Boathouse, Hamburg (geschlossen)

Zwischen dem zweiten und dritten Gang sind wir mit unseren, bis dahin noch unbekannten, Tischnachbarn am Chef’s Table im lebhaften Gespräch. Zugegeben – etwas unfreiwillig, denn in einem Anflug größtmöglichen Ungeschicks habe ich das Sektglas meiner Nachbarin umgestoßen und neben diversen Scherben für eine weiträumige Überschwemmung gesorgt.

Es ist davon auszugehen, dass die Idee des Chef’s Table in Thomas Macyszyns „Boathouse“, schon war, dass die Gäste miteinander ins Gespräch kommen, wenngleich wohl nicht unter diesen, zumindest für mich hochnotpeinlichen, Umständen. Aber ziemlich schnell hat sich die Aufregung gelegt, die betroffenen Gäste sind nicht erkennbar nachtragend und mit dem nächsten Gang ist man ohnehin wieder im kollektiven Genuss vereint.

Wir sind im noblen Hamburger Stadtteil Eppendorf, wo Thomas Macyszyn im September 2016 sein eigenes Restaurant eröffnet hat. Davor hatten wir ihn zuletzt in Rüsselsheim erlebt, wo er sich bis 2015 im Restaurant „Navette“ des Columbia-Hotels einen Namen gemacht hatte, einen Stern erkochte und vom „Gusto“ als Koch des Jahres ausgezeichnet wurde – bis sich die Columbia-Kette von allen Gourmetrestaurants trennte. Nun war das vor allem als Businesshotel genutzte Haus in der nicht sonderlich attraktiven Opel-Stadt ohnehin eine seltsam deplatziert wirkende Bühne für die sehr elaborierte Küche Macyszyns und die schon damals notwendige Pendelei zwischen Hamburg und dem Rhein-Main-Gebiet für ihn vermutlich eher beschwerlich. Umso schöner, wenn auch nicht weniger riskant, dass es nun also Hamburg für das neue Projekt geworden ist. Schließlich ist hier an guten Restaurants nicht wirklich Mangel und das hanseatische Publikum vermutlich auch nicht immer leicht zu begeistern.

Das Konzept ist einfach und doch auch wieder nicht. Fisch und Meeresfrüchte bestimmen hier das Programm. Daneben gibt es noch zwei, drei Fleischgänge. Auf der normalen Karte sind die Gerichte zum Teilen gedacht und sowohl à la carte als auch als Sharing Menü zu bestellen. Am Chef’s Table, der für etwa 8 Personen quasi einen Logenplatz mit Blick in die offene Küche erlaubt, wird ein festes, überwiegend abweichendes Menü serviert.

Zum Apéritif – wir gönnen uns ein Glas Krug Champagner, den es hier glasweise zu vergleichsweise erschwinglichem Kurs gibt – wird der erste Gang serviert, eine pochierte Auster stattlicher Größe mit Beurre Blanc Eis und einer Vinaigrette mit prägnantem, aber dennoch ganz fein austariertem Räucheraroma. Ein starker Auftakt!

Mit der Ceviche von der bretonischen Makrele wird der Stil deutlich, der sich wie ein roter Faden auch durch das weitere Menü ziehen wird: wenige Zutaten, Fokus auf dem Hauptdarsteller und eine markante flüssige Begleitung. Die Makrele ist von sehr guter Qualität, die Vinaigrette wird bestimmt durch die Süße der schwarzen Walnuss. Als Schärfekick etwas frisch geriebener Meerrettich – mehr nicht. Klingt einfach? Ist es aber nur vermeintlich, denn vor allem die Vinaigrette beschäftigt mich lange. Ich meine, etwas wie Waldmeister oder Sauerampfer herauszuschmecken und liege damit falsch. Aber auch, wenn ich es nicht herausbekomme: diese Vinaigrette ist überraschend, ungewöhnlich und sehr passend.

