Jante, Hannover
Am 4. August 2021 in Deutschland | 3179 Aufrufe | 1 Kommentar
Dem Guide Michelin wurde lange nachgesagt, dass er recht schwerfällig auf aktuelle Tendenzen reagieren würde. Dies hat sich in den letzten Jahren deutlich verändert. Mittlerweile werden auch ungewöhnliche Konzepte, sehr regional fokussierte oder gemüselastige Küchen mit Sternen ausgezeichnet.
Einige schaffen es auch in die absolute Spitze, wie beispielsweise das „Horváth“ in Berlin oder das, allerdings mittlerweile geschlossene, „sosein“ im fränkischen Heroldsberg, die sich beide mit zwei Macarons schmücken dürfen bzw. durften.
In diese Liga gehört mittlerweile auch das „Jante“ in Hannover, das innerhalb weniger Jahre eine spannende Entwicklung genommen hat und sich seit dem letzten Jahr ebenfalls über den zweiten Stern freuen darf. Unser Besuch im Spätsommer 2019 belegte bereits, dass Tony Hohlfelds Gerichte deutlich fokussierter, in gewisser Weise aufgeräumter, und nach meinem Geschmack auch zugänglicher waren als bei unserem ersten Besuch. Wahrlich nicht weniger komplex, denn viel Aufwand wird hier nach wie vor betrieben. Spätestens wenn die Köche, die nach wie vor die Gänge persönlich servieren, die Zutaten und Zubereitung detailliert erklären, wird deutlich, dass man sich hier viele Gedanken macht und sowohl Regionalität als auch Nachhaltigkeit eine entscheidende Rolle spielen. Aber all das wirkte nicht mehr so forciert wie zu Beginn, sondern deutlich selbstverständlicher.
Das „Jante“ bietet ein Menü in sieben Gängen, das unter der Woche 135 Euro, freitags und samstags 150 Euro kostet. Zwei Extra-Gänge können optional dazu bestellt werden.
Reservierungen sind dringend vonnöten. Auch an einem Dienstag Abend, als wir das Haus besuchen, ist es ausgebucht und sogar Plätze an der Bar belegt.
Der Service wird normalerweise von Mona Schrader geführt, die heute nicht im Haus ist, aber sie wird gut von zwei aufmerksamen Mitarbeitern vertreten.
Den Auftakt machen wie immer drei, recht zügig hintereinander servierte Snacks, die mit den Fingern gegessen werden können.
Eine gekühlte Karotte mit flüssigem Karottenkern, einer Kamillencreme, Kakaobutter und Sauerklee lässt bei mir Assoziationen an Eiskonfekt aufkommen – was überhaupt nicht negativ gemeint ist. Aber auch ohne diesen Anflug an Kindheitserinnerungen macht das süß-säuerliche Zusammenspiel Spaß.
Originell auch der frittierte Langos-Würfel mit einer geräucherten Paprikafüllung, Himbeersenftopping und eingelegten Bärlauchtrieben. Das wird in einem geschlossenen Minigrill serviert, so dass beim Lüften des Deckels außerdem noch ein zartes Raucharoma entweichen kann.
Den Abschluss der Grüße bildet eine geeiste Pilzschnitte. Mir geht der Pilzgeschmack der Füllung ein wenig unter zwischen den beiden Deckeln, die mit ihrem Karamellcharakter, der schon hart an der Grenze zum Bitteren ausfällt, die Creme zu dominieren droht.
Sehr gut wie immer das frisch gebackene Sauerteigbrot und die mit Crème fraîche aufgeschlagene und mit Gemüsestaub aromatisierte Butter.
Das Menü startet mit Müritzer Saibling, der nur minimal geräuchert ist und dadurch noch sehr pur und mild bleibt. Allerdings weist er eine angenehm feste Struktur auf. Dass der Fisch sich hier nicht in den Vordergrund schiebt, ist klug gewählt, denn die Mitspieler auf dem Teller sind durchweg spannend. Sei es die Erde von der geräucherten Molke, die mit flüssigem Kräutersud gefüllte Sphäre unter den grünen Gemüsescheiben, die ich leider nicht mehr erinnere und der fabelhafte Schaum von fermentiertem Spargel. Das ist abwechslungsreich, komplex und lecker – ein ganz starker Auftakt!
Auf ähnlichem Niveau geht es weiter. Der Steinbutt wurde für 2 Tage in den Dry Ager gegeben, was ihm eine etwas festere Struktur gibt. Eingelegte grüne Erdbeeren, Gurke, marinierte Perlzwiebeln sowie eine grüne Peperonicrème ergänzen sich erstaunlich gut.
Mit dem angegossenen Maisschaum, der die penetrante Süße, die Mais gerne haben kann, zum Glück vermissen lässt, vermischt sich auch das vorher unter dem Fisch platzierte Paprikaöl, was auch optisch einen schönen Effekt gibt. Die Schärfe ist ganz fein dosiert und fügt sich hervorragend in die harmonische und durchweg elegante Komposition ein.
