Sinne, Amsterdam

Ich bewundere Servicepersonal häufig für ihr phänomenales Gedächtnis. Da mag man lange Zeit ein Restaurant nicht besucht haben und doch weiß man noch, wo man zuletzt gesessen hat und welchen Wein man getrunken hat. Ich erkenne manchmal Menschen kaum wieder, die ich gerade vor drei Tagen zuletzt gesehen habe.

Auch im „Sinne“ in Amsterdam begegnet uns dieses fabelhafte Erinnerungsvermögen. Einem leicht zögerlichen Blick und etwas Getuschel mit dem Kollegen folgt die Gewissheit und die direkte Frage, ob wir nicht schon mal da waren und nicht die mit dem Blog sind. Und tatsächlich springt Nick Riethoff, der Sommelier zur Seite und weiß in der Tat, dass es beim letzten Besuch, der immerhin mehr als ein Jahr zurück liegt, der Chardonnay aus Südafrika im Glas war und wir auf der anderen Seite gesessen hatten. Aber auch Joost Van Der Werf, mit dem er gemeinsam den Service schmeißt, weiß noch vieles von unserem letzten Besuch und so entwickelt sich ein unterhaltsamer Abend, in dessen Verlauf es zu zahlreichen Smalltalks kommt.

Zum dritten Mal sind wir nun hier. Zum einen, weil es eines der besseren Restaurants ist, die auch sonntags geöffnet haben und zum anderen, weil es uns einfach die ersten Male so gut gefallen hatte.
Verändert hat sich eigentlich seitdem nichts. Aus 12 Gerichten kann sich der Gast weiterhin sein Menü von 3 bis 8 Gängen selbst zusammen stellen. Die einzige Vorgabe dabei ist, dass ein Dessert enthalten sein muss. Ansonsten totale Wahlfreiheit, wobei die Küche vielleicht den ein oder anderen Gang von der Reihenfolge etwas anders einplant, wenn es für die Abläufe einfacher ist. Aber das war es auch schon. Die Preise sind weiterhin nicht anders als günstig zu bezeichnen. Drei Gänge gibt es für 39 Euro, jeder weitere Gang kostet 10 Euro. Auch hier hat sich nichts zum Vorjahr verändert.

Als ersten Gruß schickt die Küche einen Rote Bete Macaron. Der ist ja mittlerweile so etwas wie der Lieblings-Apéro in der Gastronomie. Auch dieser hier ist schön gearbeitet, hat aber erstaunlich viel Wumms durch eine prägnante Pfefferschärfe. Überraschend und gut.

Rote Bete Macaron
Rote Bete Macaron

Deutlich vielschichtiger, wenngleich auch recht scharf gewürzt, gestaltet sich der zweite Gruß. Im Glas befinden sich am Boden Stücke von Gurke und Paprika, eine nicht genauer identifizierbare Creme, flüssiges Eigelb und Ingwerwurzel, getoppt von Reisschaum und gepufftem Reis. Aromatisch erinnert mich das an Indonesien, macht aber auf jeden Fall schon mal deutlich, dass hier durchaus beherzt gewürzt wird.

Eigelb, Reisschaum
Eigelb, Reisschaum

Ein erstes Highlight kommt gleich mit der gemeinsam gewählten Vorspeise. Flankiert von einem schönen Arrangement aus gepickeltem Gemüse, mit cremigem Gambatatar gefülltem Rettich und Creme von Kaffirlimette befindet sich eine formidable Red Gamba. Angegossen wird noch eine Escabeche. Da passiert insgesamt schon eine ganze Menge auf der Gabel. Vor allem die Sauce liefert eine ausgeprägte Würze. So bunt es klingt und aussieht, so gut geht das in Kombination auf. Ein prima Start.

Gebratene rote Gamba, gesalzene Gemüse, Radieschen, Pimento Biquinho, Escabeche Sauce
Gebratene rote Gamba, gesalzene Gemüse, Radieschen, Pimento Biquinho, Escabeche Sauce

Für die nächsten drei Gänge trennen sich dann unsere Wege. Mein Mann entscheidet sich für Cantaloupe Melone, die zum einen süß-sauer mariniert und als Sorbet kommt, begleitet von Tomaten und bedeckt von einer sehr schaumigen Curry-Hollandaise. Auch hier wird es wieder etwas pikant, aber insgesamt ist das nett und erfreulich unkompliziert, wenn halt auch nicht allzu komplex konzipiert.

