Atelier, München

Wie nur bei wenigen Köchen, war sich die Community im vergangenen Jahr bei Jan Hartwig einig, dass er DER Kandidat für einen dritten Stern sei. Und auch, wenn unser letzter Besuch bereits gute zwei Jahre zurück liegt, hatte das Menü seinerzeit extrem nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Bilder und Berichte anderer Besucher unterstützten mich in der Annahme, dass hier tatsächlich womöglich bald der dritte Stern leuchten könnte. Die Verpflichtung von Christian Hümbs aus dem Haerlin in Hamburg unterstrich den eigenen Anspruch auf höchste Auszeichnungen. Ist Hümbs doch nicht nur ein guter Freund und Kollege Hartwigs aus „Aqua“-Zeiten, sondern unbestritten einer der innovativsten Patissiers des Landes. Dieser Transfer hatte ungefähr so viel Strahlkraft wie die Verpflichtung von Lewandowski zu Bayern München. Und wie man die besten Leute abwirbt, damit kennen sich die Münchner ja eh aus.

Dass der Guide Michelin den lautstarken Forderungen nach dem dritten Stern verhältnismäßig schnell tatsächlich nachgekommen ist, war nicht selbstverständlich. Zu unberechenbar ist er in den vergangenen Jahren nach meinem Eindruck geworden mit seiner inflationären Verteilung von Sternen, zumindest im Einsterne-Bereich, den mitunter unerwarteten Entscheidungen bei den Zweisternern und international betrachtet mit der Vergabe von Sternen generell, die oftmals mehr der Verkaufsförderung des Guides vor Ort geschuldet ist als der Vergleichbarkeit von Standards. Gerade in Asien wurden offenbar doch viele Restaurants ausgezeichnet, die in Europa gänzlich anders bewertet würden. Aber in Bezug auf das „Atelier“ und Jan Hartwig herrschte seltene Einmut und so sind wir in freudiger Erwartung zu sehen, welche Entwicklung die Küche seit unserem letzten Besuch genommen hat.

Nach der überaus herzlichen Begrüßung durch Jochen Benz, der als Maître und Sommelier ein sehr gut eingespieltes Team dirigiert, in dem vor allem die zweite Sommelière Angie Riedle heraussticht, die uns mit ihrer ansteckenden Fröhlichkeit begeistert, kommen auch zügig die ersten Apéros.

Ist die in einen hauchdünnen Frühlingsrollenteig als Stick gearbeitete Chorizo mit Frischkäsecreme noch etwas zurückhaltend, ebenso wie der Profiterol mit Oktopus haut der Waldpilzbaiser ordentlich auf die Umami-Pauke. Die geräucherte Shiitakecreme tut ihr übriges dazu. Das hat Wumms und ist köstlich. Zudem sind alle diese Petitessen wunderschön und detailverliebt gearbeitet.

Waldpilzbaiser, geräucherte Shiitakecreme, Enoki & Buchenpilze Profiterole mit Oktopus, Gemüsetartar, koreanische Aioli Chorizo in knusprigem Frühlingsrollenteig
Waldpilzbaiser, geräucherte Shiitakecreme, Enoki & Buchenpilze, Profiterole mit Oktopus, Gemüsetartar, koreanische Aioli, Chorizo in knusprigem Frühlingsrollenteig

Als weiteres Amuse folgt eine sehr frühlingshafte Komposition rund um den Spargel mit Kräutermousse und -crêpe, Mispeln und Haselnuss. Hirschsalami findet sich in verfremdeter Form als Knusper dabei und eine Hollandaise mit sehr prägnanter Säure fügt alles harmonisch zusammen.

Es ist jetzt schon wieder klar erkennbar, wie viel Aufwand hier auch in Kleinigkeiten gesteckt wird. Minimalismus ist anderswo.

"Frühlingshaftes Spargelbeet" Haselnuss, Mispel & Kräutercrêpe
"Frühlingshaftes Spargelbeet" Haselnuss, Mispel & Kräutercrêpe

Von Fotos her kenne ich bereits den abschließenden Gruß und freue mich, ebenfalls in den Genuss der optisch schwer beeindruckenden Austernperle zu kommen. In der in einem Gelee von Rosé Champagner gearbeiteten Perle verbirgt sich relativ mildes, aber geschmacklich deutlich erkennbares Austernmousse. Ein angelierter Sauerampfersud unterstützt den säuerlich jodigen Geschmack perfekt.

