Rote Wand Chef’s Table, Lech

Viele Köche haben beeindruckende Stationen in ihrer Vita. Max Natmessnig kann, obwohl noch jung an Jahren, bereits das „Steirereck“ oder das legendäre „Oud Sluis“ von Sergio Herman vorweisen. Aber die prägendste und vermutlich spannendste Erfahrung wird er sicher im New Yorker „Chef’s Table at Brooklyn Fare“ gemacht haben, wo er zuletzt an der Seite von César Ramirez die Position des Sous Chef innehatte.

Wir haben nie dort gegessen und kennen das Restaurant nur von Berichten, aber Ramirez ist bekannt dafür, sich ohne jegliche finanzielle Einschränkungen der besten Produkte, die weltweit verfügbar sind, bedienen zu können.

Eben dort hat Josef Walch, Hausherr im Top Hotel „Rote Wand“ in Lech am Arlberg, Max Natmessnig kennengelernt und ihn in die Vorarlberger Alpenkulisse abgeworben. Im neben dem Hotel gelegenen ehemaligen Schulhaus hat er ihm dafür auch gleich noch eine offenbar in weiten Teilen vergleichbare Bühne wie in New York geschaffen mit einem Tresenrestaurant rund um die offene Küche mit maximal 15, 16 Plätzen.

Seit 2017 kocht Natmessnig nun an diesem Ort und hat seitdem eine beeindruckende Entwicklung  genommen, die von allen einschlägigen Führern mit Bestnoten ausgezeichnet wird. 18,5 Gault Millau-Punkte, 98 Punkte im Falstaff, 96 Punkte im À la Carte – nun ja, den Michelin gibt’s hier halt nicht, was für einen derart ambitionierten und talentierten Koch wie Natmessnig schon arg bitter ist.

Das Menü, das derzeit in zwei Sitzungen um 17 und um 20 Uhr serviert wird, startet mit mehreren Fingerfood-Snacks, die in einem separaten Raum eine Etage unter dem Restaurant serviert werden. Hier endet der Abend später auch nach dem Dessert. Damit drängen sich zwangsläufig Vergleiche auch zum „Frantzén“ auf, wo der Ablauf ähnlich inszeniert wird. Aber es gibt sicher schlechtere Vorbilder, an denen man sich orientiert.

Jedenfalls sitzen wir hier, im kleinen Raum, zum Apéritif recht kuschelig mit den übrigen Gästen, mit denen man, wenn man denn möchte, schnell ins Gespräch kommt, wodurch sich die Atmosphäre erfreulich lockert.   

In Folge werden sieben Apéros serviert, beginnend mit einer puren, intensiven und sehr klar schmeckenden Rettich-Consommé.

Rettich Konsommee
Rettich Konsommee

Richtig auf Habacht-Stellung werden die Geschmackspapillen mit dem nächsten Snack gebracht. Ist das Beef Tatar im Knusperkörbchen bereits für sich gut gewürzt, bringt der Einsatz von ‘Nduja, der cremig scharfen sizilianischen Streichwurst, ordentlich und nachhaltig Wumms in den Happen.

Beef Tartelette / 'Nduja
Beef Tartelette / 'Nduja

Damit sich die Schärfe nicht auf den nächsten Happen überträgt, wird sogar fein säuberlich das Geschirr gereinigt und Platz gemacht für das in Radieschenscheiben platzierte Tatar von der Bergforelle, die man vom Züchter 100 Meter entfernt bezieht. Eine angenehme kühle Frische ist hier vorherrschend, die von etwas Krenschärfe zusätzlich akzentuiert wird. Ein sehr eleganter Snack.

Bergforelle / Kren
Bergforelle / Kren

Erdiger wird es mit einem Buchweizenchip, geräucherter Crème fraîche und Bergforellenkaviar vom gleichen Züchter, der auch die Forellen liefert. Mit dem Dillpulver ergibt sich ein durchaus vielschichtiges und spannendes Geschmacksbild.

Buchweizen / Forellenkaviar / Dill
Buchweizen / Forellenkaviar / Dill

Weiter geht es mit gegrilltem Aal im Sellerie-Taco mit Radieschen und Weizenkeimlingen. Vor allem das tolle Raucharoma sorgt für einen super intensiven Touch.

Sellerie / Aal
Sellerie / Aal

Etwas unauffällig bleibt dagegen das Brandteigbällchen, das mit einer Creme aus Geflügelleber und Johannisbeere gefüllt ist. Die Leber ist hier für mich nur marginal zu schmecken und hätte durchaus intensiver herausgearbeitet werden können. Die Fruchtnote hätte hier immer noch sehr gut gepasst.

Pâte à Choux / Geflügelleber / Ribisel
Pâte à Choux / Geflügelleber / Ribisel

Den Abschluss der Grüße bildet eine saftig fleischige Auster, die leicht gegrillt wurde und mit Codium-Alge einen zusätzlichen Meereskick bekommt. Einfach nur lecker!

