einsunternull, Berlin

Marketing ist schon mal die halbe Miete. Die Website des Restaurants spart nicht mit markanten Ansagen, vom „Anspruch der Rückbesinnung auf Ursprünglichkeit“, „kulinarischem Pioniergeist“, „handwerklich geprägter Schöpfermentalität“ und „nachhaltig orientiertem Wertebewusstsein“. Normalerweise würden mich solche dick aufgetragenen und verkopft wirkenden Aussagen eher abschrecken. Aber ich bin ja neugierig, kulinarisch einigermaßen aufgeschlossen und wenn man aus mehreren Ecken hört, wie begeistert alle über diesen seit November 2015 existierenden Laden in Berlin Mitte sind, muss wohl was dran sein. Dass auch der Michelin bereits nach einem Jahr den ersten Stern zückt, wird ebenfalls seinen Grund haben.

Die Macher Ivo Ebert als Gastgeber und Andreas Rieger, der Küchenchef, sind aus dem „reinstoff“ bekannt und auch wenn man es auf der Website nicht so deutlich propagiert, wird schnell klar, dass wir es auch hier mit einem Konzept starker Regionalität und extrem gemüsebetonter Küche zu tun bekommen werden. All das wissen wir und ignorieren die ideologische Keule einfach mal, als wir mit dem Aufzug in das Kellergeschoss, also auf -1 fahren und im schlicht, eleganten Ambiente von ebenso eleganten, jungen Damen sehr freundlich begrüßt und an einem der großzügig gestellten Tische platziert werden. Immerhin, denke ich, wenn schon Gemüse, dann wenigstens chic und hip.

Im einsunternull gibt es nur ein Menü, das bei 10 Gängen 117 € kostet und auf Minimum 6 Gänge, dann 77 Euro, reduziert werden kann. Wir wählen das volle Programm und entscheiden uns nicht für die Getränkebegleitung, denn so groß ist meine Experimentierlust heute doch nicht. Die Weinkarte listet viel Unbekanntes, darunter viele Naturweine und da ich mich mit Orange Wine für gewöhnlich etwas schwer tue, lassen wir uns von Benjamin Becker, der wort- und kenntnisreich jeden Wein beschreiben kann, eine Flasche Weißen Burgunder empfehlen, ein Großes Gewächs vom mir bis dato völlig unbekannten Weingut Störrlein Krenig aus Franken. Der ist ausgezeichnet und entspricht sehr meinem Geschmack. Danach sollte es eine Flasche Matassa rouge aus dem Roussillon sein, der leider ausverkauft war. Alternativ wird es der empfohlene Espadeiro vom Weingut Attis aus dem Rias Baixas. Die Beschreibung der autochthonen Rebsorte klang spannend, im Glas ist es eine interessante Erfahrung und durchaus schmackhaft, aber ich hätte mir etwas kräftigeres und kantigeres gewünscht. Der Wein hier ist eher von mittlerem Körper und kühlem Charakter. Erst später sehen wir, dass er auch nur 11 Vol.-% hatte. Das erklärt dann einiges.

Kommen wir zum Essen: Ein erster Gruß sind getrocknete Kohlblätter, die von einer etwas undefinierbaren Creme zusammengehalten werden. Das hinterlässt einen leicht bitteren Geschmack, aber ansonsten keinen besonderen Eindruck. Parallel dazu gibt es in zwei Schälchen Karotte in flüssiger Form mit einem überwiegend süßen und eher eindimensionalen Charakter. Besser hingegen die in unterschiedlicher Größe und Farben geschichteten Karotten auf einer leichten Creme. Man kann hier, wenn man sich sehr anstrengt, sicherlich Nuancen herausschmecken. Mir gefallen die unterschiedlichen Konsistenzen, eine größere Tiefgründigkeit kann ich hingegen nicht erkennen.

Über das fabelhafte Brot und die sehr gute Butter wurde verschiedentlich bereits berichtet. Auch ich bin ebenso angetan.