Für den folgenden Gang hat man US-Rind drei Monate in Fett eingelegt, was dem Fleisch einen nussigeren Geschmack gibt. Wie Tony Hohlfeld erklärt, hat man aber gemerkt, dass dieser Effekt beim Braten verloren geht, so dass man sich entschieden hat, das Fleisch roh aufzuschneiden und mit verschiedenen Komponenten zu belegen, die unterm Strich den Umami-Charakter unterstützen sollen. Aus Johannisbeere hat man eine Art Leder erstellt, aus Champignons, Petersilie und Liebstöckel eine Matte, australischer Wintertrüffel vom Vorjahr wurde eingelegt und Lauch gegrillt. Steinpilzpulver und Haselnüsse komplettieren das Ganze. In Summe funktioniert das Gericht auch sehr gut. Das etwas fettigere Fleisch ist ausgezeichnet und es ergeben sich spannende Kombinationen. Ein sehr gutes Gericht, bei dem ich lediglich den eingelegten durch frischen Trüffel ersetzt hätte, der für meinen Geschmack mehr Aroma mitgebracht und damit den Umami-Effekt besser unterstützt hätte.
Was der nächste Teller alles zu bieten hat, ist auf den ersten Blick nicht erkennbar, denn die eigentlichen Hauptdarsteller verbergen sich unter einer Haube von dünnen Apfelscheiben, die mit Fichtentrieben aromatisiert sind. Darunter verbergen sich leicht ansautierte Pfifferlinge in einer Sabayon, die zwar keinen Wein, dafür viel Eigelb, viel Butter und einen Saftauszug gesehen hat. Fichtensprossenöl und hauchdünner Speck sorgen für eine ganz eigene Aromatik, eine säuerliche und leicht herbe Note. Dazu kommt ein angenehmes Texturspiel – gefällt mir gut.
Die fabelhaften Hühner von Lars Odefey bekommen im Hauptgang ihren Auftritt. Die Brust ist ausgezeichnet gebraten mit köstlicher, knuspriger Haut, die Hühnerjus dazu sehr konzentriert. Auf einer Creme von gegrillter Karotte findet sich Radicchio mit roter Oxalis und Grapefruit-Öl.
Separat dazu auf einem Löffel ist die Hühnerleber zur intensiven Creme verarbeitet, deren Geschmack sehr nachhaltig wirkt und den Hauptteller ausgezeichnet ergänzt.
Die Zutaten für das erste Dessert lassen nicht unbedingt auf eine typische Süßspeise schließen. Aber die sehr knusprig verarbeitete Topinambur am Boden verträgt sich fabelhaft mit dem Kopfsalateis, das nur zurückhaltend vegetabile Noten mitbringt. Der Zitronenschaum und die Kopfsalatblätter fangen das alles säuerlich ein. In Summe ist das vor allem passend, frisch und lecker.
Ähnlich originell bleibt es auch mit dem abschließenden Dessert, in dem sich unter einer Haube aus Selleriekrokant ein Salat von Blaubeeren befindet, das Ganze getoppt von Eis von brauner Butter. Von oben nach unten gegessen, ergibt sich dadurch eine Bandbreite von erdig bis fruchtig, gepaart mit unterschiedlichen Texturen.
Mit klassischen Petit Fours hat man es im „Jante“ nicht so sehr, weswegen es am Ende dann doch noch mal etwas Gebackenes gibt. Waren es beim letzten Mal frische, herrliche Buchteln, sind es diesmal Karamellwaffeln mit streichfähigem Stachelbeerbaiser. Das verbindet süß und sauer auf angenehme Weise – und da ich zwar kein großer Karamell-, dafür aber umso mehr Stachelbeerfan bin, gefällt mir das sehr gut.
War bereits unser letzter Besuch 2019 Beleg dafür, dass im „Jante“ eine sehr eigenständige Küche gepflegt wird, die sich typischen Kategorisierungen entzieht, hat sich dieser Eindruck noch einmal weiter verfestigt. Ist das hier regional? Ja, sicher – aber es wird nicht wie ein Schild vor sich hergetragen. Ist dies klassisch, modern, avantgardistisch? Womöglich von allem etwas. In vielem ist traditionelles Handwerk erkennbar, viele Details zeugen von zeitgemäßen Techniken. Die Kombinationen klingen manchmal gewagt, aber die Widerhaken halten sich in Grenzen und vorherrschend ist ein zwar mitunter überraschender, aber immer harmonischer Gesamteindruck.
Insofern wirkt Tony Hohlfelds Stilistik mittlerweile nicht nur eigenständig, sondern auch souverän. Man merkt, dass hier jemand seinen Weg gefunden hat und seine Ideen konsequent weiter entwickelt. Gut, dass dies auch vom roten Guide so erkannt wurde.
Wir haben an diesem Abend unseren Hochzeitstag gefeiert. Und nicht nur für diesen Anlass war der Besuch im „Jante“ mehr als gelungen.
Details
Restaurant: | Jante |
Adresse: | Marienstraße 116, 30171 Hannover |
Öffnungszeiten: | Dienstag - Samstag: 18.00 - 22.00 Uhr |
Website: | www.jante-restaurant.de/ |
Schlagworte
2 Michelin Stars, Hannover, Jante, kreativ, Mona Schrader, regional, Tony Hohlfeld
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Herrje, auch wenn wir dieses Wochenende euren Weinkeller Basil leer trinken werden, dass Jante ist ganz oben auf der Hannover to go Liste! Nächstes Mal bitte Nachricht an uns, wir kommen mit!