Cantaloupe Melone süß-sauer, Tomaten, Curry-Hollandaise
Cantaloupe Melone süß-sauer, Tomaten, Curry-Hollandaise

Für mich geht es weiter mit einer Roulade vom Perlhuhn, die mit Pflaumen gefüllt ist. Am Tisch wird das mit einer recht kräftigen Jus nappiert. Das alleine ist gut gegart und mutet fast schon klassisch an, aber die eigentliche Hauptrolle auf dem Teller spielt für mich das Ensemble aus Salat, Spinatcreme und knuspriger Hühnerhaut. Warm und kalt ergänzen sich hier sehr gut und der Salat ist so vielschichtig gestaltet, dass er auch als eigenständiger Gang durchgehen könnte.

Perlhuhnroulade mit Pflaumen, Speck, Spinatcreme, knusprige Hühnerhaut, Perlhuhnjus
Perlhuhnroulade mit Pflaumen, Speck, Spinatcreme, knusprige Hühnerhaut, Perlhuhnjus

Es folgt eine gut und knusprig gebratene Dorade, bei der vor allem der relativ roh belassene Fenchel bei den Gemüsen hervor sticht. Die angekündigte Chorizo machen wir nicht aus. Möglicherweise ist sie im Bouillabaisse-Schaum verarbeitet. In Summe ist das aber ein sehr süffiges, harmonisches Gericht.

Dorade mit Fenchel, Schwertmuscheln, Zucchini, Rettich, und Bouillabaisse
Dorade mit Fenchel, Schwertmuscheln, Zucchini, Rettich, und Bouillabaisse

Ich wähle für den nächsten Gang aus den Hauptgerichten Steinbutt mit wildem Spargel und Topinambur, der als Creme verarbeitet ist. Pfifferlinge spielen auch noch mit, ebenso Radieschen und reichlich Pinienkerne, die für eine angenehm nussige Note und Crunch sorgen. Die Beurre Blanc nimmt sich dagegen schon fast zurückhaltend aus.
Wie auch bei den übrigen Gänge denke ich, dass hier erneut eine Menge auf dem Teller passiert. Und wenn ich das denke, schwingt immer etwas Angst mit, dass es zu viel sein könnte. Aber erstaunlicherweise geht auch diese üppige Mischung noch gut auf.

Steinbutt, Topinambur, Pinienkerne, Beurre Blanc
Steinbutt, Topinambur, Pinienkerne, Beurre Blanc

Ein Klassiker auf der Karte des „Sinne“ ist der würzig gegrillte Sellerie mit wachsweichem Eigelb, Haselnusscrunch, einer schaumigen Knoblauchsauce und Hollandaise. Am Tisch wird noch Trüffel über das Gericht gerieben. Schon bei der Aufzählung der Zutaten wird klar, dass es sich hier um eine Killer-Kombi handelt, die nichts anderes als Attribute wie schlotzig, süffig und lecker zur Folge haben muss. War gut, ist gut, bleibt gut.

Sellerie vom BBQ mit 63° Eigelb, Haselnuss, Hollandaise, Knoblauchsauce und Trüffel
Sellerie vom BBQ mit 63° Eigelb, Haselnuss, Hollandaise, Knoblauchsauce und Trüffel

Ich mache weiter mit Kalbsbries. Das ist perfekt knusprig gebraten und innen noch ganz zart. Ich bin schon davon alleine begeistert. Aber das cremige Ragout von frischen Erbsen und Bohnen mit Crunch von Senfchips ist ebenso uneingeschränkt köstlich. Für mich der bisher beste Gang des Abends.

Knusprig gebratenes Kalbsbries mit grünen Erbsen, Fava Bohnen, Steckrübe, Senfchip und Kalbsjus
Knusprig gebratenes Kalbsbries mit grünen Erbsen, Fava Bohnen, Steckrübe, Senfchip und Kalbsjus

Während wir uns angeregt entweder mit uns selbst oder mit dem Service unterhalten, dürfen wir Zeuge eines unterhaltsamen Spektakels am Nebentisch werden. Drei Japaner genießen, wie wir, mehrere Gänge und haben sich dazu für die Weinbegleitung entschieden. Eine Frau ist offenbar jedoch von so heftigem Jetlag geplagt, dass sie zwischen den Gängen und teilweise auch beim Essen einschläft. Mitunter auch so tief, dass sie kaum mitbekommt, wenn ein Teller vor ihr platziert wird. Wird sie aber geweckt und hat sie noch kaum die Augen geöffnet, ist der erste Handgriff zielsicher zum Smartphone, um zunächst das Gericht festzuhalten. Dass sie dann mitunter nicht in der Lage ist, es überhaupt zu Ende zu essen, scheint niemanden am Tisch so wirklich zu stören.

