Le Grand Restaurant / Jean-François Piège, Paris

Wenn in Paris über potentielle Kandidaten für das nächste Dreisterne-Restaurant spekuliert wird, fällt ein Name relativ häufig: Jean-François Piège. Aktuell hält er zwei Sterne für sein Hauptrestaurant nahe des Élysée-Palastes, in einer Seitenstraße der vornehmen Rue du Faubourg St. Honoré, das er im September 2015 eröffnete und für das er die Auszeichnung bereits im darauf folgenden Februar erhielt.

Nun ist Jean-François Piège in Frankreich kein Unbekannter. Seit 2010 ist er Mitglied in der Jury der populären TV-Show «Top Chef». Die zwei Sterne hielt er bereits seit 2011 für sein Gourmetrestaurant im von ihm zu der Zeit auch betriebenen Hotel Thoumieux. Auch aktuell zeichnet Piège noch für weitere Restaurants verantwortlich, darüber hinaus veröffentlicht er zahlreiche Kochbücher. Klingt alles nach einer klassischen TV-Koch-Karriere. Wenn es da nicht noch eine Geschichte vor alledem gäbe. Seit 1992 arbeitet er eng an der Seite von Alain Ducasse, zuerst in Monaco im Louis XV, dann für vier Jahre im Plaza Athénée, wo er für Ducasse drei Sterne erkocht. Was, wenn nicht das verschafft Renommée und macht klar, dass es sich bei Piège um einen höchst ernsthaften Küchenchef handelt? Da nimmt der Franzose offenbar auch das ansonsten etwas skeptisch beäugte Fernsehengagement nicht übel.

Eingang
Eingang

An unserem Abend ist Jean-François Piège ebenfalls im Restaurant, allerdings die meiste Zeit im Gespräch mit offenkundigen Stammgästen. Beruhigend ist es dennoch, dass der Chef sich noch die Zeit nimmt, selbst vor Ort zu sein.
Ansonsten ist die Prozedur für jeden Gast die selbe. Betritt man das Restaurant, hat man linkerhand gleich die Küche, aus der einen die Mannschaft lautstark und herzlich begrüßt. Im Laufe des Abends werden wir so also noch öfter Ohrenzeugen, wenn neue Gäste ankommen.

Zum Studium der Menükarte gibt es als ersten Appetizer eine unverschämt köstliche Blätterteigstange, bei der nicht an gesalzener Butter gespart wurde. Was für ein schlichtes, aber wolllüstiges Vergnügen.

Blätterteig, gesalzene Butter
Blätterteig, gesalzene Butter

Es folgt ein Krabbenchip mit einem Gurkengelee und etwas Senfpuder. Befestigt ist das Ganze auf einer Kräutercreme. Zum Champagner eine nette Knabberei, die Würze und Frische kombiniert.

Krabbenchip, Gurkengelee, Senfpuder
Krabbenchip, Gurkengelee, Senfpuder

Und mit Knabberei geht es weiter, allerdings in noch effektvollerer Weise. Leider fehlt mir ein Vorher-Bild, denn sonst hätte man sehen können, wie stattlich und perfekt aufgebläht das Teigkissen aussah, bevor der Service am Tisch kurzen Prozess macht und es einfach kaputt schlägt. Das Pain Soufflé ist mit Kräutern, Blüten und Käse bestreut, dazu gibt es eine Wasabicreme. Auch dies ist abwechslungsreich und lecker, hinterlässt aber ein veritables Krümelinferno.

Pain soufflé mit Kräutern, Wasabicreme
Pain soufflé mit Kräutern, Wasabicreme

Letzter Gruß ist ein Tartelette mit einer Taubenlebercreme, die intensiv und rauchig schmeckt.

Tartelette mit Taubenlebercreme
Tartelette mit Taubenlebercreme

Zum sehr guten Brot und der akkurat halbierten Ficelle gibt es noch eine geräucherte Butter mit Bröseln.

Neben der à la Carte-Auswahl werden zwei Menüs angeboten. Eines ist mit „Ma cuisine francaise“ betitelt, das etwas teurere ist ein Überraschungsmenü. Beide Menüs allerdings werden aus den à la Carte-Gerichten zusammengestellt. Wir wählen die erste Option (216 Euro) und dazu die Weinbegleitung, die samt Wasser mit 110 Euro für Pariser Verhältnisse relativ moderat ausfällt. Da allerdings auch die Weinkarte eine recht große Anzahl durchaus bezahlbarer Weine enthält, wäre dies für einen weiteren Besuch wohl eher die Option.

