

Amuse Bouche #2: Stab- und Miesmuschel mit essbarer Schale
Amuse Bouche #2: Stab- und Miesmuschel mit essbarer Schale

Einer der Lehrmeister und prägendsten Köche für Gilles Goujon war Roger Vergé, Mitbegründer der sogenannten Nouvelle Cuisine in den Siebziger Jahren. Ihm ist explizit die Vorspeise gewidmet, ein Carpacccio von Hummer und Zucchini mit einem Hummertartar, Hummereis und karamellisierten Zucchiniblüten. Dieser Klassiker des Hauses ist natürlich alleine aufgrund der auffälligen Präsentation schon ein Hingucker. Überraschend ist allerdings, wie geschickt hier die sonst eher banale Zucchini einen angemessenen Auftritt erhält. Die intensiv kräftige Tomaten-Paprika-Sauce kontrastiert den ansonsten frischen und leicht säurebetonten Eindruck sehr geschickt. Das ganze Gericht schmeckt toll, sieht nach 3 Sternen aus und ist es für mich auch.

Hommage an Roger Vergé: Kristallisierte Zucchiniblüte gefüllt mit Hummereis

Die Kombination aus Ei und Trüffel erinnere ich auch noch von unserem letzten Besuch. Seinerzeit wurde in das Ei eine Trüffelemulsion eingespritzt. In einer Weiterentwicklung dieses Gerichts bekommt man jetzt, etwas morbide als „verfaultes“ Ei angekündigt, ein Ei auf einem Champignonpüree serviert, das man zunächst selbst anstechen soll, woraufhin sich eine cremig, flüssige Trüffelmasse aus dem Ei ergießt. Nun kommt der Service zum Einsatz und überdeckt alles mit einer Champignon-Sabayon. Anschließend wird noch französischer Sommertrüffel und australischer schwarzer Trüffel darüber gerieben. An nichts wird hier gespart. Separat gibt es noch einen Champignon-Cappucchino und eine Brioche.
Wer wie ich Trüffel und Pilze liebt, befindet sich jetzt im Schlaraffenland. Das ist weich, cremig, sündig, dekadent und ganz und gar wundervoll. Ja, es hat alles die gleiche Konsistenz. Und ja, es passiert auch nicht sehr viel mehr, als dass man sich hier durchlöffeln muss. Aber das ist ein so glücklich machender Gesamtakkord auf der Zunge, dass mir das so was von egal ist. Wer hier fehlende Komplexität bekritteln will, soll das von mir aus tun. Ich liebe es.
Erstaunlich finde ich allerdings, wie Goujon offenbar auch Gerichte, die er schon lange auf der Karte hat, behutsam weiter entwickelt. In anderen Berichten war der Champignon-Einsatz teilweise gar nicht erwähnt oder wie bei der Sabayon auch noch nicht vorhanden. Ich hätte jedenfalls nichts dagegen, es auch beim nächsten Besuch wieder serviert zu bekommen.

...vollendet mit Champignon-Sabayon und zweierlei Trüffel
...vollendet mit Champignon-Sabayon und zweierlei Trüffel

Deutlich leiser wird es mit dem folgenden Gang, bei dem in einer Glas-Cocotte diverse Minigemüse akkurat gegart sind. Dazu ein Stück Seelachs mit einer Kräutermasse. Angegossen wird am Tisch eine intensiv grüne Kressejus.
Dies wirkt klassisch und gleichzeitig modern, elegant und sehr auf den Geschmack der Einzelkomponenten konzentriert. Auch dieses Gericht wird uns, obwohl so nicht auf der Karte vermerkt, als Hommage an Roger Vergé angekündigt. Und wenn man weiß, das Vergé auch für seine provenzalische Gemüseküche bekannt war, versteht man das sehr gut.

Cocotte mit Minigemüsen von Benoît und geangelter Seelachs mit Kräuterhaube und einer Kressesuppe
Cocotte mit Minigemüsen von Benoît und geangelter Seelachs mit Kräuterhaube und einer Kressesuppe

Ganz kräftig wird es im Hauptgang mit Gilles Goujons Interpretation des Vol au Vents, also der Königinpastete. Hier wird sie als Zylinder serviert mit einer Mousse im Inneren sowie Morcheln, Hahnenkamm, Kaninchennieren und Sot l’y laisse, dazu eine mit regionalem weißen Wein cremigen Sauce. Das ist üppig, nicht gerade leicht, vielleicht auch nicht optisch das tollste Gericht, gerade, wenn man den Zylinder angeschnitten hat, aber geschmacklich ist das auf den Punkt und sehr befriedigend.