Auster / Algen / Codium
Auster / Algen / Codium

Es folgt für alle Gäste gleichzeitig eine Präsentation der an diesem Abend vor allem verarbeiteten Produkte. Zwar ist Regionalität schon ein wichtiges Thema und viele Produkte bezieht man auch vor Ort, aber man macht kein Dogma daraus und bestimmte Produkte, wie Carabineros sind nun mal eben nicht in Österreich heimisch. Daneben werden auch einige fermentierte Produkte präsentiert und vor allem die Sonnenblume bekommt hier in all ihren Facetten einen besonderen Platz.

Mit dieser Art der Präsentation, die mittlerweile nicht mehr ganz so unüblich ist, drängen sich zwangsläufig erneut Parallelen zum „Frantzén“ auf. Aber stört das hier jemanden? Nicht, soweit ich das beurteilen kann.

Produktpräsentation
Produktpräsentation

Im Anschluss hieran geht es eine Etage höher an den eigentlichen Chef’s Table mit Blick auf die Küche, in der auch tatsächlich noch gekocht bzw. gegrillt wird. Dass bei dem nun folgenden Menü natürlich auch vieles vorbereitet ist und Mise en Place das Gebot der Stunde ist, versteht sich von selbst. Da alle Gäste zur gleichen Zeit ihr Menü beginnen, hat es die Küche natürlich leichter, denn es muss nicht versetzt gekocht und serviert werden, sondern sie kann Gang für Gang abarbeiten.

Und den Auftakt macht ein wie Ceviche gebeizter Saibling mit einem Buttermilchschaum und Schnittlauch. Fischhaut bringt Crunch in dieses angenehm säuerliche Gericht, das aber auch eine minimale Schärfe aufweist. Auf kleinem Raum tut sich hier eine überraschende Vielschichtigkeit auf.

Saibling / Buttermilch / Schnittlauch
Saibling / Buttermilch / Schnittlauch

Mit einer Variation zum Thema Sonnenblume geht es weiter. Zum Kohlrabi gesellen sich Sonnenblumenkern-Miso, aus den Blättern erstelltes Kimchi und natürlich Kerne. Mit Verbene-Öl wird abgerundet. Mir ist das insgesamt zu mild und unauffällig. Gut, aber nicht aufregend.

Sonnenblume / Kohlrabi
Sonnenblume / Kohlrabi

Unter einer Geleehaube findet sich eine hochkomplexe, süffige Komposition um die King Crab. Das Gelee wurde aus den Köpfen des Schalentiers gezogen, dazu eine King Crab Butter. N25-Kaviar bringt milde Salzigkeit, flüssiges Eidotter Fülle und Sanddorn feine Säure. Erneut ist erstaunlich, wie komplex sich diese auf kleinem Raum konzentrierte Komposition präsentiert.

Mit der roten Garnele aus Sizilien folgt ein veritabler Kracher. Zwar ist auch die Qualität der Krustentiere beeindruckend gut, aber noch faszinierender ist die Satay-Sauce auf Basis von Erdnuss, Chili und Koriander. Vor allem letzterer ist so elegant und fein dosiert eingesetzt, wie ich es bisher selten erlebt habe. Zu der gehaltvollen, prägnant scharfen Sauce gesellt sich noch ein Chutney aus Speck, Zwiebeln und den Köpfen der Garnelen. In der Konsistenz wirkt das fast wie frittiert, was neben der geschmacklichen Tiefe auch noch eine zusätzliche Textur mitbringt. Ein starker Gang, der mich rundweg begeistert.

Carabinero / Satay / Koriander
Carabinero / Satay / Koriander

Seit unserem Eintreffen am Chef’s Table ist Max Natmessnig bereits damit beschäftigt, ein opulentes Stück Glattbut an der Gräte zu grillen. Der findet sich jetzt in Tranchen , bedeckt von geräucherten Muscheln und dünnem Lardo in einem Escabeche-Sud. Das ist sehr ausgewogen und gut, tut sich aber nach dem markant kräftigen Satay-Gang etwas schwer.

Glattbutt / Escabeche / Muscheln
Glattbutt / Escabeche / Muscheln

Es folgt ein Mais-Flan in einer Malz-Consommée. Hier trifft mal wieder das Attribut mollig zu, was die diversen gegrillten Pilze sowie die Nocke Crème fraîche noch unterstützen. Die leichte Süße steht dem Gang sehr gut.

Mais Flan / Malz / Pilz
Mais Flan / Malz / Pilz

Vor dem Hauptgericht gibt es mit einem sehr cremigen Kombucha-Sorbet noch eine Erfrischung. Aufgegossen wird mit einem Ginger Beer-Kombucha-Cocktail, der mit seiner leichten Ingwerschärfe für ausreichend Spannung sorgt.