Das Menü startet mit Jean-François Pièges Interpretation des Gâteau de foie blond nach Art von Lucien Tendret, dem Neffen des berümten Brillat-Savarin. Nun ist dies weniger ein Kuchen, sondern mehr eine sehr cremige, mit Trüffeln angereicherte Sauce aus Foie Gras und sehr fleischigen Flusskrebsen sowie Brotchips als knuspriges Element. Das Gericht ist sehr heiß – der Teller ebenso und ich bewundere den Service für das Einsetzen ohne Handschuhe und ohne mit der Wimper zu zucken – und das unterstützt den sehr molligen Charakter. Auch wenn sich hier nur wenige Komponenten finden, ist dieser Teller komplett und sehr harmonisch. Ich habe mir übrigens das Rezept im Netz angeschaut. Einfach geht, schon allein aufgrund der zahlreichen Arbeitsschritte, anders.

Gâteau du foie blond nach Lucien Tendret in einer Sauce von Flusskrebsen, schwarzer Trüffel
Gâteau du foie blond nach Lucien Tendret, Flusskrebse, schwarzer Trüffel

Der folgende Gang besticht zunächst einmal durch eine visuell beeindruckende Präsentation. Auf dem perfekt gegarten Stück Kabeljau sind kunstvoll dünne, knusprige Kartoffelscheiben und Steinpilze geschichtet. Sparsam dosierte Sauce vom Schnittknoblauch setzt nicht nur optische, sondern auch leicht scharfe Akzente, die aber wiederum gleich von der am Tisch angegossenen Steinpilzsauce eingefangen werden. Sehr gut.

Über Feuer zart konfierter Kabeljau aus Saint-Jean-de-Luz, Steinpilze, Chlorophyl von Schnittknoblauch, Steinpilzsauce
Über Feuer zart konfierter Kabeljau aus Saint-Jean-de-Luz, Steinpilze, Chlorophyl von Schnittknoblauch, Steinpilzsauce

Jean-François Piège hat eine Methode entwickelt, bei der Fleisch und Fisch auf Karkassen, Nussschalen oder wie in unserem Fall auf Olivenkernen im Ofen langsam gegart werden. „Mijoté moderne“ nennt er diese Technik und bei uns wird eine Wildente auf diese Weise zubereitet, die uns bereits zu Beginn des Menüs in einer entsprechend vorbereiteten Box präsentiert wurde. Ob diese Garung tatsächlich einen geschmacklich nennenswerten Mehrwert bringt, möchte ich jetzt nicht beschwören. Unbestritten ist allerdings die ausgezeichnete Qualität des Fleisches und die perfekte Zartheit sowohl der Brust als auch der Keule, die mit einem kleinen Wildkräutersalat einen frischen, leicht bitteren Kontrast liefert. Die angegossene Jus ist von klassischer Machart, wunderbar abgebunden und sehr intensiv. Wie schon zwei Tage zuvor bei Eric Fréchon erleben wir auch hier perfektes Saucenhandwerk und lassen selbstverständlich keinen Tropfen aus der Saucière zurück in die Küche gehen. Die Kartoffelspiralen, „pommes sacristain“, sind erneut eine kunstvolle Hommage an Zeiten, als man sich noch den Aufwand solcher Beilagen machte. Nicht nur optisch ein Hingucker, sondern auch ein schönes texturelles Element. Handwerklich ohnehin beeindruckend.

Als wir nahezu fertig sind mit dem Hauptgang wird uns auf einem kleinen Teller noch eine Nocke sehr buttriges Kartoffelpüree serviert, das mit Nüssen angereichert ist. Durch diese sehr herausgehobene Präsentation bekommt das Püree natürlich eine besondere Aufmerksamkeit und muss sich damit zwangsläufig der Referenz von Joël Robuchon stellen. An die kommt Pièges Version denn doch nicht heran. Vermutlich hatte Robuchon einfach noch ein Paket mehr Butter verarbeitet.

