Pure C, Cadzand
Am 13. Juni 2014 in Niederlande | 7547 Aufrufe
Cadzand-Bad ist da, wo Holland fast schon Belgien ist und Brügge nur eine kurze Autofahrt entfernt. Eigentlich ein klassischer Ferienort am Strand, nicht besonders aufregend und auch das Strandhotel strahlt von außen eher biederen, freundlich ausgedrückt unattraktiven 70er-Jahre Baustil aus. Dennoch findet sich hier, direkt an den Dünen gelegen, Außerordentliches.
Sergio Herman, für sein im nicht weit entfernten Sluis gelegenes „Oud Sluis“ mit 3 Michelin-Sternen und (als einziger Koch zuletzt) 20 Gault Millau-Punkten höchstdekorierter Chef, etablierte ausgerechnet hier eine Dépendance, die extrem großstädtisch, stylish und mit Lounge-Charakter im zunächst offensichtlichen Widerspruch zum äußeren Eindruck des Hauses selbst steht. Und die doch auch wieder vermutlich nur hier, mit Blick auf Dünen und Strand, so gut funktionieren kann.
Das „Oud Sluis“ ist Geschichte und geschlossen. Sergio Herman hat mit dem „The Jane“ nun in Antwerpen einen Hotspot für Casual Dining eröffnet und nach allem, was man bisher so sehen und lesen kann, ist das Konzept durchaus vergleichbar mit dem, was das „Pure C“ bietet: entspannte und relaxte Atmosphäre, in der der Gast sich wohlfühlen soll, frei von allen üblichen Fine Dining-Konventionen und Dresscodes, aber eben nicht frei von Anspruch. Es gibt einen Barbereich, in dem man auch Kleinigkeiten nach Lust und Laune bestellen kann, eine schöne Terrasse mit verschiedensten Sitzmöglichkeiten inklusive eines eingelassenen Feuerplatzes und natürlich den Restaurantraum, in dem man wahlweise am großen Tisch mit anderen Gästen, in kleinen Séparées oder, wie wir, in insel-ähnlichen halbrunden Sitzecken isst. Dazu Clubsounds, der Service in G-Star-Uniformen, exzellente und originell präsentierte Gin-Tonics – kurzum: das hier ist richtig hip.
Mittlerweile scheint sich im Hotel einiges an Renovierungsarbeiten zu tun, die Zimmer werden aufgehübscht und vielleicht gehört ja auch irgendwann die scheußliche Fassade der Vergangenheit an. Ein bekanntes Gesicht treffen wir hier auch: Miguel Calero, über 10 Jahre Maître im „Vendôme“ auf Schloss Bensberg ist tagsüber präsent und, wie zu lesen ist, unterstützt Sergio Herman konzeptionell, was die weitere Umgestaltung und Ausrichtung des Strandhotels in Cadzand angeht.
Und was ist nun mit dem Essen? Um es kurz zu machen: das ist genau so hip wie das Ambiente.
Unser Menü, nahezu fleischfrei und mit seiner Fischlastigkeit an diesem Tag perfekt auf die Umgebung angepasst, bietet alles, was man von moderner Küche erwartet: regionale Produkte, weltläufig kombiniert in einer Crossover-Küche, die sich der aktuellen Techniken bedient und in Bezug auf Konsistenzen und Temperaturen ausreichend Spannung in den Gerichten bietet, um nie langweilig zu werden.
Ein schönes Beispiel dafür der Oosterschelde Hummer auf „tavelvlekken“. Dahinter steht ein von einem lokalen Künstler gestaltetes Geschirr in Fleckenform, auf dem der Hummer in vier verschiedenen Zubereitungen serviert wird. Das ist aufwändig, abwechslungsreich – und köstlich.
Beim ersten Dessert „Ready for the future“ beweist die Küche unter Syrco Bakker Humor: Erdbeeren, Kokos, Yuzu kommt als filigran gearbeiteter Kubus aus Biskuit und fruchtig, säuerlichen Elementen auf einer Petrischale serviert, darunter „eine wichtige Nachricht“. Wir erwarten einen Sinnspruch à la chinesischer Glückskekse und staunen nicht schlecht über die Liste all der Zutaten, die nicht im Dessert waren. Hintergrund ist, wie uns der Service bestätigt, ein Gesetz, nach dem tatsächlich ab Dezember alle Inhaltsstoffe der Gerichte schriftlich deklariert werden müssen. Man darf gespannt sein, wie künftig Speisekarten in den Niederlanden aussehen werden…
Das zweite Dessert spielt dann zum Abschluss eines abwechslungsreichen Menüs mit vegetabilen und erneut säuerlichen und frischen Noten und sorgt dafür, dass sich keine bleierne Schwere einstellt wie oft, wenn man am Ende eines langen Abends noch mit Schokoladen-Overkill konfrontiert wird.
So lehnen wir uns zufrieden in unsere spacige Muschel zurück, blicken auf das mittlerweile dunkle Meer, widmen uns den Petits Fours und räsonieren über einen Abend, bei dem wir vor allem eins hatten: Spaß. Spaß an Gerichten, die vielleicht nicht auf ewig im Gedächtnis bleiben, aber in dem Moment einfach stimmig in die Umgebung passten. Wobei: Das Rindfleisch mit Aal in einer Kräutermousse und mit Roter Bete war schon extrem klasse…
Spaß auch am Service, der sich von Anfang an ungefragt bemühte, uns alles in deutsch zu erklären, locker, sympathisch und immer kompetent.
So ging eine Reise zu Ende, die uns mit „Ron’s Gastrobar“ in Amsterdam und dem „Pure C“ zwei Gastronomiekonzepte präsentierte, die vielleicht wegweisend sind für die Art, wie man heute erfolgreich anspruchsvolle Küche auch denen zugänglich macht, die bisher vor „Sterneläden“ Scheu hatten. Sehr empfehlenswert hierzu auch die Kolumne der „Sternefresser“ (http://sternefresser.de/specials/kolumne-casual-fine-dining/) , denen wir im übrigen erneut für ein paar tolle Tipps zu danken haben.
Details
Restaurant: | Pure C |
Adresse: | Boulevard de Wielingen 49, 4506 JK Cadzand |
Öffnungszeiten: | Mittwoch - Sonntag Lunch + Dinner Montag + Dienstag Ruhetage |
Website: | www.pure-c.nl/de/ |
Schlagworte
Cadzand, Casual Fine Dining, Gourmet, kreativ, Michelin, Pure C, Sergio Herman, Syrco Bakker
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