"Perlmutt" Austernmousse, Rosé Champagnergelee & Sauerampfer
"Perlmutt" - Austernmousse, Rosé Champagnergelee & Sauerampfer

Es gibt nur eine kleine, dafür sehr feine Brotauswahl und kreativ präsentierte Aufstriche aus Butter und Hummus.

Brotauswahl, Butter, Hummus
Brotauswahl, Butter, Hummus

Man wählt aus einem Menü mit fünf oder einem mit sieben Gängen. Wir entscheiden uns für die große Variante und wandeln ein wenig ab, so dass wir die Vorspeisen und Desserts aus beiden Menüs haben.
Regulär startet das Menü mit einer fabelhaften bayrischen Forelle, die mit zahlreichen Komponenten kunstvoll ausdekoriert wird. Sonnenblumenkerne, Forellenkaviar, Kalbskopf, diverse Kräuter und Salatspitzen steuern nicht nur Geschmack, sondern auch Textur bei. Der Buttermilchsud unterstreicht den frischen und säuerlichen Charakter. Um dem Gericht aber doch eine gewisse Fülligkeit zu geben, findet sich von hauchdünnen Gurkenscheiben ummantelt und daher als solches kaum erkennbar auch noch ein perfekt flüssiges Wachteleigelb am Teller. Das ist in seiner Vielfalt nicht nur optisch faszinierend, sondern sorgt auch im Mund für reichlich Spaß.

Bayerische Forelle Sonnenblumenkerne, Pastinake, Kalbskopf, Schnittlauch & Buttermilch
Bayerische Forelle Sonnenblumenkerne, Pastinake, Kalbskopf, Schnittlauch & Buttermilch

Das kleine Menü startet mit Makrele und geräuchertem Aal. Auch dieser Gang ist sehr elegant gearbeitet. In einer Mousse finden sich kleine Fischstücke, das Ganze ist in dünne Rhabarberstreifen gehüllt. Knusper ist im Spiel, der Aal steuert mit seiner Deftigkeit gegen das frische Gesamtensemble. Auch dieses ist ein sehr komplexes Arrangement, das insgesamt viel Spaß macht.

Räucheraal & Makrele Rhabarber, Sauerrahm & Kerbel
Räucheraal & Makrele, Rhabarber, Sauerrahm & Kerbel

In eine gänzlich andere Aromenwelt geht es mit dem zweiten Gang, bei dem mit Limonenöl abgeflämmte Gelbschwanzmakrele von einem fabelhaften Dim Sum begleitet wird, der mit der aller Orten präsenten blauen, bayerischen Garnele gefüllt ist. Etwas fruchtige Noten liefert die unterm Fisch verborgene Papaya. Aber den eigentlichen Wumms bringt die angegossene Tom Ka Gai, die eine ordentliche Schärfe beisteuert. Spätestens an dieser Stelle überlegen wir, die Sakkos abzulegen.

Hiramasa Kingfish Thaicurry, Galgant, Kokos, Tamarinde & Garnelen Dim Sum
Hiramasa Kingfish, Thaicurry, Galgant, Kokos, Tamarinde & Garnelen Dim Sum

Von großer Klasse ist das Kalbsbries, das leicht mehliert wurde und knusprig ausgebacken wurde. Ich liebe Erbsen und für mich ist es eine nahezu meditative Aufgabe, in der Saison kiloweise Erbsen zu pulen. Die Exemplare hier in purer Form und als Creme wirken wie gerade aus dem Garten geholt. Viel frischer kann das nicht schmecken. Seine Dekadenz bezieht das Gericht aber aus einem üppig angegossenen Morchelrahm mit Sherry, der einfach nur großartig ist. Dass der Service nicht aufzuhören scheint, Morcheln auf den Teller zu schaufeln, findet mein uneingeschränktes Wohlwollen.

