L’Esquisse, Annecy

Das Hauptziel unseres Sommerurlaubs ist in diesem Jahr Annecy. Schon lange reizte mich die Stadt, von der ich nur viel Schönes las und hörte und die in einer Gegend lag, die für uns relativ regelmäßige Frankreich-Urlauber noch Neuland war. Und in der Tat enttäuscht die Stadt nicht. Gelegen an den Ausläufern der Alpen, Chamonix und Albertville nicht weit entfernt, ein unfassbar sauberer, riesiger See, eingerahmt von den Bergen und eine Altstadt, die nicht ohne Grund als Venedig Frankreichs bezeichnet wird.

Auch kulinarisch hat die Stadt und nähere Umgebung einiges zu bieten. Die größte Strahlkraft geht natürlich vom mit drei Michelinsternen gekürten „Le Clos des Sens“ aus. Und auch mich hätte das Haus interessiert. Allerdings waren Reservierungen zum Zeitpunkt meiner Versuche bereits hoffnungslos. Als Alternative bot sich das „L’Esquisse“ von Stéphane und Magali Dattrino an. Immerhin war Stéphane Dattrino über lange Zeit Sous-Chef unter Laurent Petit im „Le Clos des Sens“.

In seinem eigenen Restaurant am Rand der Altstadt hält er seit 2015 einen Michelinstern und hat komplett, wie einige seiner Kollegen in der Stadt, auf Überraschungsmenüs umgestellt (5 Gänge 85€, 6 Gänge 100€, ein Menü „L’Integrale“ ohne Gangangabe 125€). Mittags wird auch ein reduziertes Menü in 3 oder 4 Gängen (55€ / 65€) angeboten.

Außenansicht
Außenansicht

Das Restaurant hat im Erdgeschoss, direkt neben der offenen Küche einige wenige Tische, das meiste spielt sich im ersten Stock ab, wo ein angenehm natürlicher und zurückgenommener Stil vorherrscht. Die Klimaanlage funktioniert prächtig, was angesichts der brütend heißen Temperaturen, die zur Zeit unseres Besuches in Annecy herrschen, mehr als willkommen ist.

Unser Menü startet mit drei Mini-Häppchen als Amuse Bouche. Ein marinierter, gewickelter Rettich ist das, was er ist, ohne besonderen Überraschungsmoment. Recht naturell, aber dafür von feinem Eigengeschmack der Féra, ein Fisch, der früher vor allem im Genfersee beheimatet war. Dazu gibt es noch eine Scheibe getrockneten Fenchels, der als solcher kaum erkennbar ist. Es ist mehr eine Knabberei ohne besonderen Charakter.

Amuse Bouche
Amuse Bouche

Da es keine Karte gibt, muss ich mich mal wieder auf meine Restkenntnisse aus dem Französisch-Leistungskurs verlassen. Wenn dann allerdings der zwar freundliche, aber sehr zurückhaltende Service, auch noch recht leise spricht, wird das Überraschungsmenü tatsächlich zur Überraschung, ob man halt alles, was man nicht verstanden hat, wenigstens erkennt oder erschmeckt.

Klar ist, dass der erste Gang eine Variation von Blumenkohl ist. Er kommt als Püree, gebraten, roh, als Staub, letzteres allerdings ohne erkennbaren Mehrwert. Das Ganze ist geschichtet wie ein Millefeuille zwischen Weißkohlblättern mit einer Sauce, die einen dezenten Zitruseinschlag mitbringt.

Während mein Mann das super findet, finde ich, dass man daraus mehr hätte machen können. Gänzlich vermisst habe ich Röstaromen, die nach meinem Geschmack das Meiste aus dem Blumenkohl holen könnten. Auch die Zitrusnoten hätte man stärker herausarbeiten können. Insgesamt ist das noch in Ordnung, aber ob ein so relativ deftiges, warmes Gericht den Auftakt in ein Sommermenü markieren muss, würde ich zumindest zur Diskussion stellen.

Blumenkohl / Weißkohl / Zitrus
Blumenkohl / Weißkohl / Zitrus

Sehr viel besser geeignet wäre da meines Erachtens der folgende Gang gewesen, in dem Stéphane Dattrino eine Ratatouille neu interpretiert. In kalter Form, also quasi mehr als Antipasti, schichtet er Scheiben der perfekt gegarten klassischen Gemüse, um sie dann zu einer Rosette zu formen. Wer da nicht an die Version im „Ratatouille“-Film denkt, hat ihn vermutlich gar nicht erst gesehen. Aber hier gibt es noch einige schöne Überraschungseffekte in Form von Crunch, Erde und einem Basilikum-Granité. Ein wunderbar sommerliches und hervorragendes vegetarisches Gericht.

Ratatouille / Basilikum
Ratatouille / Basilikum

Weiter geht es mit top gebratenem Seehecht, der begleitet ist von einem sehr fein geschnittenen Gurkentatar, das viel Crunch durch vermutlich Amaranth erhält. Bedeckt ist das von Zucchinischeiben und als Sauce dient eine Erbsencreme. Die ist alleine für sich hart an der Salzgrenze, funktioniert aber im Zusammenspiel mit den anderen Komponenten noch ganz gut.

