
Urgestein, Neustadt an der Weinstraße
Am 18. Juni 2022 in Deutschland | 2709 Aufrufe | 1 Kommentar
Vor mehr als sechs Jahren waren wir zuletzt hier. Seinerzeit kochte hier noch ein gewisser Benjamin Peifer und machte mehr als deutlich auf sich aufmerksam, bevor er dann 2017 mit seinem eigenen Restaurant in Kallstadt endgültig Furore machte.
Für das „Urgestein“ fand sich aber eine nahtlose, hausinterne Nachfolge, denn Hedi Rink, die bereits an der Seite von Peifer kochte, übernahm nach dessen Weggang die Leitung der Küche im „Steinhäuser Hof“, den sie gemeinsam mit ihrem Mann Hanno betreibt. Den Michelin-Stern konnte sie seitdem halten.
Dass sich in dem historischen Gebäude seit unserem letzten Besuch nichts geändert hat, verwundert nicht. Nach wie vor ist der Raum von der markanten Gewölbedecke und der in der Mitte des Raumes platzierten Bar dominiert. Den Service leitet weiterhin Tanel Idil, der bereits seit 2006 im Haus ist, unterstützt von einer Servicekraft, die leider so gut wie gar nicht spricht. Idil verantwortet auch die ausschließlich mit Pfälzer Weinen bestückte Karte und tut dies mit spürbarer Begeisterung, die dazu führt, dass man auch gerne mal mehrere Weine parallel im Glas hat. Auch das ist wie seinerzeit.
Es gibt ein Menü in wahlweise fünf oder sechs Gängen (120€ / 140€), das mit vier Grüßen startet.
Ausdrucksvoll die Spinatcreme auf einem Dinkelchip, während der Profiterole etwas trocken gerät. Dafür ist die Füllung mit Schmand, Chawanmushi als gestockte Platte und Saiblingskaviar sehr gut.
Schön auch der sehr flaumige Kartoffelschaum auf einem Apfelpüree mit Röstzwiebeln und geeister Avocado als Topping. Das ist rustikales und doch feines, unkompliziertes Löffelvergnügen.

Ausgezeichnet gerät auch der Schaum von der Räucherforelle mit sehr prägnantem Geschmack und einer tollen Textur. Die Olivengremolata funktioniert gut als Aufstrich zum noch warmen Brot mit Nussbutter.
Matjes in der Pfalz auf die Karte zu setzen, verlangt schon etwas Mut, denn so gängig ist das in dieser Region nicht. Hedi Rink setzt ihn in diversen Formen in Szene, darunter als Tatar im Schwarzbrotmantel, pur mit Gurkencreme und als geräucherte Praline mit Gurkensud. Das ist eine frische, aber dennoch gehaltvolle Vorspeise, die gut zu den hochsommerlichen Temperaturen passt. Könnte der Gurkensud dafür zwar etwas kälter sein, passt dafür das Senfeis als kühlendes Element sehr gut.

Im folgenden Gang findet sich unter einem Bett von grünem und wildem Spargel und Wildkräutern ein Kaisergranat, zwar nicht von der beeindruckendsten Größe, aber gut zubereitet. Gut gefällt mir auch der Wan Tan mit Flusskrebsfüllung. Das ist alles sehr geschmackvoll und intensiv, vor allem auch durch die angegossene kraftvolle Bisque, die sich mit Kumquat mischt und dadurch eine feine fruchtige und säurebetonte Note beisteuert. Bis hierher ist alles sehr gut. Dann allerdings – man isst ja schließlich alles, was auf dem Teller ist – beiße ich in eine Chili, die vom Aussehen her einer Mini-Aubergine ähnelt. Sie ist nahezu roh und betäubt mit ihrer Schärfe nachhaltig erst mal den kompletten Mundraum. Ich bin da normalerweise nicht empfindlich und esse gerne scharf, aber das ist mir doch entschieden zu viel und irritiert doch erheblich.
Später frage ich Hedi Rink, ob das so geplant war und natürlich war es das nicht. Offenbar habe ich eines der wenigen wirklich scharfen Exemplare erwischt, die ansonsten wohl zum Snacken gedacht sind.