Glasiertes Kalbsbries eingelegter Sellerie, Erbsen, Spitzmorcheln & Sherry
Glasiertes Kalbsbries, eingelegter Sellerie, Erbsen, Spitzmorcheln & Sherry

Schweinebauch scheint zu Jan Hartwigs Lieblingszutaten zu gehören. Einige Gerichte damit wurden viral bereits heftig abgefeiert. Unsere Version heute scheint dem nicht viel nachzustehen. Das Fleisch ist unfassbar zart und zergeht auf der Zunge auf fast unnatürliche Weise. Edamame und Bulgur sorgen für etwas Textur. Grüner Spargel und Miso-Hollandaise könnten auch eine Remineszenz an Christian Bau sein, der diese Kombination bereits zur Perfektion getrieben hat. Jan Hartwig allerdings setzt sie in einen komplett aufwändigeren Kontext, der durch die angegossene Umami-Bouillon eine Intensität bekommt, die in der Menü-Dramaturgie schon passt, aber auch hart an der Grenze spielt.

Schweinebauch & grüner Spargel aus Pertuis Edamame, Bulgur, Granatapfel & Umami Bouillon
Schweinebauch & grüner Spargel aus Pertuis, Edamame, Bulgur, Granatapfel & Umami Bouillon

Das „Atelier-Radler“ gehört mittlerweile zu den Klassikern im Haus. Das Granité aus Ingwer, Yuzu, Vanille und Sake wird mit einem lokalen hellen Bier aufgegossen und ist in der Tat sehr erfrischend.

"Atelier Radler"
"Atelier Radler"

Im Hauptgang gibt es Perlhuhn, natürlich vom besten Züchter, Jean-Claude Miéral, in zwei Zubereitungen. Die Brust schön saftig in einem reduzierten Hühnerjus und eigentlich ist alles dran an diesem Gericht,um zu begeistern. Und doch fällt dieser Teller für mich gegenüber den vorherigen ein wenig ab. Dabei kann ich gar nicht mal sagen, warum eigentlich. Sind es die Reisnudeln, die mir etwas zu banal erscheinen oder die eben nicht klassische Sauce?
Umso begeisternder allerdings das à part servierte Schälchen mit „dem Besten vom Perlhuhn“. Fleisch von den Keulen, die Herzen und ein Leberflan in reichhaltiger, samtiger Vin Jaune-Sauce sind einfach nur zum Niederknien.

Uneingeschränkt toll dann der Käsegang, bei dem Greyerzer in geriebener Form und in Stücken in einer ganz feinen Senfsauce mit Blätterteig kombiniert wird. Preiselbeeren sind zwar nicht mein Favorit, aber hier passt der säuerliche Touch sehr gut, ebenso wie die gedörrte Hirschsalami, die prägnante Würzigkeit beisteuert.

Höhlen Greyerzer - 36 Monate gereift gedörrte Hirschsalami, Preiselbeere & Petersilie
Höhlen Greyerzer - 36 Monate gereift gedörrte Hirschsalami, Preiselbeere & Petersilie

Wie komplex Christian Hümbs seine Desserts anlegt, kann man bereits gut beim Pré-Dessert sehen. Die Variation vom Duftreis mit Zitronenthymian gleicht in der Aufzählung aller Einzelkomponenten durch den Service einer Denksportaufgabe, der ich an dieser Stelle des Menüs nicht mehr zu folgen imstande bin. Es ist in Summe aber weder zu süß, noch herzhaft und stellt damit einen guten Übergang zum eigentlich süßen Teil dar.

Duftreis, Zitronenthymian & Yuzu
Duftreis, Zitronenthymian & Yuzu

Um möglichst viel von Christian Hümbs Dessertkreationen kennenzulernen, entscheide ich mich in Abweichung des Menüs für gebrannte Birne, die in unterschiedlichsten Konsistenzen kommt, geflämmt, als Chutney, Sphäre, Eis, Creme. Dazu noch etwas Blätterteig und fertig ist ein abwechslungsreiches, komplexes, aber trotzdem leicht zu verstehendes Dessert.

