Handwerk, Hannover

Wer sich dem Prinzip der Reduktion, des Weglassens verschreibt, bewegt sich oft auf dem schmalen Grad zwischen Genialität und Banalität. Ähnlich den Auswüchsen der Nouvelle Cuisine in den 80er Jahren finden sich heute häufig nur zwei oder drei Komponenten auf dem Teller. Das kann zu einer deutlichen Geschmacksfokussierung auf das Hauptprodukt führen und im besten Fall zu einer intensiveren Wahrnehmung. Im entgegen gesetzten Fall, wenn zum Beispiel einige Kohlrabispaghetti ohne jegliche weitere Begleitung „lässig“ auf den Teller geschleudert werden, kann dies auch problemlos als Gästeverarschung verstanden werden. Minimalismus ist halt eine schwierige Sache.

Auch auf Thomas Wohlfelds Tellern im seit Januar in der hannoverschen Südstadt eröffneten „Handwerk“ ist oft nicht viel. Nicht bezogen auf die Menge, das passt schon, auch wenn hiesige Online-„Kritiker“ sich hier gerne und reflexartig über zu kleine Portionen beschwerten. Nein, ich bin mehr als satt aufgestanden. Übersichtlich, weil halt deutlich reduziert, ist die Präsentation der zwei, maximal drei Elemente.

In vielem erinnerte mich das Menü an jenes, das ich vor einiger Zeit im „Madame X“ des Hamburger Off Clubs von Tim Mälzer hatte. Und das ist vielleicht auch naheliegend, denn vor seinem Wechsel nach Hannover arbeitete Thomas Wohlfeld dort an der Seite von Thomas Imbusch. Auch im „Madame X“ lenkte nichts unnötiges vom Hauptprodukt ab, setzte es häufig in einen ungewohnten, aber immer stimmigen und geschmackvollen Kontext. Und: hinter allem war ein einwandfreies Handwerk erkennbar. Wenn das also die Grundzutaten auch für dieses Restaurant sein sollten, durfte ich gespannt sein.

Interieur
Interieur

Im „Handwerk“ gibt es ein Menü, das mit 6 Gängen 70 Euro kostet und bis auf 4 Gänge (dann 55 Euro) reduziert werden kann. An unserem Abend gab es noch einen zusätzlichen Käsegang. Das Menü wechselt häufig. Noch am selben Abend, als ich mir die Karte aus dem Internet downloaden wollte, war es bereits in weiten Teilen ausgetauscht. Eine Woche später ist nur noch das Dessert dasselbe.

Wir starten mit drei Amuses, die zeitgleich serviert werden: Eine Auster mit gepickelter Gurke, ein Hühnerchip mit Avocadocreme und ein Cornet mit Tatar, Crème Fraîche und Kaviar. Dieses derzeit schwer angesagte Appetizer-Triumvirat kann durchweg überzeugen.

Es folgt ein im Blumentopf selbstgebackenes, recht dunkles und würziges Brot mit Olivenbutter.

Brot & Olivenbutter
Brot & Olivenbutter

Der erste Gang im Menü ist Sashimi vom Zander mit Kohlrabi in dünnen Streifen und Sojapilzen. Zusammen mit einer Creme ergibt sich ein rundes, überwiegend frisches Gesamtbild. Pilze und die sehr dezent portionierte Sojasauce sorgen für einen erdigen und würzigen Kontrast. Ein ausgezeichneter Gang, der sehr geschickt konzipiert ist und prima als Einstieg an diesem warmen Abend taugt.

Sashimi vom Zander, Kohlrabi, Sojapilze
Sashimi vom Zander, Kohlrabi, Sojapilze

Nicht ganz so frühlingshaft kommt der folgende Gang, bei dem 24 Stunden gegarter Sellerie mit einem perfekt wachsweichen Eigelb und einigen Kapern kombiniert wird. Der Sellerie hat noch einen angenehmen Biss und gemeinsam mit der Creme unter dem Sellerie ist dies vor allem sehr süffig. Nicht nur Vegetarier dürften hiermit ihren Spaß haben.

24h gegarter Sellerie, Eigelb, Kapern
24h gegarter Sellerie, Eigelb, Kapern

Experimenteller wird es mit Spargel vom Green Egg, Pilzerde und Fichtensprossen. Vor letzteren habe ich zunächst am meisten Respekt, denn ich befürchte einen aromatischen Ausflug ins Fichtennadelschaumbad, der aber ausbleibt. Wie auch immer die dekorativen Sprossen bearbeitet wurden, sie geben nur sehr zurückhaltend ein zartes Aroma ab, das durchaus als spannende Ergänzung zum Spargel dient. Enttäuschend bleibt eher die Pilzerde, die wenig bis kaum Pilzaroma verbreitet, eher einen an Vollkornbrot und Pumpernickel erinnernden Ton. Zudem ist die Konsistenz eher trocken, als dass sie einen verbindenden Charakter herstellen könnte. Der Spargel ist von ausgezeichneter Qualität und hat für mich die exakt richtige Konsistenz. Aber in der Tat hätte ich mir an dieser Stelle tatsächlich eine Sauce oder eine Creme gewünscht.

Spargel vom Green Egg, Pilzerde, Fichtensprossen
Spargel vom Green Egg, Pilzerde, Fichtensprossen

Es folgen sehr gute, mit Schweinbauch gefüllte Gyoza und relativ milder Kimchi. Dazu eine Sojareduktion, die hochviskos am Teller liegt und nur sehr sparsam eingesetzt werden soll – worauf der servierende Koch zurecht hinweist. Durch die lange Reduktion ist der Salzgehalt hart an der Grenze, aber als Würzmittel für die Gyoza noch gut geeignet. Da sie gedämpft sind, bleiben sie trotz der gut abgeschmeckten Füllung eher mild. Ich persönlich mag Gyoza zwar in der angebratenen Version lieber, aber auch so ist dies ein guter Gang.