Ceviche Bretonische Makrele / Meerrettich / Schwarze Haselnuss
Ceviche / Meerrettich / Schwarze Walnuss

Ähnlich reduziert kommt der Hamachi, der ganz mit seiner Qualität glänzen soll. Nur leicht lauwarm wird er flankiert von wenigen fruchtigen Tupfen von Litchi und der fettigen Reichhaltigkeit einer sehr eleganten Nussbutter.

Hamachi / Litchi / Nussbutter
Hamachi / Litchi / Nussbutter

Mit dem nächsten Gang wird es verspielt. Die Avocado ist in hauchdünnen Scheiben kunstvoll zu einer Art Tasche geformt, die einem Dim Sum ähnelt und die mit einem frischen Salat vom Taschenkrebs gefüllt ist. Am Tisch angegossen wird ein Rucolasud. Die Kombination aus fettiger Avocado und frischem Krebsfleisch funktioniert gut. Erneut ist es der Sud, der dem Gericht den entscheidenden Twist verleiht.

Avocado Dim Sum / Taschenkrebs / Rucola
Avocado Dim Sum / Taschenkrebs / Rucola

Deftig wird es bei der getauchten Jakobsmuschel von beeindruckender Größe, die scharf angebraten wird und auf einem Grünkohlpüree thront. Dazu wurde der Grünkohl norddeutsch klassisch zubereitet und dann zu einem Püree verarbeitet. Das führt dazu, dass ein klassisches Geschmacksbild, das man eher mit Bregenwurst, Kassler und Speck verbindet, in einen neuen, eleganteren Kontext gesetzt wird und dadurch eine interessante Spannung aufbaut.

Jakobsmuschel / Grünkohl / Hollandaise
Jakobsmuschel / Grünkohl / Hollandaise

Es folgt krosse Hühnerhaut, die genug Stabilität mitbringt, um quasi als Sandwichunterlage für zart gebratenen Pulpo und eine lauwarme Paprikasalsa zu dienen. Etwas Salzzitrone sorgt für dezente Säurespitzen. Mir gefällt die Kombination sehr gut, weil ich zum einen Hühnerhaut, als auch Pulpo sehr gerne mag. Lediglich die sogenannte Eatibility lässt ein wenig zu wünschen übrig, denn man muss schon die relativ großen Pulpostücke im ganzen abbeißen, sonst läuft man Gefahr, dass einem einzelne Bestandteile entgegenfallen. Und nach dem Sektglasunfall möchte ich nicht auch noch durch schlechte Essmanieren unangenehm auffallen…

Pulpo / Hühnerhaut / Paprika
Pulpo / Hühnerhaut / Paprika

Im nächsten Gang ist erneut die flüssige Begleitung das prägendste Element. Die Sauerkrautjus ist geschmackintensiv und hochkonzentriert, für mich eng an der Salzgrenze. Mein Mann empfindet das anders, ist aber ähnlich angetan von der Jus. Dazu gibt es Aal, der in Sojasauce mariniert war sowie das ausgekratzte Fleisch von verkohlten Kartoffeln. Beides hat hart gegen die Jus zu kämpfen. Die Grundidee des Gerichtes gefällt mir, aber bei Veränderung der Proportionen könnte der Aal besser bestehen. Eine frische Komponente würde zudem das sehr Dominante des Jus und die Kompaktheit von Fisch und Kartoffel etwas abpuffern – und könnte das Gericht vielleicht auch farblich etwas aufpeppen.

Aal / Kohlekartoffel / Sauerkrautjus
Aal / Kohlekartoffel / Sauerkrautjus

Beim finalen Fischgang, dem Black Cod in leichter Yuzu-Soja-Sauce und mit einigen marinierten Kohlrabischeiben wird es wieder deutlich leichter in der Gesamtaromatik. Hier ist der Fisch, auf den Punkt gegart, wieder der eindeutige Hauptdarsteller. Die Größe des ausgezeichneten Fischstückes hätte allerdings durchaus ein wenig mehr Gemüse als Beilage vertragen.

