De Librije, Zwolle
Am 20. Juni 2019 in Niederlande | 6525 Aufrufe | 3 Kommentare
Fast drei Jahre ist unser letzter Besuch im „De Librije“ von Jonnie und Thérèse Boer her. Bei der Planung unseres diesjährigen Sommerurlaubs durch Belgien und den Niederlanden war relativ schnell klar, dass es bei all den guten Restaurants, die ohnehin auf unserer Route standen, zum Abschluss auch noch mal ein echter Knaller sein sollte.
Der erste Besuch hatte uns seinerzeit über alle Maßen fasziniert, weil es nicht nur das hervorragende Essen war, das uns begeisterte, sondern die Gesamtinszenierung, die man vor allem als Hotelgast erleben kann. Im ehemaligen Frauengefängnis ist schon der Empfang sehr entspannt. Während der Wagen geparkt und das Gepäck aufs Zimmer gebracht wird, kann man bei einem Drink und ausgezeichneten Snack aus der Küche die Stimmung in der kreativ bunten Lobby aufnehmen.
Schon die Zimmer in den ehemaligen Gefängnistrakten, die zum Teil auch noch die historischen Türen zeigen, begeistern mit exquisitem Komfort. Dass es anstatt der Bibel im Nachtisch ein käuflich zu erwerbendes Kästchen mit diversem Sexspielzeug gibt, passt zu dem irgendwie anarchisch wirkenden Charakter des Hauses so wie das schwarze Klopapier auf der Gästetoilette des Restaurants.
Ein Abend im „De Librije“ beginnt traditionell in der Bar, in der es sich schummrig und gemütlich sitzt.
Dort werden auch die ersten Snacks und der Apéritif eingenommen. Ein glasierter und knuspriger Schweinebauch lässt die ursprüngliche Form nicht mehr wirklich erkennen, aber eine dickflüssige Jus unterstützt den fleischigen Charakter, der lange nachhallt.
Mit einem zweierlei von knuspriger Garnele geht es weiter. Eine Version ist mit Baharat und Sellerie gewürzt, eine weitere mit Picalilly-Mayonnaise. Beides ist ist sehr crispy und aromatisch.
Für die weiteren Grüße wechseln wir ins eigentliche Restaurant, das im lichten Innenhof unter dem Glasdach eine offene und gemütliche Atmosphäre verströmt.
Das folgende Kalbstatar mit Heringskaviar ist ein Klassiker des Hauses, der früher direkt auf dem Handrücken der Gäste aufgetragen wurde. Nun wird er auf dem ebenfalls schon bekannten Freundschaftsring serviert. Geschmacklich hat sich nichts geändert. Die Kombination aus mildem Fleisch und salziger Kaviarnote funktioniert weiterhin prächtig.
Der abschließende Gruß zum Thema Krustentiere und Fische wird als Hommage an Jonnie Boers Großvater interpretiert, der Süßwasserfischer war. Eine beigefügte Postkarte zeigt ein Bild von ihm bei der Arbeit und erinnert daran, dass das damals ein üblicher Beruf war, dem heute aber nur noch ein halbes Dutzend Fischer in der Region nachgehen. Daher sollen die folgenden Grüße auch diesen aussterbenden Berufsstand ehren.
In einer massiven Kiste, die etwas unauffällig wirkt und die jetzt am Gast geöffnet wird, werden Fischbäckchen geräuchert.
Das Bäckchen wird als Zweierlei gemeinsam mit einer schönen Hechtmousse serviert, die vor allem mit einer tollen Krustentieressenz begeistert.
Auf einem luftigen Teigkissen findet sich ein Garnelenchip. Und in einem Ei findet sich eine köstliche Kombination von Wasserkresse und geräuchertem Aal.
Diese Art des Storytellings kann leicht aufgesetzt und unehrlich wirken. Hier jedoch hat es etwas sehr Authentisches und Glaubwürdiges, gerade auch, weil es so direkt mit Jonnie Boers Familiengeschichte zu tun hat.
Brot und Butter folgen. Beides ist gut, aber nicht außergewöhnlich.
Das Menü startet mit Auster, die hier in einem für mich gänzlich neuen Kontext präsentiert wird. Umhüllt von einem Mantel aus Ziegenmilch und Ziegenfrischkäse findet sich die Auster in einem Sud von gepickelter, süßlicher Essiggurke. Staub von getrockneter und geräucherter Auster verleiht dem Gericht zu dem frischen und jodigen Charakter zusätzliche Tiefe. Das ist ungewöhnlich und sehr vielschichtig.
