Librije’s Zusje, Amsterdam

Als das vornehme Waldorf Astoria Hotel 2014 in der exklusiven und denkmalgeschützten Amsterdamer Herengracht eröffnete, wollte man auch mit seinem Gourmetrestaurant von Beginn an ein Ausrufezeichen setzen, das sagen sollte: Wir streben die Spitzenposition in der Stadt an. Dafür sicherte man sich die Zusammenarbeit mit Jonni und Thérèse Boer aus dem mit drei Michelinsternen ausgezeichneten „De Librije“ in Zwolle, derzeit Nr. 34 der World’s 50 Best-Liste. Und aus deren Schmiede heuerte man Sidney Schutte an, der bereits 10 Jahre in Zwolle und anschließend noch 2 Jahre in Hongkong im „Amber“ tätig war.
In Amsterdam legte Schutte einen Raketenstart hin, denn es dauerte ganze sieben Monate, bis das „Librije’s Zusje“ mit zwei Sternen ausgezeichnet wurde.

Obwohl wir regelmäßig in der Grachtenstadt sind, hat es doch bis zu diesem Jahr gedauert, bis es mit einer Reservierung endlich geklappt hat. Und entsprechend groß ist die Vorfreude.
Bei leichtem Nieselregen steigen wir die Stufen zum Hotel hinauf und werden von einem extrem freundlichen Service empfangen, der uns sofort die Jacken abnimmt, noch bevor wir eine Etage tiefer zum Restaurant fahren. Der Raum ist relativ niedrig, aber äußerst geschmackvoll und gemütlich eingerichtet, mit Blick in den zauberhaften Innenhof.

Waldorf Astoria Außenansicht
Waldorf Astoria Außenansicht
Innenansicht
Innenansicht

Wie in so vielen guten Restaurants in Amsterdam ist der Service von ausgesuchter Freundlichkeit, formvollendet, aber liebenswürdig, charmant und locker. All das trifft auch auf den Maître d‘ , Sascha Speckemeier, zu, dem wir das Vergnügen zu verdanken haben, diese Betreuung in weiten Teilen auch in deutsch genießen zu dürfen. Speckemeier übrigens ist auch mit „De Librije“-Erfahrung ausgestattet und hat so illustre Adressen wie das „Palais Coburg“ in Wien oder das „Ultraviolet“ in Shanghai in seiner Vita. Diese Weltläufigkeit passt gut in das internationale Ambiente des Nobelhotels und zu dem hoch kreativen Küchenstil von Sidney Schutte.

Ohne lange Umschweife schickt die Küche die ersten Grüße zum Apéritif, wobei der erste optisch nicht viel offenbart. Unter dem alles bedeckenden Kaffeeschaum allerdings geht es aromatisch bereits gut zur Sache, denn Tamarillosorbet und Auster funktionieren ganz prächtig mit dem Schaum, der nur eine ganz zurückhaltende, aber trotzdem präsente Herbheit beisteuert.

Amuse Bouche: Auster, Tamarillo-Sorbet, Kaffeeschaum
Amuse Bouche: Auster, Tamarillo-Sorbet, Kaffeeschaum

Humor beweist die Küche mit dem zweiten Gruß. Auf einer schmalen, länglichen Platte findet sich ein Schneckengehäuse und dahinter eine angedeutete Schleimspur. Nun gut, die Schnecke hat es nicht rechtzeitig geschafft, dafür hat Schutte ihr ein knuspriges Inneres mit einer grünen Creme verpasst, die reichlich mit orientalischen Gewürzen punktet. Schön, überhaupt mal wieder eine Zubereitung mit Schnecken zu bekommen. Irgendwie sind sie ein wenig aus der Mode gekommen, aber ich mag sie sehr. Und dieser kleine Happen ist originell und gut.

Amuse Bouche: Schnecke, orientalische Gewürze
Amuse Bouche: Schnecke, orientalische Gewürze

Kunstvoll präsentieren sich auch die folgenden zwei Grüße, Shiitake in verschiedenen Zubereitungen und ein Flammkuchen mit Shrimps, Erdnuss und Enokipilzen. Letzterer kommt auf akkurat geschichteten Shrimpsköpfen, ist allerdings so fragil geraten, dass ich beinahe das millimetergenaue Ensemble ruiniere, als ich den Flammkuchen in die Finger nehme. Aber geschmeckt hat er großartig.

