Urgestein, Neustadt an der Weinstraße
Am 3. November 2015 in Deutschland | 4049 Aufrufe
Auf den Tag genau 3 Jahre ist es her, seit wir das letzte Mal im „Urgestein“ waren. Unfassbar eigentlich, denn Benjamin Peifer, der knapp 26-Jährige hat seitdem eine rasante Entwicklung genommen und darf ohne Frage als einer der Shootingstars der jungen Kochgarde gewertet werden.
Im zweiten Jahr bereits mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet und auch die übrigen Restaurantführer sparen nicht mit Top-Noten. Um es vorwegzunehmen: Es dürfte durchaus noch etwas höher in die Punktekiste gegriffen werden, denn was wir erlebten, war großes Geschmackskino, mehr wert als 16 Punkte und näher an 2 Sternen als an einem.
Im „Urgestein“ gibt es zwei Menüs: „Grundstein“ als vegetarisches Angebot in 4 Gängen und „Meilenstein“ in 6 Gängen. Wir begeben uns ganz in Peifers Hände und haben am Ende einen fast kompletten Querschnitt aus beiden Menüs bekommen, sozusagen die aktuelle Bestandsaufnahme seines Könnens.
Und die startet nach einem sehr regional-geprägten Kartoffelchip mit Frischkäse gleich mit einer Aromenbombe, die einen Bogen von der Pfalz nach Japan schlägt. Die Elmsteiner Forelle kommt zum einen als Macaron mit feiner Meerrettichschärfe und als Maki mit Ingwer und Sesam.
Der anschließende Schweinebauch wird gar in dreierlei Zubereitung präsentiert mit einer kunstvollen Variation von Kürbis, bei der Mandarine und Chili spannende Akzente setzen. Bereits hier wird deutlich, dass Benjamin Peifer auf kräftige Aromen setzt. Auch Röst- und Grillaromen sollen im Laufe des Abends eine häufiger wiederkehrende Rolle spielen. Trotzdem wird es nie plump und vordergründig, die Finesse bereits bei diesen Grüßen ist unübersehbar.
Auch das anschließend servierte Sauerteigbrot, das der gelernte Bäcker natürlich selber backt, ist zum Niederknien gut. Aufgeschlagene Nussbutter dazu und man bräuchte kaum mehr..
Was aber schade wäre, denn dann würden einem so spielerische, wie gelungene Gerichte wie die Champignons als „Waldboden“ entgehen, die Vorspeise aus dem vegetarischen Menü. Nicht nur optisch ist die Assoziation eines Waldspaziergangs naheliegend, auch in der Nase ein betörender Duft von Steinpilzen. Auf dem Löffel dann erdige Aromen, Feuchte in der „Erde“ gibt Süffigkeit. Schließt man die Augen, hat man den Herbst auf der Zunge. Wunderbar! Es sind Pilze im Gericht, aber nicht alles, was wie Pilz aussieht, ist auch einer. Das ist einfach sehr gekonnt.
Weiter geht es mit der Vorspeise aus dem „Meilenstein“-Menü. Auf einer Scheibe ungestopfter Gänseleber thront ein Tatar von Garnelen und ein Eis von Mais. À part dazu eine Art Dumpling, gefüllt mit einer Mischung aus, wenn ich es richtig zusammenbringe, erneut Garnelen, Mais, Kräutern und Kernen. Aber Achtung: Beide Einzelteile würde ich nicht parallel essen, denn während das Tatar in Kombination mit der Leber sehr elegant und fein daherkommt, ist der Dumpling der „Hallo Wach“-Gruß, der einen frontal trifft. Zurückhaltung ist anders und damit es das Tatar nicht erschlägt, ist es empfehlenswert, diesen im Anschluss zu essen.
In der Folge zeichnen alle Gerichte dasselbe Merkmal aus – sie sind einfach zum reinlegen lecker. Sei es der Kabeljau, der mit Fenchelsalat und Dashibrühe optisch eher puristisch um die Ecke kommt oder die „Hommage an unsere Winzer“, bei der Zander und Räucheraal mit Variationen von Trauben und einem leicht säuerlichen Espuma (Sauerkraut?) kombiniert werden. Dies sind Gerichte, die clever komponiert sind und denen man jederzeit den Aufwand anmerkt, die einen aber nicht eine Minute intellektuell überfordern. Im Gegenteil: dies ist Soulfood vom feinsten, Gerichte zum wohlfühlen und eintauchen. Benjamin Peifer weiß genau, wie er mit fülligen Saucen oder Jus oder Butter (gerne auch als Nussbutter) Geschmack nach vorne bringt.
Ein gutes Beispiel dafür ist der „EI-ntopf vom Holzkohlegrill“. Optisch nahezu unauffällig verbirgt sich unter einer Wirsinghaube, die – zugegeben – mit Trüffel aufgepeppt wurde, ein Füllhorn von g‘schmackigen Zutaten: feinstes Röstbrot, Sellerie, ein wachsweiches Ei, Kartoffelschaum. Ein Löffel voll Spaß!
Die Taube – mein Lieblingsfleisch – kombiniert Peifer mit von mir für gewöhnlich nicht besonders geschätztem, klassisch zubereiteten Rotkohl – und ich mag es. Auch dank der übrigen Zutaten: eine knusprige, aber dennoch sehr zarte Taubenkeule, Blutwurst als dünner Chip und Haferwurzel. Dazu ein Umami-satter Taubensud mit einem Ravioli aus den Innereien und Keulenfleisch. Toll!
Als erstes Dessert erneut ein unscheinbarer Teller, der seine Qualitäten erst preisgibt, wenn man sich mit dem Löffel durchgearbeitet hat. Feinste Schokoladencreme aus Original Beans gehen mit Äpfeln und Birnen eine erneut erdige Kombination ein, der ein Zwetschgen-Sorbet die nötige Frische gibt.
Danach geht dann sogar noch eine Kleinversion von Peifers Signature-Dessert, dem dekonstruierten Bienenstich „Intense“ 2.0.
Den Abschluss und anstelle klassischer Petits Fours bildet eine Grapefruitcreme mit Tapioka, Avocadoeis und Jalapeno. Prägnante Schärfe setzt ein letztes Mal einen deutlichen Akkord und ein deutliches Ausrufezeichen.
Eigentlich war das ganze Menü ein einziges Ausrufezeichen – geschmackvolle Gerichte von Anfang bis Ende, technisch ohne Makel, die alle das Attribut lecker verdienen und umkompliziert zu genießen sind. Dazu passt auch die Erklärung, dass man sich weitestgehend von flachen Tellern verabschiedet hat, um genau das zu ermöglichen: mit dem Löffel durch das Essen durcharbeiten, ohne Gebrauchsanleitung, aber mit großem Genussfaktor.
Hat funktioniert und mich sehr, sehr glücklich gemacht. Ein paar Essen kommen dieses Jahr zwar noch, aber bis hierher war dieses Menü auf jeden Fall in den TOP 3 des Jahres. Respekt dafür und danke!
Details
Restaurant: | Urgestein |
Adresse: | Rathausstraße 6, 67433 Neustadt an der Weinstraße |
Öffnungszeiten: | Di - Sa 18:30 - 23:00 So + Mo Ruhetage |
Website: | www.restaurant-urgestein.de/ |
Schlagworte
Benjamin Peifer, Casual Fine Dining, Gourmet, kreativ, Michelin, neue deutsche Küche, Neustadt, Pfalz, Urgestein
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