Gebrannte Birne, Quinoa & Eichenholz
Gebrannte Birne, Quinoa & Eichenholz

Deutlich unkonventioneller wirkt das Dessert aus dem großen Menü, das Rote Shiso in den Mittelpunkt stellt. In Asien wird diese Pflanze, die eine leichte Schärfe und Minznote aufweist, vor allem in herzhaften Gerichten eingesetzt.Hier findet es sich als Sorbet mit einem säuerlichen Ton, eingefasst von Mohn in einer Konsistenz, die nicht Eis und nicht Creme ist, sondern irgendwo dazwischen liegt. Kräutrige Noten sorgen dafür, dass dieses Dessert nicht ins Süße abrutscht, sondern gekonnt zwischen herb und klassisch changiert. Das ist anspruchsvoll, ungewöhnlich und ungewöhnlich gut!

Roter Shiso Mohn, Koriander & Tasmanischer Pfeffer
Roter Shiso, Mohn, Koriander & Tasmanischer Pfeffer

Den Abschluss bilden vorzügliche Petits Fours, wie eine Neuinterpretation der Sacher-Torte, perfekte Cannelés, ein Schaumkuss, eine üppige Auswahl origineller Pralinés sowie ebenso perfekte Macarons.
Wenn man, wie Christian Hümbs, Jury-Mitglied einer Back-Show ist, in der von den Teilnehmern perfekte Ausführung solcher Klassiker gefordert ist, ist die Fallhöhe natürlich doppelt hoch. Er meistert das spielend, denn in der Tat habe ich selten bessere Cannelés oder Macarons gegessen.

Was wir hier erlebt haben, war Champions League par excellence. Wie bereits vor zwei Jahren konnte Jan Hartwig mit einem Feuerwerk an Detailverliebtheit und größtmöglichem Aufwand überzeugen. Alle Gerichte hatten einen klaren geschmacklichen Fokus, der häufig bis an die Grenze ausgelotet wurde. Hier wird eher laut als leise gespielt.
Waren bei unserem Erstbesuch die Desserts noch eher die schwächeren Gänge, hat die Verpflichtung von Christian Hümbs hier zu einer einer eindeutigen Steigerung geführt.

Es wird spannend sein zu sehen, ob Hartwig hier auch weiterhin die aromatisch große Glocke schlägt. Ich könnte mir bei aller Komplexität und Detailliebe auch die ein oder anderen leiseren Töne vorstellen. Aber auch laut finde ich in dieser Form sehr beeindruckend.

Interieur
Interieur

Preislich sind wir bei den Menü-Preisen aufgrund des dritten Sterns mittlerweile im bundesdeutschen Mittel angekommen. Erfreulich finde ich allerdings, dass die Weinkarte mittlerweile deutlich moderater kalkuliert ist und man hier auch im zweistelligen Bereich wirklich sehr Erfreuliches finden kann. Und im Zweifelsfall hilft einem Angie Riedle mit ihrer strahlenden Begeisterungsfähigkeit, das Passende zu finden.

Details

Restaurant: Atelier
Adresse: Promenadeplatz 2-6, 80333 München
Öffnungszeiten: Dienstag bis Samstag: 19.00 bis 24.00 Uhr
Sonntag + Montag: Ruhetag
Website: www.bayerischerhof.de/de/erleben-geniessen/restaurants-bars/restaurants/atelier.html

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Kommentare

  1. Gero Kettler am 13. Juni, 2018 um 23:31 Uhr.

    Endlich! Lang erwartet und – natürlich – ein Meisterstück! Deine Berichte entwickeln sich mit den den Genüssen kreativ weiter. Die Fotos sind ebenfalls phantastisch und herausfordernd bis an die Grenze der künstlerischen Verfremdung. Großes Kino!

  2. Wilhelm Dahl am 14. Juni, 2018 um 13:48 Uhr.

    Ich freue mich immer wieder, wenn ich diese Genuss Erlebnisse lesen kann. Und auch freue mich für Euch beide, dass ihr euch solche Momente gönnen könnt. Und manchmal hole ich hier auch einen Tipp ab, den ich dann nacherlebe. Ich wünsche Euch weiter eine tolle Zeit.

  3. Gast im Haus am 16. Juni, 2018 um 6:15 Uhr.

    Wow- Wahnsinn mit System – und so wie dort gekocht – hier von Dir in Perfektion beschrieben und bebildert 5 ² * Rezension eines lohnenswerten Dreisterners! Danke!

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