Diese Kleinigkeiten sind bereits erstaunlich originell und die Vorspeise, mit der jede Küche ja gerne ein deutliches Signal setzen will, toppt dies problemlos.
Auf einem Quader aus, wie ich vermute, mit Rote Bete eingefärbtem und frittiertem Kataifi findet sich Blauer Hummer, Entenzunge und Litschi. Als wäre das optisch noch nicht beeindruckend genug, wird am Tisch noch großzügig von aromatisierter und getrockneter Entenleber gehobelt. Abgesehen von der Vielfalt an Texturen greifen hier auch alle Noten, obwohl durchaus sehr unterschiedlicher Natur, sehr gekonnt ineinander. Das ist schlichtweg großartig.

Wie ein abstraktes Gemälde mutet der nächste Gang an, der ebenfalls wieder Meer, Fleisch und Frucht kombiniert, allerdings in gänzlich anderer Form. Unter einer Haube von roh aufgeschnittenem Carabinero findet sich Short Rib, in einer Art Pulled Beef und getrocknet, dazu Wassermelone. Eine Creme aus geröstetem Paprika mit leichter Schärfe hält das Ganze zusammen. Auch hier ist wieder viel Textur und Überraschungseffekt im Spiel.

Carabinero / Short Rib / geröstete Paprika / Ingwer / Wassermelone / X.O. Sauce
Carabinero / Short Rib / geröstete Paprika / Ingwer / Wassermelone / X.O. Sauce

Knusprigkeit und eine leicht würzige Schärfe bestimmen auch die folgende Rotbarbe. Der Fisch perfekt gegart und mit Crumble aus Krustentieren und Knoblauch, darunter noch verschiedene Muscheln und Austern versteckt. Alleine diese Kombination macht bereits viel Spaß, aber zusammen mit der Sauce aus Mexikanischem Estragon und der angegossenen Beurre Blanc wird daraus ein ungemein süffiges, aber gleichzeitig auch komplexes, Vergnügen.

Rotbarbe & Krustentiere / Mais / Vanille / Mexikanischer Estragon / knuspriger Knoblauch
Rotbarbe & Krustentiere / Mais / Vanille / Mexikanischer Estragon / knuspriger Knoblauch

Ungewöhnlich reduziert kommt der folgende Gang. Ein üppiges Exemplar einer Jakobsmuschel wurde mehrere Tage in Rotwein und Ingwer eingelegt, dazu gibt es einen vor allem in Japan beliebten Speisepilz, Maitake, der eine fast fleischige Textur aufweist. Etwas Mandarinencreme liefert fruchtige Akzente. Sehr viel mehr als diese wenigen Zutaten braucht es gar nicht, denn das ist ausgesprochen intensiv.

Jakobsmuschel / Maitake / Rotwein / Gewürzlilie / Mandarine
Jakobsmuschel / Maitake / Rotwein / Gewürzlilie / Mandarine

Mit dem Hauptgang wird es, wie häufig im Rahmen eines solchen Menüs, etwas konventioneller. Das Reh ist perfekt gegart, ein Roggenchip sorgt für Knusper, Kardamom, grüne Olive, Karotte und Macadamia sind passende und nicht ganz alltägliche Beilagen. Dennoch bleibt der große Wow-Effekt aus. Was nichts daran ändert, dass dies trotzdem natürlich ein guter Gang ist.

Reh / Roggen / Kardamom / Grüne Olive / Karotte / Macadamia
Reh / Roggen / Kardamom / Grüne Olive / Karotte / Macadamia

Schon zu Beginn des Abends stand auf unserem Tisch ein Pilz unter einer Glasglocke, der entfernt an eine Krause Glucke erinnert. Im Laufe des Abends wird Sascha Speckemeier immer mal wieder eine grüne Flüssigkeit über den Pilz gießen. Am Ende ist der Pilz, tatsächlich ist es Tremella, ein chinesischer White Fungus, vor allem von Estragon giftgrün.
Als Übergang zu den Desserts serviert die Küche den Pilz sehr effektvoll auf einem Eis von rosa Pfeffer, dazu einige Tupfen von geräucherter weißer Schokolade. Trotz der intensiven Aromatisierung bleibt der Pilz eher neutral, das Eis ist deutlich vorherrschend. Insgesamt bleibt aber ein sehr frischer Gesamteindruck. Dramaturgische Inszenierung und Präsentation sind auf jeden Fall sehr originell.

Tremella / Estragon / Rosa Pfeffer / BBQ Weiße Schokolade
Tremella / Estragon / Rosa Pfeffer / BBQ Weiße Schokolade

Das abschließende Dessert präsentiert sich eher unspektakulär. In einer kleinen Tajineform, die zumindest schon eine Assoziation auf die zu erwartende Aromatik bietet, findet sich ein Allerlei von süßen und herben Aromen. Aprikosen sind auszumachen, Rosinen, grüne Oliven, etwas Kandiertes, das ich nicht definieren kann, Karotten und ein Eis von Ras El Hanout. Relativ viel Minze verortet das Gericht dann endgültig im arabischen Raum. Das schmeckt ohne Frage gut, kann mich aber auch nicht völlig begeistern.

