ABaC, Barcelona

20.30 Uhr – keine Minute früher wird die Tür zum Restaurant auf das Klingeln hin geöffnet. Für Südeuropäer ist dies keine ungewöhnliche Zeit, ich hingegen mache mir schon Gedanken, wie lange sich das Menü im „ABaC“ wohl gestalten wird. Immerhin weist es insgesamt 24 Positionen auf.

Das „ABaC“ von Chefkoch Jordi Cruz ist eines von zwei Dreisterne-Restaurants in Barcelona, untergebracht im gleichnamigen Luxushotel und, höchst ungewöhnlich für ein so hochdekoriertes Haus, an 7 Tagen in der Woche sowohl mittags wie abends geöffnet.
Wir werden in einem kleineren Gastraum platziert, der mit seinem Bibliothekscharakter eine durchaus heimelige Gemütlichkeit ausstrahlt.

Der Abend startet aber für alle Gäste zunächst in der Küche, wo bei einem Glas Cava an verschiedenen Stationen die ersten Appetizer serviert werden.
Der erste Snack ist ein luftiges Baiser mit Limette, Kaktus und Tequila, der nicht nur durch die exaltierte Präsentation auf einem Kaktus überrascht, sondern auch mit einem feinen, limonenfrischen Geschmack.
In einer Art Beef Jerkey wird eine Scheibe Cecina de Leon, ein geräucherter, getrockneter Rinderschinken, mit einer Creme de Paris-Butter bestrichen. Das ist sehr würzig und von ausgezeichneter Qualität.
Asiatisch angehaucht wird es mit Nori-Alge in Texturen, gefüllt mit Lachstatar und Forellenkaviar, abgerundet von Sojaschaum. Auch dieser Fingersnack ist fabelhaft, exakt in den Proportionen und harmonisch abgeschmeckt, rundum köstlich.

Nicht minder fein der Selleriechip mit einer Parmesanwolke in einer Topinamburschale. Den Abschluss in der Küche bildet ein Coca-Chip, ein regionales Gebäck, mit Anchovi sowie eine super intensive und toll abgeschmeckte Cecina-Brühe.
Alle Appetizer machen durchgehend Spaß und lassen die Vorfreude auf das Menü steigern.
Gäste wählen aus einem Tradition-Menü (180€), das offenbar eher die Signature-Dishes von Jordi Cruz präsentieren soll oder dem Avantgarde-Menü (210€), das überwiegend neuere Kreationen enthält.Wir entscheiden uns für Letzteres.

Der erste offizielle Gang ist eine moderne Interpretation der baskischen „Gilda“, einer Art Tapas. Hier ist es eine Komposition aus geeistem Olivenstaub, Eiskraut und Meerestrauben, die zuvor am Tisch eingelegt wurden. Dieser höchst originelle Auftakt überzeugt mit kräftigem Olivenaroma, das durch die Kühle noch zusätzlich betont wird. Allerdings haben es die übrigen Komponenten etwas schwer, sich dagegen zu behaupten. Dennoch ein starker, weil sehr eigenständiger Gang.

Mit einer knallblauen Auster sowie einem dünnen Chip aus violetter Kartoffel, erneut mit einem künstlich wirkenden blauen Austerngel versehen, geht es weiter. Wie die blaue Farbe exakt zustande gekommen ist, ist mir nicht wirklich klar. Es hinterlässt aber auch keinen besonderen Eigengeschmack. Hervorragend allerdings die Austernqualität. In Kombination mit dem Chip hat man hier eine volle Meeresbrise im Mund.

Blaue Auster mit knuspriger lila Kartoffel
Blaue Auster mit knuspriger lila Kartoffel

Im folgenden werden häufig zwei Positionen der Menüfolge gemeinsam serviert. Damit verfliegt meine Sorge, dass ich hier womöglich erst kurz vor Morgengrauen vom Tisch aufstehen würde.
Die erste dieser Kombinationen vereint ein tief schwarzes Sepia-Risotto mit einer geräucherten Piparra-Chilischote. Die ist nicht sonderlich prägnant, aber das Risotto ist dafür von sehr guter Qualität.
Aber noch deutlich besser gefällt mir die Seegurke, die mit leichten Röststoffen und in einer sehr cremigen Sauce kommt. Zur Ergänzung findet sich separat noch ein eleganter Zitronengrasschaum. Das ist sehr stark.

Das nächste Duo bedient auf großartige Weise die Abteilung „schlotzig und lecker“. Linker Hand ein cremig gefüllter Gougère mit Comté und Trüffel, unkompliziert und köstlich. Aber das eigentliche Highlight und eines der stärksten Gerichte an diesem Abend ist Zwiebel, die wie ein Risotto zubereitet ist. Parmesan und Trüffel unterstützen den Umami-Charakter dieser großartigen Produktpräsentation. In einer anderen Kritik wird dieser Gang in einer ausgehöhlten Zwiebel serviert und erscheint noch opulenter. Mir scheint, dass das die noch stärkere Version ist, aber auch ich bin von dem betörenden Duft und intensiven Geschmack meiner Portion sehr eingenommen.