Ich gebe ja zu, dass mich auch ab und zu die Frage bewegt, ob man das Smartphone nun links oder rechts vom Teller legt. Und ja, auch mir ist es mitunter unangenehm, erst mal ein paar Fotos zu machen, bevor es dann ans Essen gehen kann. Aber der reflexartige Griff meiner asiatischen Nachbarin war schon bemerkenswert.

Zum Hauptgang gehen wir wieder gemeinsam und wählen den Lammnacken vom Green Egg, der mit Baharat gewürzt ist, ein arabisches Gewürz, das offenbar in dieser Saison schwer angesagt ist, denn es wird uns auf unserer Benelux-Tour häufiger begegnen. Das Fleisch ist intensiv und super zart. Es ließe sich problemlos mit dem Löffel essen. Sehr schön gefällt mir die Auflage aus Buchweizencrunch. Aubergine und Tatar vom Bell Pepper, die den durchaus mediterranen Charakter unterstützt. Der ebenfalls mit Baharat abgeschmeckte Ring aus Süßkartoffeln hat es etwas schwer, sich gegen die kräftige Jus und die auch ansonsten nicht gerade dezenten Mitspieler zu behaupten. Aber insgesamt ist dies ein sehr guter Hauptgang.

Lammnacken vom BBQ mit Baharat, Aubergine, Paprikakompott und Lammjus
Lammnacken vom BBQ mit Baharat, Aubergine, Paprikakompott und Lammjus

Als Pré-Dessert serviert die Küche Mango mit lauwarmem Passionsfruchtschaum und Kokosbröseln, die auch tatsächlich noch solche sind. Erneut unkompliziert und im positiven Sinne nett.

Pré-Dessert: Mango mit Passionsfruchtschaum & Kokosnuss
Pré-Dessert: Mango mit Passionsfruchtschaum & Kokosnuss

Sehr schön macht sich das Dessert, obwohl ich eigentlich kein großer Freund von Meringue bin. Aber hier ist sie sehr dünn und elegant geraten. Darunter befindet sich eine komplette Deklination von Erdbeeren, als Sorbet, mariniert und als flüssig gefüllte Kugel. Das ganze thront auf sehr buttrigem Kekscrunch. Das ist fokussiert, raffiniert und sehr, sehr gut.

Erdbeere, Sorbet und mariniert, Meringue mit Cabernet Sauvignon Vinaigrette
Erdbeere, Sorbet und mariniert, Meringue mit Cabernet Sauvignon Vinaigrette

Zwei ausgezeichnete Pralinen beschließen dieses Abendessen. Ein Schokoladentrüffel, mit flüssiger Kalamansi ist etwas säuerlich und erinnert ein wenig an Erfrischungsstäbchen. Schokolade, Mandel und Nougat ist cremig und deutlich fülliger.

Petits Fours
Petits Fours

Auch der dritte Besuch im „Sinne“ hat die bisherigen Erfahrungen bestätigt. Die Küche ist kreativ, manchmal fast überbordend, aber immer harmonisch. Handwerklich ist das, was aus der offenen Küche kommt, ohnehin ohne Makel. Und das auch, wenn der Chef Alexander Ioannou, gebürtiger Schwede, nicht im Haus ist, wie an diesem Abend. Viele Gerichte werden auch von den jungen Köchen serviert und sie machen das mit erkennbarer Begeisterung.

Mit Joost und Nick im Service haben wir einen mehr als unterhaltsamen Abend. Natürlich sprechen wir auch wieder viel über Restaurants und beide wissen, dass wir in Amsterdam wieder einige Besuche geplant haben. Joost fragt uns folglich irgendwann, warum wir uns bei der Vielzahl von infrage kommenden Restaurants wieder für das „Sinne“ entschieden haben. Die Antwort ist ziemlich naheliegend. Weil es gut ist und einfach Spaß macht. Manchmal ist es halt so einfach.

Details

Restaurant: Sinne
Adresse: Ceintuurbaan 342, 1072 GP Amsterdam
Öffnungszeiten: Mittwoch - Samstag: 18.00 - 21.00
Sonntag: 12.00 - 15.00 und 18.00 - 21.00
Montag & Dienstag: Ruhetag
Website: www.restaurantsinne.nl

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Kommentare

  1. Carsten am 18. September, 2019 um 16:48 Uhr.

    Erstaunliche Preise für Amsterdam, wenn ich das nächste Mal bei den Kollegenbin, geht es dahin.

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