Votum, Hannover

Auf dieses Wiedersehen haben sich in der Region Hannover viele gefreut – mich eingeschlossen. Benjamin Gallein ist wieder da und mit ihm Nico Kuckenburg, sein Pâtissier aus der „Ole Deele“ in Burgwedel, die sie gemeinsam zu einem Michelinstern, 18 Gault Millau-Punkten und damit zu einem der besten Restaurants in Niedersachsen gekocht hatten, bis es vor einem Jahr geschlossen wurde.

Nun stehen beide im „Votum“, dem Restaurant im Leineschloss, das auch den Landtag beherbergt, wieder zusammen am Herd.

Johannes Lühmann, der in der Stadt und Region bereits mehrere Gastronomien und Hotels betreibt, hat sich der nicht unproblematischen Location an exponierter Innenstadtlage angenommen. Die vorherigen Betreiber waren hier, obwohl mit ähnlichem Konzept angetreten, zuletzt krachend gescheitert, was meiner Meinung nach zu einem großen Teil dem Service zuzuschreiben war, der es bei unseren Besuchen vor allem an Übersicht, Aufmerksamkeit und Organisation hat vermissen lassen. Als Gast musste man hier von der Bestellung bis zum Bezahlen lange warten, seeehr lange…

Dass dies unter der neuen Leitung kein Problem werden würde, dafür stehen Jonas Gohlke, der nach einigen, auch internationalen, Stationen wieder nach Hannover zurückgekehrt ist und Laura Kuckenburg, die wir noch aus dem „Handwerk“ kennen. Beide zeigen an diesem Abend bereits sehr deutlich, dass hier nicht nur die Küche ganz offensichtlich Sterneambitionen hat, sondern auch der Service dem nicht nachstehen will.

Die sehr großzügig angelegten Räumlichkeiten und die ausladende Terrasse im Leineschloss gut auszulasten, wäre mit einem Fine Dining-Restaurant alleine nicht zu bewerkstelligen. Daher ist gibt es noch einen günstigen Mittagstisch, quasi die Landtags-Kantine, sowie mit dem „Schorse“ auch ein Zweitrestaurant, in dem verfeinerte bürgerliche Küche mit kreativem Twist angeboten wird. Konzeptionell haben Gallein und Kuckenburg auch hier ihre Finger mit im Spiel. Die Küche selbst wird aber von einem separaten Team geführt.

Den „Votum“-Bereich hat man gegenüber der Bar platziert und mit lichten Vorhängen recht geschickt gestaltet. Trotz der Größe kommt so tatsächlich etwas intime Stimmung auf.

Die Karte hält ein gesetztes Menü in sechs Gängen zu 130 Euro bereit, das um zwei Upgrade-Gänge und Käse erweitert werden kann. Das kreuzt man dann auf dem bereitgelegten „Wahlzettel“ an, den man, wir sitzen ja quasi unter dem Plenarsaal, in eine Wahlurne wirft.

Zusätzlich gibt es noch eine Austern-Option, die man zum Apéritif ordern kann. Warum auch immer, habe ich darauf verzichtet, vermutlich weil ich mir einen Extragang bestellt habe.

Aber die zweierlei Austern, davon eine geräuchert, und der Austernshot werden am Tisch hochgelobt.

Zweierlei Auster
Zweierlei Auster

Dass Gallein bereits bei den Grüßen die kreative Latte sehr hoch legt, kennen wir bereits aus der „Ole Deele“ und auch hier ist es nicht anders. Den Auftakt macht ein Zweierlei rund um die Tomate. Zum einen gibt es eine Interpretation des Panzanella, des italienischen Brotsalates, der hier in Form einer Zwiebelbrioche mit Tomaten und Basilikum kommt, bei der mir vor allem der ausgeprägte Zwiebelgeschmack gut gefällt.

Auf dem zweiten Teller wird es unter einem Knusperblatt in Tomatenform deutlich komplexer. Diverse Tomatensorten wurden eingelegt und gemeinsam mit einer Ceviche vom Elsässer Saibling und Saiblingskaviar ergibt sich ein schönes, frisches und sehr aromatisches Gericht, bei dem zudem eine leichte Süße durchschimmert.

Amuse Bouche I
Amuse Bouche I

Knusprig und kräutrig wird es mit der Maistartelette, Tatar vom Surimi und einer alles betonenden Brunnenkresse-Sphäre.

