The Jane, Antwerpen
Am 25. Juli 2020 in Belgien | 3372 Aufrufe | 1 Kommentar
Es gibt ein paar kulinarische Orte, die für mich eine nahezu magische Anziehungskraft ausüben. Denkwürdiges Essen haben wir oft erlebt, aber nur wenige gehören zu der Handvoll Restaurants, die bei jedem Besuch ein nahezu vollkommenes Erlebnis versprechen. Dass mich das Gesamtensemble aus herausragender Küche, überragendem Service, tollem Wein, faszinierendem Ambiente und Musik im „The Jane“ vom ersten Besuch an begeisterte, ist aus meinen bisherigen Berichten sicher deutlich geworden.
So gehört ein Besuch in Antwerpen eigentlich zum jährlichen Pflichtprogramm und dieses Jahr war ein Mittagessen an Karfreitag geplant. In Belgien nimmt man es offenbar mit der religiösen Askese an solchen Feiertagen nicht so genau, was uns durchaus entgegenkommt. Dazwischen gekommen ist uns aber Corona und so war dies die erste Pandemie-bedingte Stornierung, die wir nun im Juli nachgeholt haben.
Auf die Hygieneregeln hat man sich gut eingestellt. Die mit etwas mehr Abstand besetzten Tische sind durch mobile, textile Trennwände voneinander abgeteilt, die sich auch designtechnisch gut einfügen. Die üblicherweise auf der Empore bespielte Bar ist vorerst einem Open Air-Konzept gewichen. Und Desinfektion allerorten. Nick Bril erklärt uns, dass man trotz dieser Umstände froh sei, überhaupt geöffnet zu haben. Auch angesichts der gerade erst wieder verschärften Regeln in Belgien ist zu spüren, wie wichtig es allen ist, dass man zumindest diesen Zustand halten kann. Die Angst vor einem erneuten Lockdown ist allgegenwärtig.
All das hemmt aber weder Küche noch Service. Beide geben von Anfang an, wie gewohnt, Vollgas. 13 Gänge sind heute vorgesehen und damit ist klar, dass dies wieder ein denkwürdiges Mittagessen nicht unter fünf Stunden wird.
Es startet mit einer Perle Blanche Auster, dickfleischig, angenehm salzig und mit Kirsche, Buchweizen, Kodium und Ponzucreme und -sud füllig eingefasst. Eine wahre Umami-Bombe.
„The Jane“ kultiviert im Rahmen des „PAKT“-Projektes, das als nachbarschaftliche Initiative städtischen Anbau von Gemüse und Kräutern auf den Dächern benachbarter Lagergebäude betreibt, zahlreiche Produkte für die eigene Küche. Der nächste Gang wird in drei Teilen serviert und beinhaltet ebendiese. Leider erinnere ich genau hierzu nicht mehr alle Details, denn auch auf der Menükarte wird der Gang nur als „PAKTs Dach“ angekündigt.
Den ersten Teil bildet Matjes, der mit einem Eis von Fetakäse einen frischen und fülligen Charakter erhält. Darauf folgt Makrele mit Kohlrabi und einer Sauce auf Basis von schwarzem Knoblauch. Zum ersten Teller gestaltet sich das bereits deutlich kräftiger.
Von einem belgischen Produzenten, der sich vor allem provenzalischen Sorten widmet, stammen die folgenden Tomaten, die mit marinierter Burrata und gelben Linsen einen gekonnten Spagat zwischen würziger indischer Aromatik und mediterranem Geschmacksbild bilden. Das dazu gereichte indische Brot zum Auftunken unterstützt diese Crossover-Komposition gekonnt.
Dass im nächsten Gang Foie Gras die entscheidende Rolle spielt, ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Sie befindet sich als gestockte Creme am Boden. Aal hingegen, obwohl angekündigt, ist kaum schmeckbar. Dafür sorgen die übrigen Mitspieler, vor allem ein Eis von Granny Smith, Gemüseröllchen, Haselnüsse und schwarze Walnüsse für einen unerwartet frischen Gesamtakkord, der allerdings durch die Æbleskiver, eine dänische Version der holländischen Poffertjes aus Sauerteig, einen warmen und fettigen Kontrast erhält. Ein Wohlfühlgang im besten Sinn.