...à part Kartoffelpüree mit Nüssen
...à part Kartoffelpüree mit Nüssen

Beim folgenden Käsegang erwarte ich zwar eine köstliche, aber eher mächtige Version von Brie de Meaux. Tatsächlich aber ist der Fondant weniger flüssig als eher flaumig und luftig gestockt. Das Liebstöckel-Granité bietet dazu nicht nur die erforderliche kühle Kontrastierung, sondern auch einen frischen, dezenten kräutrigen Ton. Zusammen mit den dünnen, gerösteten Brotscheiben ist dies ein sehr süffiges und erneut technisch fabelhaftes Gericht.

Das erste Dessert ist ein Klassiker in Jean-François Pièges Küche und vielfältig fotografiert. Seine Version des „Blanc manger“ ist nicht weniger als ein handwerkliches Meisterwerk. Der Eischnee ist ganz fein gestockt, beim Anstechen ergießt sich eine fabelhafte Vanillesauce aus dem Inneren. Ein hauchdünner Karamelldeckel sorgt für Textur. Auch die Präsentation auf dem schwarzen Teller kann kaum besser gewählt sein. Das ist Purismus und Perfektion in Reinform. Ich bin schwer beeindruckt.

Ähnlich reduziert kommt auch das finale Dessert daher, das vor allem von großartigen Walderdbeeren lebt. Wir fragen den Service, wo man Anfang Oktober noch solche Früchte bekommt. Die Antwort bleibt – erwartungsgemäß – eher nebulös. Der Chef habe halt seine Quellen. Uns soll es recht sein. Denn das Zusammenspiel mit einem sehr cremigen Fichteneis, das erfreulich zurückhaltend bleibt, und einem Teigboden ist sehr stimmig.

Walderdbeeren, Fichteneis, Sahne
Walderdbeeren, Fichteneis, Sahne

Damit geht das offizielle Menü zuende und bis zu diesem Punkt sind wir von der durchgehend exquisiten Qualität bereits begeistert.
Die Küche schickt aber noch einige Nach-Desserts wie z.B. ein Schälchen mit Zwetschgen und karamellisiertem Zimteis und eines mit einer warmen Nougatcreme, ähnlich eines Puddings. Beides ist fein gearbeitet und man merkt, wie die Küche bei weiterhin hohem Niveau jetzt einige Gänge runterschaltet und einen klassischen Epilog einleitet.

Die sehr verspielte Präsentation hört auch beim Kaffee nicht auf, zu dem aus einem großen Glas eingelegte Kirschen serviert werden und zum finalen Abschluss wird noch eine Schokoladenkugel auf dem Tisch fallen gelassen, so dass sich aus dem Inneren ein Zitronen-Basilikum-Gelee und einige Pralinés verteilen. Etwas Show muss beim TV-Mann wohl schon dabei sein.

Aber der ein oder andere gezielt eingesetzte Showeffekt ändert nichts an der Tatsache, dass wir hier ein Menü auf durchgehend großartigem Niveau erlebt haben. Jean-François Piège pflegt einen Stil, der auf der großen, traditionellen französischen Küche fußt, sie aber sehr klug modernisiert. Seine Gerichte kommen mit wenigen Komponenten aus, überzeugen aber mit großer geschmacklicher Tiefe und beeindrucken oft mit einer bestechenden Präsentation. Alles wirkt sehr souverän und durchdacht. Die Menüdramaturgie ist ausgesprochen clever komponiert.

Die Atmosphäre im relativ kleinen Speisesaal ist gelöst, der Service aufmerksam, wenn auch stellenweise etwas reserviert. Aber das stört nicht, denn wir fühlen uns von Anbeginn an sehr wohl.

Ein Wort noch zum Preisniveau. Gemessen an den Kursen, die in Dreisterne-Restaurants in Paris aufgerufen werden, ist zwar auch „Le Grand Restaurant“ kein Schnapper, aber vergleichsweise deutlich moderater.
Ist dies der nächste Pariser Dreisterner? Ich glaube es zwar nicht, man könnte es aber vertreten. Würden wir wieder kommen? Eindeutiges: mais oui!

Details

Restaurant: Le Grand Restaurant / Jean-François Piège
Adresse: 7 rue d'Aguesseau, 75008 Paris
Öffnungszeiten: Montag - Freitag 12.30 - 13.30 Uhr und 19.30 - 21.30 Uhr
Samstag + Sonntag Ruhetag
Website: www.jeanfrancoispiege.com

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