Black Cod / Yuzu / Kohlrabi
Black Cod / Yuzu / Kohlrabi

Den Abschluss des Menüs bildet ein Dessert, das eine Kaffir-Limetten-Creme mit einem Kokos-Küchlein und Passionsfruchteis kombiniert. Das ist lecker, wenn auch etwas brav.

Und als finales Dessert folgt noch ein Rhabarber Vermouth Sour mit einem Buttermilch-Espuma. Das ist säuerlich und erfrischend. Auf den Cracker aus karamellisierter Kondensmilch hätte ich allerdings verzichtet. Er hinterlässt ein eher klebriges Mundgefühl.

Diese Kleinigkeit trübt aber natürlich nicht den Gesamteindruck eines spannenden Menüs. Nur Fisch funktioniert ausgezeichnet. Ich habe nichts vermisst und die Gerichte waren abwechslungsreich und teilweise sehr überraschend, vor allem durch die oft sehr prägnanten Jus.

Stilistisch hat sich Thomas Macyszyn deutlich von den ausdekorierten Tellern seiner „Navette“-Zeit entfernt. Die Konzentration auf wenige Komponenten geht dabei allerdings nicht einher mit einer einfacheren Zubereitung. Die Gerichte schmecken bei aller optischen Simplizität häufig vielschichtig und komplex. Einhellig war die Meinung am Tisch allerdings, dass der Gemüseanteil durchaus etwas höher hätte sein können.

Thomas Macyszyn
Thomas Macyszyn beim Anrichten

Konzeptionell erinnert mich das Boathouse ein wenig an Tim Mälzers Off Club, wo im Hauptbereich auch leicht zugängliche Sharing-Gerichte serviert werden und im Madame X eine sehr produktfokussierte, raffiniertere Küche, die auch optisch ähnlich minimalistisch anmutet. Diese Ähnlichkeit ist, selbst wenn nicht beabsichtigt, nichts schlechtes. Mir hat es seinerzeit in beiden Bereichen im Off Club ausgezeichnet gefallen.

Alleine um ein vollständiges Bild von der Küche des Boathouse zu bekommen, werde ich das nächste Mal im eigentlichen Restaurant reservieren. Vielleicht dann ja im Sommer auf der geplanten Terrasse mit Blick auf den Isebekkai. Und vielleicht bin ich dann ja auch so verwegen, sogar vom angeschlossenen Bootsverleih Gebrauch zu machen, den Thomas Macyszyn ebenfalls mitbetreibt.

Zu wünschen ist ihm, dass sich das Abenteuer der Selbständigkeit für ihn auszahlt. Das Sharing-Konzept stimmt und sollte auch dauerhaft viele Gäste sichern, denn die Qualität ist überdurchschnittlich. Die Weinkalkulation ist allerdings relativ sportlich. Wenn man sich nicht nur auf die betuchte Eppendorfer Klientel verlassen will, sollte überlegt werden, den Bereich der Flaschenweine zwischen 30 und 40 Euro etwas stärker auszubauen.

Unser Abend am Chef’s Table hat, trotz des von mir zu Beginn verursachten Malheurs, viel Spaß gemacht. Dazu beigetragen hat der charmante Service, aber auch die netten Mitgäste, mit denen sich interessante Gespräche ergeben haben. Dass zu vorgerückter Stunde auch noch Birgit Wester, die ehemalige Restaurantchefin des „Navette“, ins Boathouse kam und sich auch nach zwei Jahren noch an uns erinnerte, schlug dann eine schöne Brücke vom Seinerzeit ins Jetzt. Und um das Morgen mache ich mir nach diesem Besuch keine Gedanken.

Details

Restaurant: Boathouse
Adresse: Isekai 1, 20249 Hamburg
Öffnungszeiten: Mittwoch bis Sonntag 12.00 – 14.30 Uhr und 18.30 – 23.00 Uhr
Montag + Dienstag Ruhetage
Website: www.boathouse.hamburg/

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