Mit dem folgenden Gambero und X.O. Beef in der pulled Version, fermentierter Bete und Nori-Alge kommt der bis dahin beste Gang auf den Tisch. Die Kombination aus erdigen Noten vom Fleisch, der betörenden Süße vom Krustentier und einer angenehmen Säure ist ausnehmend gut. Im Glas dazu serviert Gianluca Di Taranto einen Chablis und parallel dazu einen Sake, der in diesem Spiel für mich die Nase vorne hat, weil er das Säurethema mild und sehr elegant aufnimmt.
Aber die Küche gibt weiter Gas und liefert uns mit dem Schellfisch einen TOP 10 Gang des Jahres. Das prächtige Filet ist mit Furikake, einer japanischen Gewürzmischung, versehen. In der Nick Bril eigenen „Müllerin Art“ ergänzt er den Fisch mit einer buttrigen Sauce mit Muscheln und Sauerampfer sowie einer großzügigen Nocke Kaviar. Das alleine ist schon großartig, aber erneut hebt Gianluca das Gericht noch einmal in zusätzliche Sphären. Vorgesehen ist ein gereifter Riesling von Trimbach aus dem Elsass und eigentlich möchte er den als Blindtasting dazu reichen. Dumm allerdings, wenn man vorher schon eine Karte mit den vorgesehenen Weinen bekommt. Kurzerhand reicht er also auch hier noch eine Alternative und die überrascht enorm. Den 2017 Kumeu River Chardonnay aus Neuseeland hätte ich mit absoluter Sicherheit im Burgund verortet. Was für eine Entdeckung! Toller Gang, tolle Weine!
Für den folgenden Steinbutt wird der Fisch am Tisch mit glühend heißer Binchô-tan-Kohle abgeflämmt. Nordseekrabben und Bumbu-Butter, die ihre indonesische Aromatik eher dezent im Hintergrund hält, sorgen für ein harmonisches Gericht, das insgesamt trotzdem einen Gang zurückschaltet.
Ganz ausgezeichnet das gegrillte Kamper Lamm mit schöner Fettschicht, das Nick Bril mit einem Ragout von Pfifferlingen, Lammniere und Bries sowie anfrittiertem Gemüse begleitet. Dazu gibt es eine ausgewogene, aber nicht zu dominante Sauce. Es bleibt, wie immer eigentlich im „The Jane“, der einzige Fleischgang und er enttäuscht nicht im Mindesten, weil er erneut ein fabelhaftes regionales Produkt in den Mittelpunkt stellt und einfallsreich und harmonisch begleitet.
Vor der Dessertparade gibt es nun auf einem gekühlten Marmorblock ein Sorbet von Charentais-Melone mit einer mexikanischen Gewürztagetes. Das Topping bleibt zwar etwas undefinierbar, aber das Eis ist von ausgeprägter Fruchtigkeit und als Erfrischung mehr als willkommen.
Optional entscheiden wir uns diesmal zusätzlich für die Käseauswahl, die wir uns teilen. Auch hier legt man viel Wert auf die Präsentation. Zusätzlich zu den sechs Sorten (dreierlei Comté, sowie jeweils ein französischer, portugiesischer und englischer Käse) gibt es ein Chutney passend zum Blauschimmel sowie noch eine separate Zubereitung von Ziegenkäse und Pfirsich.
Ins Glas kommen dazu ein lokales Bier sowie ein Masala, was für die dazu empfohlenen Sorten in der Tat prima Begleiter sind.
Das ist alles so liebevoll und klug zusammengestellt, dass das wirklich Spaß macht. Ich frage mich, warum wir nicht auch bei früheren Besuchen davon Gebrauch gemacht haben, zumal auch diese Portion trotz des fortgeschrittenen Sättigungsgrades für zwei Personen genau richtig war.