Blätterteigragout "zeitgenössisch" mit Morcheln, Hahnekamm, Kaninchennieren und sot l'y laisse, Reduktion von süßem Rancio
Blätterteigragout "zeitgenössisch" mit Morcheln, Hahnenkamm, Kaninchennieren und Sot l'y laisse, Reduktion von süßem Rancio

Die Käseauswahl in der „Auberge du Vieux Puits“ war schon immer spektakulär. Bei unseren ersten Besuchen wurden gleich drei überdimensionale Wagen mit riesigen Laibern wie eine Burg um unseren Tisch herum aufgebaut. Dies ist mittlerweile einer schlankeren Präsentation gewichen, aber die Auswahl ist immer noch atemberaubend und dürfte zu den ausladendsten des Landes gehören.
Sich hier zu entscheiden, ist schwierig, aber natürlich kann man die Richtung vorgeben und muss sich dann eigentlich nur noch zwischen viel oder wenig entscheiden. Der Service hat es mit 10 Sorten, eine besser als die andere, bei mir besonders gut gemeint.

Bei den Desserts scheint die Patisserie besonders das Spiel mit „Fake“-Früchten zu lieben. Wir sehen am Nachbartisch eine ähnlich konzipierte Kirsch-Version. Bei uns allerdings ist es die als „echte“ angekündigte falsche Menton-Zitrone. Anders als in anderen Berichten scheint es hier aber ebenfalls eine Weiterentwicklung gegeben zu haben, denn statt einer reinen Schaummasse, ist diese Zitrone mit Zitrus-Bergamotte-Sorbet, Zitrusschaum und Meringue-Stückchen gefüllt. Dazu gibt es eingelegte Kumquats und eine Zitronenthymiancreme.
Mich begeistern zwar diese Fake-Früchte meistens nicht so sehr, weil mir die Hülle zu süß und das Innere dann optisch eben doch nicht attraktiv genug ist, aber hier ist der Geschmack ohne Tadel und in Summe ist das auch texturell abwechslungsreich.

Echte "falsche" Zitrone aus Menton, Zitrus-Bergamotte-Sorbet, japanische Kumquat, Zitronenthymiancreme, knusprige Meringue
Echte "falsche" Zitrone aus Menton, Zitrus-Bergamotte-Sorbet, japanische Kumquat, Zitronenthymiancreme, knusprige Meringue

Dass die Patissierie ihr Handwerk beherrscht, belegen auch die Petits Fours: ein Mini-Fake-Apfel mit Apfelstückchen und Calvados, ein Macaron mit Minze und Schokolade, ein Beignet mit Passionsfrucht und eine Schokoladenpraline mit Pistazie.

Petits Fours
Petits Fours

Wow – das war eine längst überfällige Auffrischung unserer Fontjoncouse-Erinnerung. Auch wenn uns einige Gerichte entfernt bekannt vorkamen oder sie offenbar nur selten wechseln, wird hier ein großartiges Feuerwerk gezündet, das sowohl in der Präsentation überzeugt als auch vor allem im Geschmack zutiefst befriedigt. Die Servicebrigade macht ihre Sache hochprofessionell und bemüht sich, hier jedem Gast einen unvergesslichen Abend zu bereiten, auch wenn klar ist, dass viele aufgrund der abgeschiedenen Lage vielleicht nur einmal kommen.
Glücklich ist, wer nach dem Essen nur ein paar Stufen zu den sehr komfortablen Zimmern steigen muss. Hervorragendes Frühstück am nächsten Morgen dann inklusive. Aber an Essen mag hier nach einem Menü vermutlich kaum jemand denken. Denn satt – und glücklich – geht man hier allemal raus.

Details

Restaurant: Auberge du Vieux Puits
Adresse: 5, Avenue St Victor, 11360Fontjoncouse
Öffnungszeiten: Mittwoch - Sonntag: mittags und abends
Montag + Dienstag: Ruhetag (im Sommer flexibel)
Website: www.aubergeduvieuxpuits.fr

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Kommentare

  1. Gero Kettler am 5. Oktober, 2018 um 16:53 Uhr.

    Alles andere als das große Menü wäre auch schon fast Masochismus. Aber sag mal: Muss man beim tollen Ei nicht sehr aufpassen, kein Stroh mit aufzulöffeln?

  2. Thomas Westermann am 5. Oktober, 2018 um 17:13 Uhr.

    Glasteller mit Hohlraum, Stroh darin…:-)

  3. Gero Kettler am 5. Oktober, 2018 um 22:08 Uhr.

    Mea culpa! Bin ich doch auf deine Agfa ritsch-ratsch-klick reingefallen;-))

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