Das Menü beginnt mit Rettich, Herz und Kresse. Das Rinderherz wurde wie Beef Jerkey getrocknet und dann über den Rettich gehobelt. Das wirkt mehr als Würzmittel, als dass es tatsächlich einen fleischigen Charakter beisteuert. Der Rettich war, wenn ich mich recht erinnere, sowohl fermentiert als auch roh mariniert, also durchaus geschmacklich changierend. Dazu etwas Wildkresse und ein Chip für etwas mehr Textur. Das ist optisch schön anzuschauen, im Mund auch nicht unharmonisch. Aber bereits hier beginne ich zu merken, dass ich eher nachdenke, ob es mir einfach nur schmecken darf oder ich mir mehr Gedanken machen muss zu dem, was ich zu mir nehme.

Rettich / Herz & Kresse
Rettich / Herz & Kresse

Der folgende Gang ist eine bereits mehrfach durchs Netz gegangene Tellerschönheit. Unter den akkurat geschichteten Champignonscheiben verbirgt sich eine Brotcreme. Die Scheiben sind von etwas Leinöl beträufelt und mit einigen Blüten von einem nicht mehr erinnerten Zwiebelgewächs versehen. Das sieht minimalistisch aus und bietet einen relativ klaren,erdigen, aber eben auch nicht besonders tiefen Geschmack.

Champignonbrot / Zwiebelgewächse und Goldleinöl
Champignonbrot / Zwiebelgewächse und Goldleinöl

Als nächstes folgt der einzig wirkliche Fleischgang, die Dünnung vom Lamm, ein Stück aus der Flanke mit einem Anteil Bauchlappen, der hier zu einer ansehnlichen Rolle geformt ist. Das Fleisch sehr saftig geschmort, die Haut sehr knusprig – ausgezeichnet! Daneben wieder akkurat geschichtete Kartoffelscheiben auf einer säuerlichen Creme, mit etwas Kamille bestäubt. Das ist für mich bis dahin – und bis zum Schluss – der überzeugendste Gang. Nicht, weil es ein geschmacksstarkes Stück Fleisch enthält, sondern weil er am abwechslungsreichsten ist und mich auch von der Präsentation begeistert. Warum dieser starke Gang bereits an dieser Stelle des Menüs kommt, erschließt sich mir zwar nicht, aber der typischen Menüdramaturgie scheint man hier eh bewusst nicht folgen zu wollen.

Dünnung vom Lamm und Knollensellerie
Dünnung vom Lamm und Knollensellerie

Optisch sehr reduziert – und erneut sauber geschichtet – der nächste Gang, in dem weiße Bete mit gleich großen Stücken eingeweckten Spargels und Haselnussmilch präsentiert werden. Weiß mit weiß auf weiß – diese monochrome Darstellung hat ihren Reiz, im Mund schmeckt man halt beide Gemüse, wobei der Spargel naturgemäß beim Einwecken an typischem Geschmack verloren hat, aber zumindest noch klaren Biss hat.

Weiße Bete / Haselnussmilch und Spargel vom Frühjahr
Weiße Bete / Haselnussmilch und Spargel vom Frühjahr

Der folgende Schmorzwiebelsud mit Zwiebelstücken und Fichtennadeln sieht erst mal schön aus. Der Sud ist kräftig, wenngleich ich die Fichtenkomponente länger suche als mein Mann. Die Fichtennadeln sind zwar weich geschmort, hinterlassen bei mir trotzdem ein unangenehmes Mundgefühl. Für mich einer der schwächeren Gänge, bei meinem Mann in den TOP 3 des Abends – so unterschiedlich ist die Wahrnehmung.

Schmorzwiebel / Brühe und Fichte
Schmorzwiebel / Brühe und Fichte

Mit kaum mehr als zwei Elementen kommt auch der nächste Teller aus, ein Streifen saftigen Saiblings, der von Lauchasche bedeckt ist und dadurch einen kräftigen Rauchgeschmack erhält. Die dazu gegebene stark einreduzierte Karottenemulsion ist mir definitiv zu süß, nahezu klebrig, und lässt kaum noch die Grundsubstanz erkennen. Im Kontrast zu dem gut gegarten Fisch interessant, aber nicht zwingend erforderlich.