Den süßen Teil leitet eine recht konventionelle, aber deshalb nicht weniger köstliche Kombination aus Garriguette Erdbeeren, Rhabarber und weißer Schokolade ein. Ein klassischer Crowdpleaser, der durch die bildhübsche Präsentation zusätzlich gewinnt.
Deutlich ungewöhnlicher wird es aber mit dem finalen Dessert, das noch einmal eine Brücke schlägt zum Beginn des Menüs, als es um die Gemüse und Kräuter vom PAKT Garten ging. Zu der Komposition um Hanf, Quitte und Honig (ebenfalls vom Dachgarten) gibt es dehydrierte und gefrorene Blüten von dort, die natürlich einen schönen optischen Effekt, aber auch jede Menge Geschmack beisteuern. Im Inneren befinden sich noch Crumble, so dass sich hier aufs Wunderbarste Komplexität der Texturen und abwechslungsreiche, gar nicht mal zu süße, Aromen harmonisch verbinden. Ein ganz und gar großartiges Dessert!
Natürlich ist es auch damit noch nicht getan. Denn zum Kaffee gesellen sich zu Trüffel, Praline und Macaron auch noch eine Zubereitung von Erdbeeren, die sechs Monate in Rum eingelegt wurden mit weißer Schokolade und Pistazie.
Völlig begeistert und auf positive Weise freudig ermattet widmen wir uns den letzten Resten in unseren Gläsern. Nick Bril und Gianluca Di Taranto haben nicht zu viel versprochen. Ein wunderbarer Lunch solle es werden und genau das war es wieder. Nick Bril versteht es, die Produkte der Region und hier vor allem der Nordsee in fantasievolle Gerichte zu verwandeln, die komplex sind, aber immer unmittelbar zugänglich und damit leicht zu verstehen. Ihm geht es nicht um Irritationen, sondern um den bestmöglichen Rahmen für ein fabelhaftes Produkt und dafür darf auch die Gewürzwelt der weiten Welt herhalten. Und Gianluca? Er hat jedes Mal eine der spannendsten Weinbegleitungen in petto, die man sich wünschen kann. Neuentdeckungen, Unerwartetes, aber auch Klassiker. Auch hier geht es um den perfekten Match und da gibt es keine Scheuklappen. Dass er dazu einer der humorvollsten Sommeliers und Gastgeber ist, die man sich nur wünschen kann, sei nur der Ordnung halber erwähnt. Das Duo Bril / Di Taranto ist jedenfalls ein perfect Match!
Und das wird flankiert von einem ebenso perfekten Service, der Herzlichkeit und Natürlichkeit in der DNA zu haben scheint.
Eigentlich sollte 2020 die Präsentation der Pellegrino-Liste der 50 Best Restaurants in Antwerpen stattfinden. Nun mag man über die Liste denken, was man will. Sie ist zweifelsohne streitbar, ebenso wie der dahinter stehende Nestlé-Konzern wegen seiner Wasserpolitik aufs Schärfste zu verurteilen ist, aber die Marketingwirkung ist nun mal nicht zu unterschätzen. Ich gehe davon aus, dass Antwerpen nicht umsonst gewählt wurde und dass „The Jane“ hier sicherlich mit einem ordentlichen Sprung nach vorne vom derzeitigen Platz 99 hätte rechnen können. Nun wird das wohl erst im kommenden Jahr passieren.
Aber ich habe ja meine eigene Liste – und in der ist „The Jane“ ohnehin ganz vorne mit dabei!
Details
Restaurant: | The Jane |
Adresse: | Paradeplein 1, 2018 Antwerpen |
Öffnungszeiten: | Dienstag - Samstag: abends Freitag + Samstag: auch mittags Sonntag + Montag: Ruhetag |
Website: | www.thejaneantwerp.com/ |
Schlagworte
2 Michelin Stars, Antwerpen, Gianluca Di Taranto, kreativ, Nick Bril, The Jane
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Er hat es wieder getan! 🙂 Und zurecht, sehr fein!