Als Übergang zum Hauptgang serviert die Küche einen Campari/Orange als Wassereis, was durchaus eine nette Abwechlung zu den oft üblichen, wenn auch für mich oft entbehrlichen Sorbets, darstellt.

Wassereis: Campari/Orange
Wassereis: Campari/Orange

Der Rücken vom Holsteiner Rind kommt auf den Punkt gegart und erhält mit geröstetem Blumenkohl und am Tisch gehobelter Belper Knolle zwei relativ kräftige Begleiter. Auch die erneut sehr konzentrierte Sauce tut ihr übriges dazu, den Gang eher zu den deftigen zu rechnen. Wir sind zufrieden. Wer hier im übrigen über die Menge meckern wollte, ist definitiv im falschen Restaurant. Die war nämlich mehr als stattlich.

Rücken vom Holsteiner Rind. Blumenkohl, Belper Knolle
Rücken vom Holsteiner Rind. Blumenkohl, Belper Knolle

Zum Käse, drei gut gereifte und temperierte Sorten mit diversen Senf- und Fruchtchutneys, wird Schüttelbrot angekündigt. Mit der Südtiroler Spezialität haben die hauchdünnen Teigblätter meines Erachtens nicht viel zu tun, aber unabhängig davon schmecken sie mir ausgezeichnet und sind mir als Beilage zum Käse eh deutlich lieber, da nicht so mächtig.

Das Dessert beschließt den Abend erfreulicherweise sehr frisch. Unter einem mit Wacholder gewürzten Baiserblatt finden sich diverse Zubereitungen (z.B. Granité, Gelee, Creme) von Zitrone und Gurke. Nach dem zum Ende hin doch recht üppigen Menü bin ich über diesen erfrischenden Abschluss sehr dankbar. Gleichzeitig ist er auch in der handwerklichen Ausarbeitung komplexer als es das erste Bild vermitteln mag.

Mit dem „Handwerk“ wagt sich in Hannover erneut ein junges Team mit einem zeitgemäßen, trendigen Konzept an den Start. Regional und saisonal sind auch hier die beherrschenden Eckpfeiler, aber anders als in vergleichbaren Restaurants anderer Städte wirkt dies in der Umsetzung auf dem Teller weniger dogmatisch. Der häufige Wechsel der Karte spricht außerdem dafür, sich nicht monatelang auf ein und denselben erprobten und beliebten Gerichten ausruhen zu wollen (ich habe eben mit Überraschung gelesen, dass das „Einsunternull“ in Berlin in 3-4 Wochen sein Menü wechseln wolle – nach gefühlten 6-9 Monaten…). Und das ist gut so, verspricht es doch ausreichend Abwechslung, um kontinuierlich Gäste zu ziehen, was in einer Stadt wie Hannover dringend nötig ist.

Petits Fours
Petits Fours

Dass man sich hier besonders locker gibt und dies mit der ein oder anderen Marotte einher geht – geschenkt. Ich muss zwar nicht unbedingt geduzt werden, es stört mich aber auch nicht sonderlich. Und ja, mir macht es auch nicht so viel aus, mein Besteck wieder zu benutzen – schöner fände ich es dennoch, wenn ich neues bekäme. Der Einblick in eine offene Küche hat häufig seinen Reiz und vermittelt etwas Vertrauensbildendes. Dass man seine Kleidung danach allerdings besser waschen oder tagelang lüften sollte, muss einem indes auch klar sein. Und die Musikuntermalung ist von einer gewissen Exzentrik geprägt, zumindest wenn man in einem Restaurant wie diesem nicht unbedingt Baccara und das sonstige Schlimmste der 70er erwartet. Aber vielleicht war das auch nur die Spezialität des Tages und ansonsten kann man hier ganz anderes hören.

Innenansicht Küche
Innenansicht Küche

Wünschen würde ich mir hingegen eine gästefreundlichere Weinkalkulation. Die noch nicht besonders umfangreiche Karte listet wenig im unteren Preissegment auf, kaum etwas um 30 Euro, dafür dann relativ schnell einiges um 40 Euro und deutlich mehr. Es scheint ein gewisser Trend bei Neueröffnungen in Hannover zu sein, Weine mit Faktor 3-4 zu kalkulieren. Das lässt die Lust auf eine zweite Flasche zügig sinken. So behelfen auch wir uns mit einem anständigen, aber nicht überragenden Albarino und einem ordentlichen offenen Roten, der dafür fair bepreist ist.

Wir erlebten an diesem Abend ein abwechslungsreiches und kreatives Menü, bei dem die Reduktion nicht zu einem Absturz in die Banalität führte. Im Gegenteil: viele Gerichte, wie der Zander, der Sellerie und das Dessert konnten mit starken Ideen und guter Umsetzung punkten. Anderen Gerichten, wie dem Spargel, fehlte etwas Finetuning. Aber insgesamt ist dies ein starker Auftritt und eine gute Bereicherung der hannoverschen Restaurantszene.

Details

Restaurant: Handwerk
Adresse: Altenbekener Damm 17, 30173 Hannover
Öffnungszeiten: Mittwoch - Sonntag ab 18 Uhr
Montag und Dienstag: Ruhetage
Website: www.handwerk-hannover.com/

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