Tajine / Minze / Olive / Safran / Aprikose / Raz El Hanout
Tajine / Minze / Olive / Safran / Aprikose / Raz El Hanout

Zum Schluss wird es noch mal etwas rätselhaft. Eine Vielzahl von wunderschön anzusehenden Petits Fours, darunter zahlreiche bunte Pralinés, wird aufgebaut, aber so einfach macht man es dem Gast dann doch nicht. Parallel dazu gibt es die Menükarte, die das eigene, wie auch das vegetarische Menü auflistet und an vielen Stellen farblich markiert ist. Die Idee dahinter ist, dass die Petits Fours analog zu den entsprechenden Farben in der Menükarte Aromen aus den jeweiligen Gerichten noch einmal aufnimmt.
Das ist eine schöne Idee, ist aber nicht immer einfach zu erkennen und geht für mich in weiten Teilen nicht auf. Vielleicht fehlt mir zu diesem Zeitpunkt und nach einem langen und geschmacksintensiven Abend aber auch einfach nur die Fantasie, noch mal alles wieder zu erkennen.

Dennoch war dies ein ganz starker Abend. Zwar gab es ein, zwei Gerichte, die mich nicht völlig haben überzeugen können, wie der Hauptgang oder das Dessert. Dem standen aber einige brillante Gänge gegenüber, wie der Hummer mit Entenleber zu Beginn, der Carabinero und die Jakobsmuschel, die mich komplett begeistert haben. Und auch Gänge wie der Tremello blieben zwar geschmacklich etwas hinter der optischen Erwartung zurück, haben mein Herz aber trotzdem voll erreicht, weil sie für einen sehr eigenständigen Stil stehen, den Sidney Schutte hier entwickelt. Neben einem hohen handwerklichen Können und einer in weiten Teilen beeindruckenden Präsentation waren viele Gerichte hier von einer Originalität, wie ich sie lange nicht mehr erlebt habe.

Und geht man nicht dafür essen, zumal im gehobenen Bereich? Ich zumindest werde gerne überrascht und wenn es eine Küche schafft, dass ich nicht nur Spaß auf der Zunge habe, sondern mir wahlweise ein Grinsen nicht verkneifen kann oder die Augen schließen muss, um ganz einzutauchen in eine ungewohnte Kombination, dann hat der Besuch seinen Zweck voll erfüllt. Und genau das ist mir an diesem Abend einige Male passiert.

Sascha Speckemeier als vorbildlichen und charmanten Gastgeber habe ich zu Beginn bereits hervorgehoben. Erwähnen muss man, neben der übrigen Servicemannschaft, aber auch Floris Altink, den Sommelier. Wir haben uns nicht für die Weinbegleitung, sondern für zwei Flaschen aus der üppigen und für ein Grandhotel wie das Waldorf erstaunlich fair kalkulierten Weinkarte entschieden. Und selten war es so angenehm, sich hierüber abzustimmen, denn nachdem wir beschrieben haben, auf welchen Stil wir Lust haben, hat Altink gemacht, was wir sonst grundsätzlich vermissen: Er fragt das vorgesehene Budget ab. Und nachdem dies einmal und unkompliziert geklärt ist, weiß er, in welchem Bereich er aus der großen Karte empfehlen kann. Das war vorbildlich und mit den beiden Weinen waren wir zudem hochzufrieden.

Als wir das Restaurant verlassen, hat es angefangen zu schneien. Sascha Speckemeier begleitet uns ein Stockwerk höher zum Ausgang. Und so schließt sich der Kreis eines gastfreundlichen Abends von der Begrüßung bis zur Verabschiedung und vielen kulinarischen Höhepunkten dazwischen. Sidney Schutte spielt für mich definitiv am oberen Rand der derzeitigen zwei Sterne. Ob er Amsterdam die ersten drei Sterne erkochen kann, wird man sehen. Das Zeug dazu hat er.

Details

Restaurant: Librije's Zusje
Adresse: Herengracht 542-556, 1017 CG Amsterdam
Öffnungszeiten: Dienstag - Samstag 18.30 - 22.00 Uhr
Sonntag + Montag Ruhetag
Website: www.librijeszusje.com

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Kommentare

  1. Bremer-man am 25. März, 2018 um 11:59 Uhr.

    Der drittletzte Absatz ist mir aus der Seele geschrieben. Darum geht’s. Vielen Dank!

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