Hilmar, Aerzen

Manchmal genügt ein Blick auf den Lebenslauf eines Koches und man kann erahnen, welcher Stil einen erwartet. Mit Stationen im Hotel Hohenhaus, dem Bayrischen Hof in München, bei Heinz Winkler und Klaus Erfort, dort jeweils als Sous-Chef und im Guthaus Stolpe liegt die französische Klassik quasi auf dem Teller. Dass Stephan Krogmann auch eine Zeit in Thomas Bühners „La Vie“ vorzuweisen hat, erscheint da fast schon exotisch. Seine Position als Küchenchef im Schlosshotel Münchhausen, ein bemerkenswertes Haus der Weserrenaissance nahe Hameln, die er seit Ende 2023 innehat, fügt sich aber nahtlos und schlüssig in diese Reihe. Dort hatte mehr als 18 Jahre Achim Schwekendiek eine klassische Küche zelebriert, die exakt dem entsprach, was man sich in einem derartigen Ambiente erwartet und die von Anfang an mit einem Michelinstern ausgezeichnet war. Nur drei Monate nach Stephan Krogmanns Start hat der Guide auch ihm diese Wertung bestätigt, etwas, zu dem sich der Michelin nicht allzu oft hinreißen lässt.

Das sowie die durchweg positiven Berichte von Bekannten, deren Urteil mir wichtig ist, gaben den Ausschlag, einen Verwandtenbesuch in der Region um eine Nacht zu verlängern und mich vom Stand der Küchenleistung selbst zu überzeugen.

Das Restaurant, passend mit historischen Stilmöbeln ausgestattet, erstreckt sich über zwei Räume, von denen an diesem Abend nur der hintere bespielt wird. Viel auszuwählen gibt es nicht, denn es wird nur ein Menü angeboten (185€), das um Käse erweitert werden kann (dann 200€).

Interieur
Interieur

Zum Apéritif kommen die ersten Grüße, wobei den Auftakt eine Tartelette mit Hamachi und Wasabi macht. Der Fisch ist zimmerwarm, was mir ungewöhnlich vorkommt, weil ich das eher mit Kühle verbinde. Auch ist das Ganze nur sehr mäßig scharf, aber in Summe zwar zurückhaltend, aber harmonisch.

Dafür wird der als Umami-Baiser angekündigte Snack seiner Bezeichnung mehr als gerecht. Die intensive Cremefüllung, mutmaßlich aus Leber und/oder Pilzen, ist eine aromatische Wuchtbrumme.

Dem steht auch der Kartoffelbeignet mit Blutwurst und Apfel nicht nach. Wenn man so will, das Traditionsgericht Himmel und Äd in Miniatur-Luxusausführung.

Apéro
Apéro

Und auch der abschließende Snack in Form einer Tabouriech-Auster mit AKI-Kaviar in einem extrem umami-lastigen Sud spielt sehr gekonnt auf der eher kräftigen Klaviatur. Klasse!

Apéro
Apéro

Mit einer guten Brioche, einer noch besseren Scheibe von super-fluffigem und röschem Sauerteigbrot, Salzbutter und einer mit Röstzwiebeln und Piment d’Espelette aromatisierten Butter geht es ausgezeichnet weiter.

Brot & Butter
Brot & Butter

Bei aller Klassik, die bereits an dieser Stelle des Abends erkennbar ist, verblüfft dann das Amuse Bouche doch. Denn als Reminiszenz an seine Zeit im Osnabrücker „La Vie“ überrascht Stephan Krogmann mit einer Creme von Gänseleber mit einer Geleeschicht aus Cola-Rum, darauf ein erstaunlich gut passendes Zitronen-Granité, das als fruchtig-säuerlicher Kontrast zur Leber passt. Und ja, Cola-Rum ist dezent zwar, aber tatsächlich zu schmecken. Das ist so originell wie gut.