Gougère mit Comté und weißem Trüffel / Zwiebeltexturen in Risottoart mit Parmesan und weißem Trüffel
Gougère mit Comté und weißem Trüffel / Zwiebeltexturen in Risottoart mit Parmesan und weißem Trüffel

Für den folgenden Gang wird dem Gast etwas Show geboten und der Effekt verfehlt seine Wirkung nicht. Aus einer Salzschale mit „ABaC“-Logo, die von Beginn an auf dem Tisch stand, gräbt der Service zwei Prachtexemplare von Garnelen aus. Da bleiben an keinem Tisch die „Ahs und Ohs“ aus. Der Kopf wird abgetrennt und für die weitere Zubereitung beiseite gelegt, die restliche Garnele in die Küche gebracht.
Der Kopf wird am Tisch in heißem Wasser kurz gegart und dann direkt ausgelutscht. Das ist etwas gewöhnungsbedürftig, aber in Summe noch mit so viel Fleisch versehen, dass der Verzehr jetzt auch keine größere Überwindung kostet.
Separat dazu wird ein sehr gutes Tatar mit Kumquat serviert sowie ein falscher Auberginen-Gnocchi mit einer Garnelenemulsion. Die Deklinierung des Themas findet ihren Höhepunkt in einer Garnelen-Bouillabaisse, die mit purem Garnelen-Geschmack begeistert.
Bei aller Show bleibt festzuhalten, dass hier eine ausgezeichnete und sehr durchdachte Variation eines hervorragenden Produktes exerziert wurde.

Nach all den bis hierher doch schon recht ausgefallenen Präsentationen und Zubereitungen mutet der folgende Gang geradezu klassisch an. Die Forelle, wunderbar glasig gegart, mit Blumenkohlpüree, Kaviar und einer konzentrierten, aus Gräten gezogenen Sauce, ist von einnehmender Schönheit und harmonisch komponiert. Der üppig bemessene Kaviar setzt hier mit seinen salzigen Noten die markantesten Akzente, drängt sich aber trotzdem nicht in den Vordergrund. Sehr gut.

Forelle, Blumenkohl, Kaviar
Forelle, Blumenkohl, Kaviar

Bereits vor einiger Zeit wurde am Tisch eine Kerze entzündet. Als sie weitestgehend runter gebrannt ist, wird noch ein gutes, sehr fettiges Focaccia serviert. Die Karte verheißt ein offensichtliches Wortspiel mit „Iberian meats Candle“ und so erklärt der Service, dass die Kerze aus Schweinefett besteht und das Brot zum Eintauchen gedacht ist. Das ist natürlich originell, aber kulinarisch eher ein nettes Apercu.
Auch das separate Spanferkelfleisch, gefüllt mit Paté, ist verhältnismäßig unauffällig.

Jordi Cruz nimmt in seinen Menüs häufig regionale Traditionen mit auf und variiert diese. So ist auch die „Escudella“ eine typische Suppe, wie sie zu Feiertagen gegessen wird und klassisch mit Fleischbällchen serviert wird. Cruz serviert sie mit Grünkohl und Trüffel, der leider komplett untergeht. Ich finde das alles ganz nett, aber nicht wirklich aufregend. Irgendwie bleibt das für mich Brühe mit Klopsen.

Escudella
Escudella

Großartig dann aber wieder das Spanferkelkinn mit frittiertem Grünkohl. Das Fleisch ist super kross und zart, die dazu servierte BBQ-Sauce süß, klebrig und intensiv.

Spanferkelkinn, knuspriger Kohl
Spanferkelkinn, knuspriger Kohl

Im Hauptgang gibt es Taube, die erneut auf relativ klassische Art variiert wird. Auf dem Hauptteller die perfekt gebratene Brust mit einer kräftigen Karotten-Escabeche. À part gibt es das Keulenfleisch mit Foie Gras als frittierte Kugel sowie einen Chip mit gehobelter Foie Gras. Dies ist alles klassisch, handwerklich ausgezeichnet und sehr wohlschmeckend. Daneben nimmt sich die Taubenbrühe sehr mild und Rosmarin lastig aus. Trotzdem in Summe ein sehr guter Gang.