Erfrischung
Erfrischung

Bereits seit einiger Zeit warten unter Wärmelampen zwei bereits von außen perfekt gegarte Enten mit wunderbarer Kruste. Die Tranche wird mit Fett von gegrillter Gänseleber bestrichen, was auch deutlich zu schmecken ist und eine kongeniale Ergänzung zum Entengeschmack darstellt. Ragout von der Haxe ist in ein knusprig gebackenes Mangoldblatt gearbeitet. Was für ein toller, eigenständiger Gang und für mich der nächste Kracher.

Ente / Marille / Mangold
Ente / Marille / Mangold

Mit dem folgenden Beignet folgt eine veritable Herausforderung, denn die Füllung aus dreierlei Käse, nämlich Mimolette, Blauschimmel und Bergkäse mit Feigencreme ist recht flüssig. Zusammen mit australischem Wintertrüffel gerät der Bissen ziemlich groß. Will man aber ein größeres Debakel vermeiden, tut man gut daran, ihn trotzdem in einem zu essen. Belohnt wird man so oder so mit einer fettigen, harmonischen – also leckeren – Angelegenheit.

Käse / Feige / Trüffel
Käse / Feige / Trüffel

Ungewöhnlich, aber auch erfreulich frisch, macht sich das Dessert. Waldheidelbeerenragout und -granité sowie Joghurt-Espuma liefern den fruchtig, säuerlichen Kontrast zum leicht erdigen Eis von gerösteter Gerste. Puffreis liefert Textur. Da ich grundsätzlich eine Vorliebe für derlei fruchtigere Desserts habe, passt mir das an dieser Stelle sehr gut und auch die außergewöhnliche Kombination und Präsentation ist ganz nach meinem Geschmack.

Waldheidelbeere / Gerste / Joghurt
Waldheidelbeere / Gerste / Joghurt

Damit endet der offizielle Teil am Chef’s Table und es geht wieder zurück in den kleinen Raum vom Beginn des Abends. Dort gibt es zum Kaffee noch eine mit Sake und Fichtensud aromatisierte Erdbeere sowie ein Fujisan Bread, eine Kreuzung aus Brioche und Croissant mit Karamell und Zimt-Zucker. Was für ein sündiges, super-fluffiges und köstliches Gebäck. Einfach großartig!

Die Erwartungen an dieses Menü waren mit der Geschichte, die Max Natmessnig mitbringt, natürlich sehr hoch. Und auch wenn wir nie in New York im „Chef’s Table“ waren und sich zwangsläufig Vergleiche zum „Frantzén“ aufdrängen, war dies ein sehr eigenständiges Erlebnis. Klar, auch das Geschirr, vieles von Hering, gibt es so wohl auch in New York. Aber davon unbenommen waren die Gänge sehr eigenständig, erfreulich reduziert und gleichzeitig komplex. Auf unnötige Deko, Tupfen und Cremes kann man angesichts der ausgeklügelten Kombinationen verzichten.

Dass dieses Menü mit der Roten Garnele und der Ente mindestens zwei absolute Top-Highlights für mich bot, die es nach jetzigem Stand in die Jahres-Best of-Liste schaffen dürften, hebt es schon mal deutlich über den Standard.

Darüber hinaus macht die sehr entspannte und kommunikative Atmosphäre, sowohl mit anderen Gästen als auch den Köchen, einfach viel Spaß. Die Weinkarte ist üppig und gut bestückt, auch in allen Preislagen. Neben einigen Coravin-Optionen im sehr hochpreisigen Segment, gibt es eine alkoholfreie Begleitung und eine Weinbegleitung, die allerdings ausschließlich mit Naturals bestückt ist. Das finde ich etwas befremdlich und ich hätte mir auch eine konventionelle gewünscht. Aber wir sind auch mit unserer Flaschenauswahl sehr zufrieden.

Ganz klar ist aber, dass Max Natmessnig hier eine tolle Bühne für sein herausragendes Talent gefunden hat. Dass er es mit seinem „Chef’s Table“ bereits in die „Opinionated About Dining“-Liste geschafft hat, ist meines Erachtens erst der Anfang. Von ihm wird man noch viel hören. Und sollte sich der Michelin entschließen, doch irgendwann wieder einen Guide für Österreich herauszubringen, wird es hier auch Sterne regnen. Kein Zweifel.

Details

Restaurant: Rote Wand Chef’s Table
Adresse: Zug 5, 6764 Lech am Arlberg
Öffnungszeiten: Mittwoch - Sonntag: 17.00 Uhr (1. Sitzung) & 20.00 Uhr (2. Sitzung)
Montag + Dienstag: Ruhetag
Website: www.rotewand.com/rote-wand-chefs-table/

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