Amuse Bouche
Amuse Bouche

Im ersten Gang des Menüs gibt es ein Tatar vom Kaisergranat mit Crème Crue, einer fetteren Variante der Crème fraîche, und dadurch recht mild und cremig angemacht. Hauchdünne Scheiben vom Granny Smith steuern mit etwas Säure dagegen, aber den nachhaltigsten Eindruck auf diesem Teller hinterlässt tatsächlich die ganz fabelhafte Shoyu-Vinaigrette, die feine Salzigkeit und eine füllige Tiefe beisteuert. Ein wunderbar eleganter Einstieg!

Kaisergranat von den Färöern, roh mariniert, grüner Apfel, Bergamotte, Crème Crue & Shoyu-Vinaigrette
Kaisergranat von den Färöern, roh mariniert, grüner Apfel, Bergamotte, Crème Crue & Shoyu-Vinaigrette

Und genauso großartig geht es weiter. Der bretonische Seeteufel auf sautiertem Spinat ist perfekt auf den Punkt gebraten. Der Trüffelsalat, das Topinamburpüree und der Pomme Soufflé dazu sind fein gearbeitet und ergänzen den Fisch bereits köstlich und harmonisch. Aber der Star ist für mich ohne Frage die begleitende Trüffelsauce, wunderbar seidig und mit genau dem rechten Maß Trüffel dosiert, nicht zu kräftig, aber doch präsent genug. Als großer Liebhaber perfekter Saucen geht kein Tropfen zurück in die Küche. Schön war es zu sehen, dass sich auch unsere Tischnachbarn animiert fühlten, ihre Sauciere zu leeren, nachdem wir das getan hatten. Offenbar waren wir nicht die einzigen, die davon begeistert waren.

Seeteufel von der bretonischen Küste, an der Gräte gebraten, Wintertrüffel, gedämpfte Spinatsprossen, Topinambur
Seeteufel von der bretonischen Küste, an der Gräte gebraten, Wintertrüffel, gedämpfte Spinatsprossen, Topinambur

Im ersten Fleischgang folgt zweierlei Salzwiesenlamm. Vor allem der Bauch weist eine rösche Kruste und ein kräftiges Aroma vom Grillen auf Holzkohle auf, auch das Filet ist akkurat gebraten. Dazu gibt es etwas geschmorte Aubergine, Wildkräutersalat und Sardelle, die nicht explizit zu schmecken ist, sondern eher als Gewürz eingesetzt wird. Markante Akzente setzen Stücke von Salzzitronen und zusammen mit den Röstaromen heben diese das Gericht deutlich nach vorne.

Salzwiesen-Lamm, auf Holzkohle gegrillter Bauch & Filet, geschmorte Aubergine, Salzzitrone & Don Bocarte Sardelle
Salzwiesen-Lamm, auf Holzkohle gegrillter Bauch & Filet, geschmorte Aubergine, Salzzitrone & Don Bocarte Sardelle

Vor dem Hauptgang gibt es noch eine Erfrischung mit einem Grapefruiteis auf Granité von Rosé Champagner, mit dem das auch aufgegossen wird. Das spielt gekonnt mit leichten Bitternoten und erfüllt damit sehr gut die Funktion, den Gaumen noch mal zu reinigen.

Erfrischung
Erfrischung

Sehr aufwändig präsentiert Stephan Krogmann die Challans-Ente. Die Brust ist auf den Punkt gegart, darauf gebratene Leber, die Keule in einem Gyoza gearbeitet, ein „Bonbon“ mit Lebermousse. Selleriepüree, Radicchio und eingelegte Kirschen ergänzen das Potpourri. Vor allem letztere setzen mit ihrem süßlich-alkoholischen Touch, ähnlich Amarenakirschen, einen spannenden Twist. Die Sauce Rouennaise rundet das Ganze ebenso klassisch wie stimmig ab.

Challans Ente aus der Vendée, Brust, Keule & Leber, Marcona-Mandeln, Tardivo, Kirschblüten-Essig & Sauce Rouennaise
Challans Ente aus der Vendée, Brust, Keule & Leber, Marcona-Mandeln, Tardivo, Kirschblüten-Essig & Sauce Rouennaise

Über Käse vom Affineur Waltmann aus Erlangen muss man mittlerweile nicht mehr viele Worte verlieren. Was Antony aus dem Elsass für Frankreich (und zugegebenermaßen einen Großteil der restlichen Welt) ist, ist Waltmann zumindest für Deutschland. Dass man sich im „Hilmar“ den Luxus eines gut bestückten Käsewagens leistet, ist mehr als löblich und so zögern auch wir nicht, den Gang, trotz gut fortgeschrittener Sättigung, noch einzubauen.

