Toya, Faulquemont
Am 18. August 2021 in Frankreich | 2474 Aufrufe | 1 Kommentar
Wenn einen der Gault & Millau bereits 2012 als „Grand de Demain“, also als einen Großen von Morgen, auszeichnet und man mit 25 Jahren der jüngste Koch mit einem Michelinstern in Frankreich ist, sind die Erwartungen naturgemäß hoch. Loïc Villemin jedoch hat sich davon offenbar nicht sonderlich beeindrucken lassen und seinen ganz eigenen Plan verfolgt. Seit 2010 kocht er im lothringischen Faulquemont, seinem Heimatort, mit Blick auf den örtlichen Golfplatz in dem von ihm selbst gestalteten Restaurant. Das verströmt mehr nordisches Flair, als man hier vermuten möchte. Aber es ist großzügig angelegt, gemütlich, die Aussicht auf das Trainings-Green beruhigend und das Licht warm. Leider auch dafür verantwortlich, dass sich bei Abwesenheit von Tageslicht ein grausamer Rotstich über die Bilder legt.
Aber unabhängig davon ist im Restaurant bereits am großen markanten Regal erkennbar, dass hier Eingelegtes und Fermentiertes eine entscheidende Rolle zu spielen scheint. Und tatsächlich legt Villemin großen Wert auf Nachhaltigkeit, was sich nicht nur auf die verwendeten Zutaten bezieht, sondern auch auf ökologisch verantwortliches Arbeiten in der Küche. Aktuell ist das „Toya“, dessen Name sich auf einen japanischen See und gleichnamigen Ort bezieht, in dem der von Villemin verehrte Michel Bras ein Restaurant betreibt, mit 1 Michelinstern und 17 Punkten ausgezeichnet.
Abends gibt es ein häufig wechselndes, und daher als Überraschung serviertes Menü in fünf bzw. sechs Gängen (90€ / 120€), mittags zusätzlich ein Dreigang-Menü (52€). Wir entscheiden uns für das „Menu Nature“ in sechs Gängen.
Und das startet mit vier Snacks, die gleichzeitig serviert werden. Neben einem mit Meersalz versehenen üppig fettigen Brioche mit Kräuterbutter machen drei Tartelettes den Auftakt.
Geräucherte Aubergine mit Sake und Wassermelone, eine üppige Beurre Noisette-Mayonnaise mit Kräutern sowie knusprige Artischocke mit Lammschinken sind durchgehend originell kombiniert, köstlich und handwerklich fein gearbeitet.
Den zweiten Set von Grüßen bildet eine Muschel mit Chilisauce und Curryöl mit deutlich asiatischem Einschlag und leichter Schärfe sowie ein knuspriges Kartoffelröllchen mit cremiger Zanderfüllung.
Ein abschließendes Amuse Bouche folgt noch in Form einer in Champagner fermentierten Auster mit einem Sud von Orangen und Tagetes mit Austernkraut. Das besticht vor allem mit deutlich jodigem Ton.
Das Sauerteigbrot ist, ganz entgegen der üblichen hellen und fluffigen Exemplare, zwar auch locker, aber deutlich kräftiger und würziger. Dazu gibt es zwei unterschiedliche Buttersorten, die vom großen Laib portioniert werden.
Im ersten Gang gibt es dickfleischige Exemplare von Flusskrebsen in einem Flusskrebs- und Tomatensud. Geräucherter Kaviar und Geranium sorgen für florale und salzige Noten. Ansonsten dominiert hier ein sehr frischer Eindruck und ein intensiver Tomatengeschmack.
Sehr konzentriert auf die Hauptzutat ist der nächste Gang. Hummer kommt vom Grill und weist deutliche Holzkohlearomen auf. Das kräftige und köstliche Fleisch kommt in einer Sauce, die aus den Karkassen gezogen und mit Molke aufgeschäumt wurde. Das ist super konzentriert, ganz auf den Krustentiergeschmack fokussiert und einfach nur lecker. Meine bessere Hälfte kommentiert dies nur kurz und knapp mit „sensationell“. So viel dazu.
Im folgenden präsentiert der Service ein dickes Stück geräucherter Forelle, die mit Rosensirup lackiert wurde. Angerichtet wird der Fisch dann in groben Stücken mit Rosenblättern, Pickels und Verbeneöl in einer Käsesauce aus Mimolette und Mirabellen. Das klingt zwar recht wild, aber die Käsesauce ist nicht vordergründig und irgendwie fügt sich alles unerwartet harmonisch zusammen. Das ist üppig und reichhaltig, sehr komplex und schlichtweg lecker.