Amuse Bouche II
Amuse Bouche II

Der DDR-Klassiker „Würzfleisch“ hat bei Benjamin Gallein einen festen Platz bei den Grüßen, denn auch in der „Ole Deele“ gehörte er zum Repertoire. Die Version mit Kalbfleisch und Kapern kommt zwar verfeinert, aber immer noch recht rustikal daher.

Als feiner und eleganter Kontrast gibt es dazu einen Macaron mit Gänseleber, Kalbstatar und Kaviar aus Brottrunk. Das ist präzise und köstlich.

Warmes, frisch gebackenes Sauerteigbrot und Butter überbrücken die Zeit bis zum ersten Gang,

Brot & Butter
Brot & Butter

bei dem uns ein bekanntes Thema begegnet. Denn auch schon in der „Ole Deele“ widmete sich Gallein einer Neuinterpretation der Forelle „Hausfrauen Art“.  Im „Votum“ kommt die Forelle für 24 Stunden in den Dry Ager und wird mit Koji Shoyu mariniert, was ihr eine festere Struktur gibt. Apfel und Schmand kommen hier natürlich auch vor, Eis, Gurkensaft, Tomatenwasser und Forellenkaviar unterstützen den kühlen, frischen Charakter des Gerichts, der gekonnt Traditionelles mit Modernem verbindet.

Forelle / Apfel / Schmand / Dill
Forelle / Apfel / Schmand / Dill

Der Fenchel, Hauptdarsteller im folgenden Gang, wurde im Salzteig gegart, was seinen Geschmack ohnehin schon deutlicher hervorbringt. Lardo, Salzzitrone, kandierte Oliven und Birnen ergänzen den Fenchel passend, ohne sich zu sehr in den Vordergrund zu drängen. Eine Beurre Blanc bringt zusätzliche Fülle in das abwechslungsreiche Ensemble.

Fenchel / Salzzitrone / Birne
Fenchel / Salzzitrone / Birne

Weiter geht’s mit einem stattlichen Stück Heilbutt, das mit zahlreichen Komponenten bedeckt ist. Austerncreme, Algen, Krabben, Sanddorn und Panko sowie eine gefüllte Kartoffel, ein prägnanter Aalschaum und ein Ostfriesenteesud auf Basis von Dashi buhlen hier gleichzeitig um Aufmerksamkeit. Meine erste Assoziation war, dass man den Fisch hier auch à la Bordelaise verstehen könnte mit seiner knusprigen Auflage. Es wirkt zwar alles ein wenig zu üppig, aber vielleicht kommt es darauf auch gar nicht an, alle Komponenten hier auseinander zu halten, sondern auf den Gesamtcharakter, der ohne Frage kräftig, würzig und stimmig ist.

Heilbutt / Kartoffel / Sanddorn / Ostfriesentee
Heilbutt / Kartoffel / Sanddorn / Ostfriesentee

Als der erste Fleischgang naht, muss ich doch nachfragen, was mit dem auf dem Wahlzettel angekreuzten Extragang ist. Denn spätestens an dieser Stelle hätte ich die geeiste Beurre Blanc mit Kaviar, Pinie und Staudensellerie erwartet. Wie sich herausstellt, ist meine Stimme offensichtlich abhanden gekommen – meinen Glauben in die Demokratie erschüttert das zwar nicht, aber dass es ausgerechnet im Haus des Parlaments passiert, entbehrt nicht einer gewissen Ironie.

Die Entschuldigungen folgen prompt und allen ist das unglaublich unangenehm. Ich nehme es gelassen und hoffe darauf, dass der Gang auch beim nächsten Besuch als Upgrade verfügbar ist, denn er liest sich einfach zu spannend.

Einen wunderbaren Ausgleich bietet mir dafür die über Binchotan gegrillte Taubenbrust, die schöne Raucharomen liefert. Rote Bete, Innereiencreme, Holunder und Purple Curry-Sauce geben dem ohnehin bereits kräftigen Gang eine zusätzliche erdige Note. Ein sehr schöner Zwischengang!

Taube / Rote Bete / Purple Curry / Holunder
Taube / Rote Bete / Purple Curry / Holunder

Etwas zurückgenommener präsentiert sich der eigentliche Hauptgang rund um ein kleines Stück perfekt gebratenes Wagyu-Roastbeef und geschmortes Shortrib. Wassermelone, gesmoked und als Relish, sorgt neben leicht rauchigen Noten für einen angenehmen fruchtigen Akzent und als Kontrast zur fülligen PX-Essigsauce und dem Schaum aus Wagyu-Fett. Hier zeigt sich sehr gut, dass Benjamin Gallein nicht nur opulente, komponentenreiche Gerichte zu kreieren weiß, sondern auch die reduzierteren und pointierteren Töne beherrscht.