Den süßen Teil leitet ein Pré-Dessert ein, das das ungewöhnliche Symbol des Schlosses, eine Ananas, in den Mittelpunkt stellt. Dies geht historisch zurück auf das 18. Jahrhundert, als es in den Gewächshäusern tatsächlich eine Ananaszucht gab, die auch das Interesse des russischen Zaren Peter des Großen weckte. Stephan Krogmann karamellisiert die Ananas und bedeckt sie mit einem Schaum von Jasminreis und weißer Schokolade. Kokosnusschips, die dehydriert wurden und extrem knusprig sind und ein Kokosnusseis runden das exotische Intermezzo ab, das ich auch als Hauptdessert großartig fände.

Victoria-Ananas, Kokosnuss & Karamell
Victoria-Ananas, Kokosnuss & Karamell

Das nimmt das tropische Thema auf, indem Mango durchdekliniert wird als Sorbet, Gel, Sauce und pur. Mit einer weißen Schokoladenmousse mit Espressoaromen und Tahitivanille kommen leicht herbe Noten in das fruchtig-süße Geschmacksbild, die dafür sorgen, dass es nicht zu eindimensional wird. Auch wenn die Mousse etwas mächtig daher kommt, bleibt das Dessert dennoch erfrischend und beweist erneut Patisseriehandwerk vom Feinsten. Wer hier zeitgeistig Kräuter oder Gemüse sucht, wird enttäuscht werden. Liebhaber traditioneller Süßspeisen hingegen werden schwer angetan sein.

Original Beans „Yuna“ Edelweiß, Irwin Mango, Gewürz-Kaffee & Tahiti-Vanille
Original Beans „Yuna“ Edelweiß, Irwin Mango, Gewürz-Kaffee & Tahiti-Vanille

Die Petit Fours müssen wir uns für den nächsten Tag einpacken lassen – nichts geht heute Abend mehr. Aber auch da belegen sie noch, wie sauber und gekonnt sie gearbeitet sind, Windbeutel genauso wie Pistazien-Macaron, Tartelette und Pralinen.  

Petit Fours
Petit Fours

Glücklich, zufrieden und satt lassen wir uns anschließend eine Etage höher ins Bett fallen. Dieses Menü hat alles erfüllt, was ich erwartet habe. Stephan Krogmann zelebriert eine traditionelle, aber zeitgemäße Küche mit ausgezeichneten Produktqualitäten, handwerklich ganz auf der Höhe, aufwändig und mit extremem Fokus auf harmonische Geschmacksbilder. Dies ist definitiv kein Ort für kulinarische Experimente.   

Zum Service: Den bestreitet heute Abend Mathis Ahlers nahezu im Alleingang und das macht er ausgesprochen souverän, angepasst in seiner Ansprache auf den jeweiligen Gast und, wenn gewünscht, auch immer für einen Small Talk zu haben. Er ist gleichzeitig Herr über einen gut sortierten Weinkeller, der für ein Haus dieser Klasse erstaunlich viele nahezu günstige Flaschen bereithält. Auch das trägt zum Vergnügen – allerdings dann auch zur verdienten Bettschwere – bei.

Etwas bedauerlich ist, dass Stephan Krogmann erst den Weg nach Aerzen gefunden hat, nachdem wir aus Hannover weggezogen sind. Bei der Nähe hätte man uns vermutlich häufiger dort angetroffen. So müssen wir unsere Familienbesuche künftig wohl etwas flexibler gestalten.

Details

Restaurant: Hilmar
Adresse: Schwöbber 9, 31855 Aerzen
Öffnungszeiten: Mittwoch - Samstag: ab 18.00 Uhr
Sonntag - Dienstag: Ruhetag
Website: www.schlosshotel-muenchhausen.com/restaurants/gourmet-restaurant-hilmar/

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