Kaisergranat gart Jonnie Boer wie ein Ceviche in einem intensiven Tomaten Kombucha. Spargel, dehydriert und knusprig, dient als Deko, ist aber auch im Sud verarbeitet, ebenso wie Laos, auch bekannt als Thaiingwer. Auch dieser Gang überrascht mit ungewöhnlichen Kombinationen, Zubereitungen und einer enormen Komplexität.
Etwas einfacher präsentiert sich der Seeteufel in Curry mit einer Sauce aus Kapuzinerkresse und Pandan und Reiscreme. Das hat eine tolle Würze mit einer exotischen Fruchtnote.
Auch im „De Librije“ gehört es mittlerweile zum Programm, den Gästen einen Einblick in die Küche und die angrenzenden Räume, darunter auch eine großzügige Kochschule, zu geben. Wir haben das Vergnügen, den Abend über vorwiegend von einer deutschen Servicekraft betreut zu werden und auch ein deutscher Koch arbeitet in der Crew. Er erklärt uns auch die Küchenabläufe und, was für mich besonders spannend ist, das Abrufsystem, das mittlerweile natürlich nicht mehr mit Bons, sondern mit einem ausgeklügelten Programm auf Displays gesteuert wird. Da finden sich dann auch Angaben zu der Sprache am Tisch, ob gerade Pause ist (weil zum Beispiel eine Küchenführung ansteht) und es deshalb in der Küche für diesen Tisch nicht weitergehen kann, wann Besteck eingedeckt wird und vieles mehr. Gerade bei Multigang-Menüs bin ich immer wieder fasziniert von den logistischen Abläufen und da ich solche Systeme bisher nur von weitem, unter anderem im „The Jane“ habe beobachten können, hat es hier viele Fragen endlich beantwortet.
Nur von einem Raumteiler getrennt, schließt sich an den Restaurantraum die Vorbereitungsküche für Vorspeisen und Grüße. Hier findet sich auch der Chef’s Table, der an diesem Abend aber unbesetzt bleibt. Das lichte Ambiente verströmt eine sehr entspannte Arbeitsatmosphäre, die sehr gut zum Gesamtcharakter des Hauses passt.
Wieder zurück am Platz gibt es einen Signature Dish von Jonnie Boer, der, verglichen mit den übrigen Gängen, ziemlich aus dem Rahmen fällt. Denn die Kombination aus flüssigem Eigelb, Sour Cream mit Schnittlauch, Kartoffelknusper und einer ordentlichen Portion Kaviar ist so klassisch wie man es sich nur denken kann. Aber eben auch so perfekt ausgeführt wie kaum sonst wo. Dass es in der Weinbegleitung dazu Champagner gibt, freut mich besonders. Genau in diesem Moment ist dies das genau passende Getränk zu dem zwar kleinen, aber durch und durch luxuriösen Gang.
Weiter geht es mit einer nur sehr knapp gegarten Rotbarbe mit einer Auflage von spicy Mango, knusprigen Garnelenköpfen und Waldmeister. Der findet sich auch im Sud, der aus Garnelen und Rotbarbe gezogen ist und gibt ihm eine hoch spannende Note. Erneut eine tolle Kombination.
Das Lamm im Hauptgang serviert die Küche einmal als Rücken, der scharf angebraten und dann in Ruhe weiter gegart wurde und als Nacken, der 12 Stunden in Butter confiert wurde. Das Fleisch ist von angenehmem Eigengeschmack und perfekter Konsistenz, aber das eigentlich Spannende ist die Auflage auf dem Nacken, die aus Frühlingskräutern wie Bärlauch und Pimpernelle besteht und einer Creme von Oliven und schwarzem Knoblauch. Die klassische Jus sowie die Kräutersauce ergänzen sich gut und fügen sich harmonisch ein. Das ist kreativ, aber direkt zugänglich und gänzlich unangestrengt.
Zu meiner Freude ist auch heute ein Käsegang vorgesehen, der gleichzeitig auch noch die in Holland gern mal an ungewöhnlicher Menüposition eingesetzte Entenleber beinhaltet. Die warmen Leberwürfel sind kombiniert mit knusprigen Briochecroutons und gehobeltem Olde Remeker Käse, der in etwa vergleichbar ist mit gut gereiftem Comté. Der Remeker ist auch in der Sauce verarbeitet. Insgesamt ergibt sich ein süffiger, aber durchaus säurebetonter Charakter. Köstlich!
In einem Haus wie dem „De Librije“ darf es vor dem Dessert auch noch mal etwas verspielt werden. Mit einem klassischen Eiswagen dreht ein Servicemitarbeiter seine Runde und aus verschiedenen Sorten kann man sich eine auswählen.