Wagyu / Wassermelone / PX / Ochsenmark / Verbene
Wagyu / Wassermelone / PX / Ochsenmark / Verbene

Ab jetzt geht das Zepter an Nico Kuckenberg über, der vor allem für die süße Abteilung zuständig ist – wobei ich auch seine herzhaften Churros aus „Ole Deele“-Zeiten nachhaltig positiv in Erinnerung habe.

Als Pré-Dessert zeigt er eindrucksvoll, dass er auch die zeitgeistige Form beherrscht, in der Kräuter und Gemüse die vorherrschende Rolle spielen. Das Petersilieneis mit einem Schaum von Sellerie, Staudensellerie und diversen anderen Kräutern wird von weißer Schokolade gekonnt abgepuffert, was für ein ausgewogenes Spiel von Herbheit und Süße sorgt.

Pré-Dessert
Pré-Dessert

Zu den schönsten Desserts, die ich von Nico Kuckenberg bisher gesehen habe, gehört das an eine Seerose erinnernde Arrangement verschiedener knuspriger Blätter aus Rote Bete und Kirsche. Das ist platziert auf einem Parfait aus Guanaja-Schokolade mit flüssigem Kirschkern. Schön auch das Eis aus Sonnenblumenkernen, das den etwas festen und mächtigen Nougatkern gar nicht gebraucht hätte. In Summe ist das zwar relativ üppig, aber durch die fruchtigen Elemente noch gut ausbalanciert. Nicht nur wegen des Hingucker-Effekts ein sehr gekonnter Abschluss.

Kirsche / Guanaja 70% / Sonnenblumenkerne
Kirsche / Guanaja 70% / Sonnenblumenkerne

Das handwerkliche Können spiegelt sich auch in den Petits Fours wider. Eine Variation von Pina Colada mit Ananasragout und Kokosschaum spielt auf der exotischen Seite, während der „verbrannte“ Windbeutel mit Salzkaramelleis gefüllt ist und trotz der ungewohnten Optik eher auf der traditionellen Seite spielt. Eindeutiger Sieger am Tisch ist aber die mit Paprika und Kirsche gefüllte Praline. Der geschmackliche Überraschungseffekt ist so überzeugend, dass hier alle trotz fortgeschrittenem Sättigungsgrad auch gegen eine zweite oder dritte nichts einzuwenden gehabt hätten.

Benjamin Gallein und Nico Kuckenberg knüpfen im „Votum“ nahtlos an die hervorragende Leistung in der „Ole Deele“ an. Die Ambitionen auf den Michelin-Stern sind unübersehbar und es gibt nach diesem Besuch auch keinen Grund daran zu zweifeln, dass dies klappen sollte. Dafür ist die Küche zu kreativ, bietet viele Überraschungsmomente und ist handwerklich makellos.

Klar hat man bei manchen Gängen das Gefühl, dass es auch weniger Komponenten hätten sein können, um den gleichen Effekt zu erzielen, aber letztlich fügt sich doch immer alles stimmig zusammen.

Für den Wohlfühlcharakter sorgen der angenehme Service und die Tatsache, dass die Köche hier häufig bei den einzelnen Gängen beim Servieren präsent sind.

In dieser Form kann das „Votum“ zu einer festen Größe in der Landeshauptstadt werden und es ist gut zu wissen, dass wir Benjamin Galleins Küche nun auch fußläufig erreichen können.

Details

Restaurant: Votum
Adresse: Hannah-Arendt-Platz 1, 30159 Hannover
Öffnungszeiten: Montag - Freitag: ab 18.30 Uhr
Samstag & Sonntag: Ruhetag
Website: www.vo-tum.de/

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Kommentare

  1. Carsten am 22. November, 2021 um 12:24 Uhr.

    Lieber Thomas, da habe ich drauf gewartet. Und wurde nicht enttäuscht. Wohlige Erinnerungen an den Abend in der olen deele kommen auf! Ich werde versuchen, meine Liebste mal von einem Besuch zu überzeugen (auch wenn sie vermutlich immer noch das Handwerk vorzieht).

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