Mit einem vegetarischen Gang geht es weiter. Auf einer Mole, die eine feine Schärfe aufweist, platziert Villemin grüne Bohnen und Zwiebelpüree mit Kirschen. Estragonblätter fügen dieser ungewöhnlichen und würzigen Kombination eine ätherische Note bei. Erneut gehen alle Elemente außerordentlich gut zusammen. Die Mole bestimmt hier den kräftigen Grundakkord. Einfach klasse.
Und dann wird endlich ein lang ersehnter Wunsch wahr. Nach unzähligen Menüs, in denen zugegeben fabelhaftes Reh oder Beef die Hauptgänge dominierten, habe ich endlich mal wieder eine Taube auf dem Teller, mein unangefochtenes Lieblingsfleisch. Ich kann mich nicht mehr an das letzte Mal erinnern, dass ich es als Hauptspeise hatte. Und dieses hier ist perfekt gegart mit super zartem Fleisch und einem schönen Grillaroma. Begleitet ist es von Karotte in Texturen, pur, als Püree und ebenfalls gegrillt. Eine Emulsion von mexikanischem Estragon und eine gebrannte Creme runden den Hauptteller ab. Die Keule gibt es separat mit Blütenblättern. Ein Gang, der mich an dieser Stelle sehr glücklich macht.
Im Pré-Dessert gibt es eine recht unscheinbar wirkende Kreation rund um Cerealien, die aber unter der Müsli-Decke mit diversen Texturen überzeugen kann. Das Eis ist bereits geschmolzen, aber nicht weniger köstlich. Salzig, süß, knusprig wechselt sich gekonnt ab.
Für den Abschluss des Menüs serviert die Küche für jeden von uns ein unterschiedliches Dessert. Für meinen Mann gibt es Kirsche und eine geeiste Mousse von Pistazie. Das alleine funktioniert zusammen naturgemäß schon sehr gut, aber den ganz besonderen Kick liefert ein Essiggelee mit einer prägnanten, scharfen Säure. Allerdings ist auch dies wieder so gekonnt portioniert, dass es das Gericht nicht dominiert, sondern spannende Akzente setzt.
Und damit ist es auch deutlich origineller als mein Dessert, in dem sich Mirabellen und eine Creme, in der auch Mirabellenschnaps verarbeitet sein soll, mit kleinen Biskuitkeksen finden. Den Alkohol schmecke ich zwar nicht raus, aber das begleitende Eis hat deutlich Limettenabrieb abbekommen. Das ist alles durchaus lecker, aber eben auch etwas arg konventionell.
Mit einigen soliden Petit Fours geht der Abend zu Ende, der uns eine überraschende und sehr überzeugende Küche präsentiert hat.
Loïc Villemin kombiniert mutig. Seine Gerichte wirken modern und unangestrengt, sind durchgehend geschmackvoll und häufig mit einem unerwarteten Twist. Lassen Einrichtung und die demonstrativ präsentierten Gläser mit Eingemachtem zwar eine Küche mit stark nordischem Charakter erwarten, ist ein Menü hier sehr zugänglich und im Kern eben doch klassisch basiert. Dafür gibt es scheinbar zahlreiche Fans, denn auch an diesem Mittwoch Abend ist das etwas abgelegene Restaurant ausgebucht.
Die zahlreichen Golfer werden sich hier mutmaßlich eher im Zweitrestaurant bei rustikaleren Gerichten nach ihren unfassbar anstrengenden Bahnen stärken. Für uns hingegen fühlte sich der Abend im „Toya“ wie ein Hole in One an.
Details
Restaurant: | Toya |
Adresse: | av Jean Monnet, 57380 Faulquemont |
Öffnungszeiten: | Mittwoch - Samstag: mittags + abends Sonntag - Dienstag: Ruhetag |
Website: | www.toya-restaurant.fr |
Schlagworte
Faulquemont, Gault Millau, kreativ, Loïc Villemin, Michelin, Toya
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Ein äußerst ansprechendes Menü! Und ich bin mir sicher, die Keule wären in der Darbietung niemals in D so serviert worden! Das geht nur in Frankreich! Tolles Menü!