Seehecht / Gurke / Zucchini / Erbse
Seehecht / Gurke / Zucchini / Erbse

Es folgt ein zusätzlicher Gang, der tatsächlich auch als „Surprise du Chef“ angekündigt wird und bei dem man dem Gast zunächst überlässt, die Zutaten selbst herauszuschmecken. Klar erkennbar sind ein Kartoffelespuma sowie Champignons, Pfifferlinge und Frühlingszwiebeln. Offenbar findet sich noch eine weitere Pilzsorte darin und ebenfalls nicht erkannt haben wir die schaumige Mousse auf Basis von Vin Jaune. Insgesamt ist das aber ein süffiges und köstliches, wenn auch erneut ziemlich deftiges und mächtiges, Löffelvergnügen.

Surprise du Chef
Surprise du Chef

Beim Hauptgang beobachten wir bereits an anderen Tischen, dass die Küche offenbar nach Zufallsprinzip entscheidet, welches Fleisch an welchen Tisch kommt. Um uns herum gibt es Rind. Wir erhalten Kalb, das, so wird uns erklärt, aus der direkten Umgebung, nur 15 Minuten entfernt, stammt. Es ist ziemlich naturbelassen und hätte durchaus etwas mehr Würze vertragen können. Gebratener Fenchel mit Estragon gefällt mir gut, auch das Schalottenconfit mit Croutons ist nicht schlecht. Die rustikal anmutende Sauce hat einen Touch von Fenchel. Das ist alles recht solide und ordentlich, aber spätestens jetzt ist ein guter Sättigungsgrad erreicht.

Kalb / Fenchel / Schalotte
Kalb / Fenchel / Schalotte

Einen zubereiteten Käsegang gibt es auch noch, was mich immer freut, auch wenn ich gegen einen schönen Käsewagen wahrlich nichts habe. Hier gibt es ein Cornet aus Filoteig, das mit einer Creme aus Frischkäse, Fromage Blanc und Confit aus getrockneten Früchten und Tête de Moine gefüllt ist. Das ist kräftig, hat eine gute Würze und ist überraschend originell.

Käse / Konfierte Früchte
Käse / Konfierte Früchte

Beim Dessert hält es die Küche wie bei den Hauptgängen. Es ist Lotterie, was man bekommt und ich hoffe inständig, dass es kein Schokoladendessert wird. Schließlich gibt es offenbar auch leichtere Desserts. Wir bekommen – natürlich – Schokolade. Die wird in diversen Texturen durchgespielt, als Mousse und Espuma von unterschiedlichen Schokoladensorten, als Chip mit Cashews sowie als Brownie, der so massig gerät, dass ich das meiste davon liegenlassen muss. Das karamellige Sorbet hingegen, das auch ein Granité sein kann, hat sich schon auf dem Weg an den Tisch halb verflüssigt. Das ist alles soweit ok, aber für mich von allem zu viel und eben leider nicht das, was ich mir gewünscht hätte.

Es folgen noch einige Mini-Petits Fours in Form von Keksbruch mit saurem Confit, neutralem Macaron und einer gefüllten Himbeere. Nichts davon hinterlässt einen besonderen Eindruck.

Petits Fours
Petits Fours

Was also bleibt als Fazit? Stéphane Dattrino pflegt eine sehr konsequent auf lokale Zutaten beschränkte Küche. Das ist lobenswert und die Qualität der Produkte kann auch tatsächlich überzeugen. Mit dem Ratatouille, dem Seehecht und dem Käsegang hat er sehr gute bis starke Gänge präsentiert, während mir anderes ausbaufähig erschien. Generell ist eine Tendenz zu einer rustikalen und deftigen Stilistik zu erkennen, was möglicherweise der Charakteristik der Küche in der Region der Savoyen entspricht. Auch bei Temperaturen weit jenseits der 30 Grad haben wir hier etliche Restaurants gesehen, in denen Käsefondues nicht nur angeboten, sondern auch bestellt wurden. Aber gut, der Deutsche isst ja auch Rotkohl und Knödel zu allen Jahreszeiten. Ich hätte mir jedenfalls ein etwas leichteres Menü gewünscht und nicht unbedingt den „Death by Chocolate“ zum Dessert. Aber das ist das Wesen eines Überraschungsmenüs. Die Überraschungen nehmen bis zum Schluss kein Ende.

Details

Restaurant: L'Esquisse
Adresse: 21 Rue Royale, 74000 Annecy
Öffnungszeiten: Dienstag + Mittwoch: ab 12.15 Uhr und ab 19.30 Uhr
Donnerstag: ab 19.30 Uhr
Freitag + Samstag: ab 12.15 Uhr und ab 19.30 Uhr
Sonntag + Montag: Ruhetag
Website: www.esquisse-annecy.fr/

Schlagworte

, , , , ,

Verwandte Artikel


Dein Kommentar