Wir entscheiden uns für Apfel, aromatisiert mit Apfelblütensirup und für Waldmeister mit eingelegten Erdbeeren. Beides ist eine nette Erfrischung.
Zum Schluss wird es dann doch noch mal vielschichtiger mit Erdbeeren, eingelegt und als Sud, der mit dem hauseigenen Gin aromatisiert ist. Gin findet sich auch als Schaum, aber die eigentliche Hauptkomponente ist Ziegenkäse als Eis und als Mousse. Das ist nicht zu süß, stimmig und ein gelungener Abschluss dieses formidablen Menüs.
Vom extravaganten Petits Fours Wagen in Form eines Baumes stellt uns der Service noch einige Süßigkeiten zusammen, die allesamt auch sehr gut sind. Es hätten allerdings durchaus auch zwei pro Stück sein dürfen. Aber was jammer ich?
Was für ein Abend! Jonnie Boer und sein Team haben erneut bewiesen, dass Stillstand hier scheinbar keine Option ist. Bis auf das Kaviarei und das Kalbstatar auf dem Freundschaftsring, die nicht ohne Grund zu den Klassikern im „De Librije“ gehören, konnten sämtliche Gerichte mit einem ganz eigenständigen Charakter und großer Originalität punkten. Aber ungewöhnliche Kombinationen sind hier nie nur Selbstzweck, sondern müssen immer auch Sinn machen. Ich habe viele Gerichte sogar als ausgesprochen souverän empfunden und überhaupt nicht forciert. Man merkt, dass hier niemand mehr etwas beweisen muss.
An der Gesamtinszenierung hat man indes noch ein wenig mehr gefeilt und so fügen sich kleine Unterhaltungsmomente, wie die Küchenführung oder der Ice Cream Man ganz selbstverständlich ein. Und eher plakative Aktionen, wie das Anrichten des Tatars auf dem Handrücken, haben mit der Zeit weichen müssen.
Der überwiegend junge Service agiert wie bisher mit viel Charme und Natürlichkeit. Man stellt sich, so gut wie möglich, auf die Sprache der Gäste ein, ohne dass man darum extra gebeten hätte. Aber natürlich macht es das noch ein wenig bequemer.
Die Weinbegleitung ist vielleicht nicht die spektakulärste, aber sie ist mit Verstand ausgewählt und wird großzügig eingeschenkt. Am Ende hatten wir im Rahmen unseres All inclusive Arrangements neben dem Apéritif-Champagner acht weitere Weine. Wer dann noch nicht in Stimmung gekommen ist, ist selbst Schuld.
Wer kann, sollte dringend eine Übernachtung im „De Librije“ buchen. Die ist zugegebenermaßen nicht ganz günstig, aber als Arrangement relativiert sich das wieder etwas und so kommt man auch in den Genuss des ganz hervorragenden, servierten Frühstücks, das auch einige kleine, originelle Gerichte enthält.
Und man darf sich über den Gute Nacht Gruß freuen, den der Turn Down Service auf dem Kopfkissen platziert. Es ist der berühmte essbare Joint, an dem sich schon Tim Mälzer in „Kitchen Impossible“ abgemüht hat.
Man kann von der Pellegrino-Liste halten, was man will. Aber dass sich das „De Librije“ seit vielen Jahren in der Top 50-Liste findet, kann man verstehen. Es ist und bleibt eines der aufregendsten und charmantesten Restaurants Europas.
Details
Restaurant: | De Librije |
Adresse: | Spinhuisplein 1, 8011 ZZ Zwolle |
Öffnungszeiten: | Dienstag - Donnerstag: ab 18.30 Uhr Freitag + Samstag: 12.00 - 13.30 Uhr und ab 19.00 Uhr Sonntag + Montag: Ruhetag |
Website: | www.librije.com |
Schlagworte
3 Michelin Stars, De Librije, Fine Dining, Gourmet, Jonnie Boer, kreativ, Pellegrino-Liste, Relais & Chateaux
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Hallo Thomas, wie immer perfekt geschrieben – allerdings kann ich trotz all Deiner Beteuerungen, dass es nicht gewollt forciert wirkt nicht nachvollziehen – bei allem gebotenen Respekt vor der Leistung ist mir das Ganze doch wirklich zu ver- ja sogar zer-spielt – siehe die Auster oder das Kaisergranat oder oder, für die eine Vielzahl an Ideen, Aromen, Konsistenzen bemüht werden, die das Menu zum Marathonlauf der Papillen machen .
Eigentlich warte ich ja auf eine andere Station eurer Urlaubsreise in Benelux….aber de Librije nimmt man immer gerne mit!
Nächste Woche;-) Wir wollen schon chronologisch bleiben…