Saibling / Asche und Rapsöl
Saibling / Asche und Rapsöl

Weil es für die Optik als Stilmittel einfach gut taugt, wird auch auf dem nächsten Teller wieder geschichtet. Was sich unter der akkuraten Karottenpräsentation befand, ist bereits wieder aus meiner Erinnerung verschwunden. Die Karte erwähnt Anis und Walnuss und ganz zart dämmert es noch, aber eben nicht deutlich genug. Nächster Akt.

Karotte / Anis und Walnuss
Karotte / Anis und Walnuss

Der ist für mich in den TOP 3 des Abends. Unter einer Schicht kräftigen Pilzgelees, die von einer hauchdünnen Scheibe Lardo bedeckt ist, finden sich säuerlich eingeweckte Pilze und schwarze Johannisbeeren als Geleetupfen. Das gibt interessante Kombinationen, je nachdem, wie stark man alles miteinander kombiniert. Gefällt mir ausgesprochen gut. Was aber auch daran liegen könnte, dass ich Pilze generell sehr gerne mag.

Pilzessig / grüner Speck und schwarze Johannisbeere
Pilzessig / grüner Speck und schwarze Johannisbeere

Der Übergang in den Dessertbereich ist abrupt, aber auch das scheint hier zum Konzept zu gehören. Unter einer hauchdünnen Platte befindet sich geeiste Milch und Heidelbeerkompott. Das ist kühl erfrischend und noch am nächsten an dem, was man klassischerweise mit Nachtisch assoziieren würde. Hat mir sehr gut geschmeckt.

Erinnerungen an Kindertage: Heidelbeeren und Milch
Erinnerungen an Kindertage: Heidelbeeren und Milch

Das abschließende Dessert wird von einem der Köche an den Tisch gebracht und etwas wortkarg vollendet. Drei Tage gekochte Bete, die dadurch dick, cremig und an Rübensirup erinnernd als Creme an die Schüsselwand drapiert wurde, wird mit einem Granité von Aroniabeere und Rose versehen. Das gibt interessante Kontraste und sicher ist es ein schöner Lerneffekt zu erfahren, was aus Rote Bete nach so langer Garung wird. In Summe war mir das aber erneut zu süß und mit dem ersten Dessert war ich glücklicher.

drei Tage gekochte Bete / Aroniabeere und Rose
drei Tage gekochte Bete / Aroniabeere und Rose

Zum Kaffee dann noch zwei Buttercremepralinen in geröstetem Mehl, die lecker waren.

Gesüßtes
Gesüßtes

So geht nach dem Horváth ein zweiter Abend mit überwiegend gemüsigen Gängen zuende. Anders allerdings als im Horváth wirkt hier die Performance deutlich verkopfter. Die sehr reduzierte, minimalistische und fast schon artifizielle Präsentation hat durchaus ihren Reiz. Gleichzeitig schafft sie aber auch durch den ideologischen Grundton eine gewisse Distanz. Um nicht falsch verstanden zu werden: ich habe mich an dem Abend durchaus wohl gefühlt. Das Ambiente ist edel, sehr geschmackvoll und teuer ausgewählt. Der Service war freundlich, zugewandt und kompetent. Das Essen hat geschmeckt, es gab einige sehr starke Gänge wie das Lamm, die Pilze und das erste Dessert. Die Gerichte haben, ähnlich wie im Horváth oft ein cremiges Element, das die Zutaten verbindet.

Aber dennoch wird die Geschmackstiefe meistens nicht erreicht, die sich mitunter erst einstellen kann, wenn man mehr als zwei Elemente miteinander kombinieren kann. Auch über die nicht wirklich erkennbare Menü-Dramaturgie, wenn es die denn tatsächlich geben sollte, könnte man lange diskutieren. Ich fand manche Reihenfolge nicht schlüssig, aber das mag auch mit meiner über Jahre und Jahrzehnte konditionierten Restauranterfahrung zusammenhängen.

Details

Restaurant: einsunternull
Adresse: Hannoversche Str. 1, 10115 Berlin
Öffnungszeiten: Lunch
Dienstag – Samstag 12 – 14 Uhr
Dinner
Montags – Samstags ab 19 Uhr
Ruhetag: Montag
Website: www.einsunternull.com/

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