Auch beim nächsten Gericht werden nahezu alle Komponenten durchvariiert. Der Kaninchenrücken kommt mit einer Haselnusskruste, der Bauch gefüllt mit Gemüse, vor allem Karotte. Die wiederum findet sich sowohl pur, als Püree und in dünnen Scheiben, die mit einer leichteren Estragoncreme gefüllt sind, während es separat auch noch eine kräftigere Version davon gibt. Die Sauce dazu ist leicht gebunden und unterstreicht den feinen Geschmack, dominiert ihn aber nicht. Ein schöner Gang, der fast etwas mediterranen Charakter hat.

Sehr fokussiert und auf den Punkt präsentiert sich der nächste Teller. Zander, mutmaßlich pochiert, ist lediglich begleitet von Chicoree, einer ausgewogenen und deutlichen Safransauce sowie einer großzügig bemessenen Menge Ossietra-Kaviar. Der ist nicht zu kräftig und steuert eine gute salzige Note zum gelungenen Gericht bei.

Der falsche Marshmallow auf Basis von Kalamansi und Campari hat sich seit der Peifer-Zeit offenbar als kühles Intermezzo vor dem Hauptgang gehalten. Denn wir erinnern uns daran tatsächlich noch.

Das nahezu unvermeidliche Wagyu gibt es auch im „Ursprung“. Hedi Rink macht sich allerdings, im Gegensatz zu vielen anderen, die Mühe, neben dem gut gegarten Rücken eine ganze Vielzahl von Stücken zu verarbeiten – im wörtlichsten Sinn quasi Nose to Tail. Die Zunge kommt als Sülze, der Ochsenschwanz geschmort als kompakter Würfel und auf einem Chip gibt es eine wunderbar kräftige Lebercreme, die für mich fast das stärkste Element ist.
Schwarze Knoblauchcreme, Paprikacreme und Ratatouille fügen dem Gang eine markante mediterrane Note bei. Die Sauce ist, separat genommen, extrem kräftig mit guter Schärfe, integriert sich aber gut ins Gericht.
Für meinen Mann der Favorit des Menüs und auch für mich ein sehr guter Gang.

Das Thema Variation setzt sich auch im Dessert fort. Alle Zutaten, Rhabarber, Granatapfel und weiße Schokolade finden sich in unterschiedlichsten Versionen: die Schokolade als Biskuit, als Creme und als Wabe, Granatapfel und Rhabarber als Sorbet, Gelee, Creme, Baiser und pur. Nicht immer ist alles en detail herauszuschmecken, aber es ist allemal aufwändig gemacht und ein abwechslungsreicher, guter Abschluss.

Der aber doch noch nicht ganz erreicht ist, denn Hedi Rink serviert noch ein Post-Dessert auf Basis von Kalamansi und einem Sorbet von 10 verschiedenen Zitrusfrüchten. Diese kühle, säuerliche Erfrischung kommt an dieser Stelle gerade recht, wohingegen die mit vermeintlichem Suchtfaktor angekündigten Kekse doch arg trocken ausfallen. Aber das fällt gar nicht mehr ins Gewicht.
Unser Wiederbesuch nach so langer Zeit und unter neuer Küchen-Ägide hat sich gelohnt. Anders als beim Wein, wo man sich ganz auf die Pfälzer Region konzentriert, geht Hedi Rinks Blick deutlich über die Grenzen hinaus. Natürlich setzt sie auch regionale Zutaten ein, aber ihr Kochstil ist merklich internationaler ausgerichtet, vor allem aber sehr aufwändig und häufig mit Variationen eines Themas. Sie würzt beherzt und setzt auch gerne kräftige Akzente in ihre Gerichte. Das gefällt uns in Summe alles wirklich sehr gut. Und angesichts des kleinen Küchenteams nötigt uns die Leistung ohnehin Respekt ab.
Details
Restaurant: | Urgestein |
Adresse: | Rathausstraße 6a, 67433 Neustadt an der Weinstraße |
Öffnungszeiten: | Dienstag - Samstag: ab 18.30 Uhr Sonntag + Montag: Ruhetag |
Website: | www.restaurant-urgestein.de |
Schlagworte
Hedi Rink, kreativ, Michelin, neue deutsche Küche, Neustadt, Pfalz, Urgestein
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Insgesamt für den Preis ein sehr ansprechendes Menü! Aber ich denke, noch viel mehr Spaß hätten mir die Weinkarte und die Interaktion mit Frau / Herrn Idil bereitet. Noch eine Adresse….es wird kompliziert.