Atelier, München
Am 6. Februar 2016 in Deutschland | 5048 Aufrufe
Als im November letzten Jahres die Spekulationen über neue Michelin-Sterne oder Aufwertungen kursierten, machten naturgemäß viele Namen von Köchen oder Restaurants die Runde. Relativ unstrittig jedoch war bei den meisten, dass Jan Hartwig seinen zweiten Stern auf jeden Fall verdient hätte. Und so kam es dann auch. Was umso bemerkenswerter ist, als Jan Hartwig erst seit 2014 die Leitung im Gourmet-Restaurant des noblen Bayerischen Hofs übernommen hatte. Erster Stern nach einem halben Jahr, zweiter Stern im Folgejahr – was kommt als nächstes?
Dabei kommt Hartwig aus den besten Schulen der Republik: Jürgens, Erfort und zuletzt 7 Jahre im „Aqua“ bei Sven Elverfeld und dort dessen Sous-Chef. Beste Bedingungen also, um auch als Küchenchef zu reüssieren. Dennoch mutet der Aufstieg rasant an. Machen wir also den Praxistest.
Im fensterlosen, aber dennoch gemütlichen Ambiente des rustikal-eleganten Restaurants wird der mehr als selbsbewusst kalkulierte Champagner von drei feinen und originellen Snacks begleitet. Gut, aber noch nicht aufregend.
Aber schon mit dem ersten Amuse Bouche wird die Schlagzahl massiv erhöht. Die Variation von Champignons ist optisch bestechend, hochelegant und texturell wie geschmacklich außergewöhnlich ausdrucksstark. Wow – was für ein Start!
Die Bündner Gerstensuppe, im Ei serviert, ist danach eine eher deftige, aber allemal schlotzige Fingerübung, bevor das eigentliche Menü mit schottischem Lachs beginnt, leicht mariniert und anschließend kurz abgeflämmt, eingefasst von dezent säuerlich, asiatischen Noten und einer mild-erdigen Vinaigrette aus Rauchlachs und Roter Bete. Das ist wiederum sehr stimmig und sehr harmonisch. Nebenbei ist es auch erfreulich, den völlig zu Unrecht von den meisten Speisekarten verschwundenen Lachs mal wieder als so überzeugenden Hauptdarsteller zu erleben.
Das harmonische Grundbild verlässt Hartwig auch nicht mit der vermeintlich ungewöhnlich anmutenden Kombination von Jakobsmuschel und Surhaxe. Die Kombination aus Krustentier und deftigem Fleisch ist spätestens seit Kevin Fehlings Varianten von Auster und Eisbein nicht mehr so ungewöhnlich. Hier allerdings ist das Ergebnis durchweg bestechend. Die Muschelvelouté mit Felchenkaviar liefert den runden Grundakkord, kleine Stücke von krosser Schweinekruste und Topinambur die texturelle Ergänzung. Das ist modern, aber im Geschmacksbild durch und durch klassisch.
Und so setzt es sich im Verlauf des Menüs fort. Ob es die Makrele in Beurre Blanc auf Basis von Dashibutter ist oder das gebackene Ei in Madeira mit opulenter Menge an Trüffeln – nichts soll den Gast irritieren oder verstören.
Nach der augenzwinkernden Erfrischung in Form eines hausgemachten Radlers, bei dem ein Granité von Yuzu- und andere Zitrusarten mit einem Münchner Craft-Beer aufgegossen wird, kommt mit der Imperial Taube ein Hauptgang an den Tisch, der unglaublich aufwändig und handwerklich perfekt gearbeitet ist. Die Brust sensationell zart, aber mit leichter krosser Haut, das Keulenfleisch hocharomatisch, in Nüssen gewälzt, eine Polentarolle, leicht angeröstet, diverse Pürees, etwas konfierte Zitrone und eine Sauce, die tief konzentriert am Gaumen bleibt. Kein Tropfen geht davon in der Sauciere wieder zurück in die Küche. Bravo!
Die danach folgende Interpretation eines Raclette muss nach diesem Paukenschlag abfallen. Wenngleich alle bekannten Aromen da sind, bleibt das Gericht doch zu eindimensional. Zwar ist es gut, an dieser Stelle keinen heißen Käsegang serviert zu bekommen. Die kalte bis lauwarme Zubereitung indes ist für den Käse auch nicht vorteilhaft.
Mit dem Pré-Dessert nimmt die Küche den Faden wieder auf und liefert mit dem Kaiserschmarrn ein Musterbeispiel eines dekonstruierten Klassikers. Modern präsentiert und einfach nur lecker.
Und dann passiert es doch noch. Nach all den harmonischen Gängen setzt Jan Hartwig doch noch einen Widerhaken. Ein Dessert, wie es heutzutage in der Spitzengastronomie scheinbar zum Grundkanon gehört: mit Gemüse und Kräutern, irgendwo zwischen süß, herb und bitter verortet. Eigentlich funktioniert das alles erstaunlich gut und bleibt näher an der Dessert-Stilistik als es die Beschreibung vermuten lässt. Mir persönlich ist nur der Kerbeleinsatz zu intensiv und generell wäre ich mit den Kräutern etwas weniger großzügig umgegangen. Aber spannend schmeckt das allemal und optisch ist auch dieser Gang wieder ein Knaller.
Zum Abschluss dann noch mal ein Profiterole, diesmal süß gefüllt, einige wunderschöne Macarons und tadellose Pralinen. An anderer Stelle hinge man womöglich ermattet und geschafft in den Seilen und wünschte sich nur noch ins Bett. Nach viereinhalb Stunden im „Atelier“ bin ich natürlich satt, aber nicht gevöllt, was ein wenig verwundert, da die Gerichte zum Teil durchaus gehaltvoll sind und wir auch am köstlichen Brot nicht gespart haben.
Nein, bis zum letzten Gang bin ich fasziniert von der Souveränität, mit der hier aufgekocht wird, bin neugierig auf jeden folgenden Gang und begeistert von der Geschmackstiefe. Das ist nicht nur großes Kino, das ist Cinemascope. Und es lässt erahnen, dass hier ein ganz Großer heranwächst.
Der Service unter Talisa Bernthaler ist gut eingespielt, dem Gast zugewandt, jederzeit aufmerksam und auf angenehme Art locker. Moritz-Christian Blaß als Sommelier versteht sein Handwerk und kann die Weine gut beschreiben. Zu wünschen wäre, dass er nicht nur Weine empfiehlt, die in der eh schon arg hochpreisigen Liste deutlich über dem liegen, was der Gast in seiner Vorauswahl als Preisspanne signalisiert. Aber da dieser Punkt ja bereits relativ früh am Abend abgehandelt ist, steht dem weiteren dann ungetrübten Genuss nun wirklich nichts mehr im Wege.
Details
Restaurant: | Atelier |
Adresse: | Promenadeplatz 2-6, 80333 München |
Öffnungszeiten: | Dienstag bis Samstag: 19.00 bis 24.00 Uhr |
Website: | www.bayerischerhof.de/de/erleben-geniessen/restaurants-bars/restaurants/atelier.html |
Schlagworte
3 Michelin Stars, Atelier, Bayerischer Hof, Fine Dining, Gourmet, Jan Hartwig, Michelin, München
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