„Käse- und Gemüseinfusion 6/12“ ist der Käsegang betitelt. Und dahinter verbirgt sich eine molekulare Spielerei, in der 6 Käsesorten als Sphären zubereitet sind. Die Brühe ist aus 12 Gemüsesorten zubereitet. Damit erklärt sich der Name. Überzeugender wird das Ergebnis dadurch nicht. Die einzelnen Sorten sind, mit Ausnahme des Roqueforts, kaum zu unterscheiden. Die Brühe ist nur lauwarm, was auch irgendwie den Gesamteindruck beschreibt. Nette Spielerei, wenig Effekt, mäßiger Geschmack. So sehr ich den Anspruch eines Avantgarde-Menüs verstehe, etwas Besonderes aus manchen Zutaten zu machen, so wenig Sinn macht es für mich, wenn das Ergebnis hinter das Originalprodukt zurück fällt.

Käse- und Gemüseinfusion 6/12
Käse- und Gemüseinfusion 6/12

Den Auftakt in die süßen Gerichte bildet eine karamellisierte Birne, die mit einem nicht näher erklärten Eis gefüllt ist. Ich nehme aber an, dass sich darin auch von der fermentierten Walnuss befand, die die Birne auf dem Teller neben einem Tupfer Lakritzcreme begleitet. Letztere ist eher dezent, wofür ich dankbar bin. Insgesamt ist das alles ziemlich süß, aber durchaus harmonisch und passend. Aber unterm Strich auch etwas langweilig.

In einem ähnlichen Geschmacksbild geht es weiter mit einem Frischkäseeis, Honigbrot und karamellisierten Nüssen. Irgendwo soll sich hier auch noch weißer Trüffel befinden, aber ich kann den nicht ausmachen. Trotzdem gefällt mir das schon besser.

Karamellisierte Nüsse mit weißer Schokolade und weißem Trüffel, Honig und Frischkäse
Karamellisierte Nüsse mit weißer Schokolade und weißem Trüffel, Honig und Frischkäse

Komplett verspielt wird es noch einmal beim abschließenden Dessert. Zu einer pinkfarbenen großen Kugel, die sich als Erdbeer-Sahne-Parfait herausstellt, gesellt sich ein ebenso rosafarbener Teller als Nachbildung eines Luftballons. Darauf ist Kaugummi das beherrschende Thema, in allen erdenklichen Strukturen. Handwerklich ist das zwar alles sehr gut und abwechslungsreich gemacht, aber geschmacklich ist das schon sehr seltsam. Auch die monströse Eiskugel hat etwas eigenwillig künstliches. Ich fühle mich nicht nur optisch, sondern auch geschmacklich eher in einem Hello Kitty-Barbie-Einhorn-Universum. Wirklich gut finde ich das nicht.

Erdbeer-Sahne-Ballon mit Kaugummi Eiscreme
Erdbeer-Sahne-Ballon mit Kaugummi Eiscreme

Sehr schön präsentiert werden dann auch noch einmal die Petits Fours, von denen mir der „Lippenstift“ mit Rosenblütengeschmack gut gefällt und die diversen Schokoladen-Variationen. Da lässt sich auch verschmerzen, dass der Lavendel-Marshmellow ziemlich furchtbar schmeckt.

Zwar nach Mitternacht, aber doch noch zu akzeptabler Zeit verlassen wir das Restaurant. Die Küche von Jordi Cruz spielt gekonnt mit regionalen Traditionen, die er mal kräftiger, mal moderater modernisiert. Neben einigen großartigen Produktpräsentationen wie bei der Zwiebel, Garnele und Taube gab es mit der Seegurke und der Forelle auch einige relativ klassische Zubereitungen, die ganz stark waren.
Dass zu einem Avantgarde-Menü zwangsläufig auch einige Spielereien gehören, wie die Kerze aus Schweinefett, die blaue Auster oder die Käsesphären, bringt zwar nicht immer geschmacklichen Mehrwert, trägt aber in jedem Fall zu einem unterhaltsamen Abend bei.
Wo die Apéros sehr stark begannen, ist es etwas betrüblich, dass gerade die Desserts gegenüber dem vorherigen Menü abfielen und nicht den erhofften positiven Schlusspunkt setzen konnten. Gerade das seltsame Kaugummi-Dessert war eher ein geschmacklicher Tiefschlag.
Aber unterm Strich gab es erheblich mehr Gänge, die uns überzeugen konnten.

Im „ABaC“ ist man auf ein sehr internationales Publikum eingestellt und der Service wird dem sehr professionell und freundlich gerecht. Bei den vielen durchaus auf Effekte zielenden und in kurzen Intervallen inszenierten Gängen fällt es aber merklich schwer, eine individuellere Konversation zu starten.

Und so bleibt ein Abend mit einigen Highlights, einigen unterhaltsamen Spielereien und ein paar Durchhängern. Ein, zwei weniger von letzteren und ich wäre richtig begeistert gewesen.

Details

Restaurant: ABaC
Adresse: Av. del Tibidabo, 1, 08022 Barcelona
Öffnungszeiten: täglich mittags und abends
kein Ruhetag
Website: www.abacrestaurant.com

Schlagworte

, , , , , , ,

Verwandte Artikel


Dein Kommentar