CODA Dessert Dining, Berlin

Zu den ungewöhnlichsten Dining-Erlebnissen, die man derzeit erleben kann, und das nicht nur in Deutschland, sondern sicherlich auch weit darüber hinaus, gehört sicherlich das „CODA Dessert Dining“ in Berlin.  Was 2016 als „CODA Dessert Bar“ begann, spiegelt  mittlerweile auch im Namen den Anspruch wieder, eine ernsthafte Menü-Alternative anzubieten, die man eben nicht nur nebenbei zu einem Drink zu sich nimmt, sondern der man sich aufmerksam widmen sollte.

Konzeptionell hat sich zwar seit unserem ersten Besuch Ende 2016 gar nicht viel verändert. Nach wie vor gibt es ein Menü, bei dem es zu jedem Gang einen individuell kreierten Cocktail gibt. Man muss allerdings keine Sorge haben, hier nach sieben oder acht Gängen alkoholsatt das Restaurant zu verlassen, denn die jeweiligen Drinks sind nur in kleinen Mengen portioniert und lassen noch genug Raum, sich auch der vor allem mit Rieslingen gut bestückten Weinkarte zu widmen.

René Frank, nicht erst seit seiner Zeit als Chef-Pâtissier im Osnabrücker „La Vie“, bekannt für avantgardistische Dessertkreationen, hat mit dem „CODA“ seine Vorstellungen davon konsequent weiter nach vorne getrieben, wie weit die Grenzen ausgelotet werden können, von dem, was normalerweise nur den süßen Abschluss eines Menüs darstellt. Und dabei geht er, zusammen mit seiner Sous-Chefin Julia Leitner, vieles anders an, als es in der Pâtisserie oft üblich ist. Industriezucker und Weizenmehl sind tabu. Süße kommt in der Regel aus den Zutaten selbst. Und die sind häufig ungewöhnlicher, als man sie in Desserts erwarten würde. Wer Dessert Dining hört, sollte hier auf jeden Fall nicht zwangsläufig vordergründig und in erster Linie Süßes erwarten.

Der Michelin honoriert das Besondere dieser Küche seit 2020 gar mit zwei Sternen. René Frank selbst wurde mehrfach als Pâtissier des Jahres, zuletzt im Rahmen der Worlds 50 Best-Verleihung gar als Weltbester seines Fachs, ausgezeichnet.

Das Restaurant im Stadtteil Neukölln mit wenigen Tischen und einigen Plätzen an der Bar präsentiert sich weiterhin relativ dunkel und schlicht ausgestattet mit Blick in die offene Küche. Die Tische sind allerdings so gut ausgeleuchtet, dass klar ist, dass hier die Musik spielt.

Interieur
Interieur

Und die beginnt mit vier Snacks, zuallerst einem Rote Bete-Gummibärchen mit karamellisiertem Ahornsirup und Churros mit Misocreme. Bleibt ersterer noch etwas neutral, ist das feine Gebäck mit der süß-herben Creme schon ausdrucksstärker.

Wie extravagant es werden kann, zeigt dann aber bereits das folgende hochfragile Kopfsalatblatt, das karamellisiert und dehydriert, dann mit Frischkäsecreme und pulverisierten Salzgurken versehen wurde. Hier überwiegt eine dezent herbe Note.

Den Abschluss bildet ein warmes Süßkartoffelküchlein, das statt mit Butter mit Rindermark gebacken wurde. Schmeckt, lässt einen durch die Bezeichnung Beefcake aber ein wenig in die Irre laufen, weil der erwartete fleischige Charakter ausbleibt.

Bleiben diese ersten Grüße, vielleicht bis auf das Kopfsalatblatt, noch etwas verhalten und lassen noch nicht wirklich erkennen, wie außergewöhnlich das Menü werden würde, setzt bereits die Vorspeise ein heftiges Ausrufezeichen.

Eine aufgeschlagene Mascarponecreme, die ungewöhnlich luftig gerät, bekommt mit getrocknetem Wirsing und Pulver von fermentierten Kakaobohnen einen herben Gegenpart. Der angegossene Sud von Grapefruit mit Thymian und Tapioka liefert säuerliche Frische, die im wunderbaren Kontrast zur Creme steht. Zudem hat man immer etwas Crunch im Mund. Eine außergewöhnlich klug und originell komponierte Vorspeise, durch und durch ausgezeichnet.

Grapefruit - Mascarpone - Wirsing - Thymian
Grapefruit - Mascarpone - Wirsing - Thymian

Sehr extravagant präsentiert sich der folgende Gang mit einer Miso-Buttercreme auf Biskuitboden. Dazu gibt es einkochte Zwetschgen, karamellisierte Walnüsse und – optisch am markantesten – frittierte Dulse-Algen. Letztere bringen erneut einen herben Grundton ins Spiel, der aber gekonnt durch die fruchtige Note der Zwetschge aufgebrochen wird. Schön auch das abwechslungsreiche Texturspiel.

Buttercreme - Zwetschge - Walnuss - Dulse Alge
Buttercreme - Zwetschge - Walnuss - Dulse Alge

Dass ein Menü in einem Dessertrestaurant nicht zwangsläufig durchgehend süß ausfällt, haben die ersten beiden Gänge bereits deutlich gezeigt. Aber spätestens wenn Käse ins Spiel kommt, wird es eindeutig herzhafter. Das beweist zum Beispiel die Raclettewaffel, bei der in einen sehr leichten Teig Käse eingebacken ist. Das ist technisch super und faszinierend gelöst. Die Waffel wird in eine Joghurtcreme und Kimchipulver getaucht, das eine feine Würze beisteuert. Diesem Akkord aus Herzhaftem, Heißem und Fettigen lässt sich auch hier nicht widerstehen.

Raclette Waffel - Kimchi - Joghurt
Raclette Waffel - Kimchi - Joghurt

Weiter geht es mit einer Halbkugel aus geeister Rote Bete, die mit einer superleichten Tofumousse gefüllt ist. In dieser befinden sich Stücke von Kokosblütenkuchenstücken. Rote Bete als Chip und als Pulver sowie Moosbeeren runden diesen frischen Gang ab, der säuerlich und mit vielen Texturen zu überzeugen weiß. Das ist nicht süß, aber trotzdem eindeutig als Dessert zu verorten, das im Übrigen ganz ausgezeichnet als Kontrast nach dem recht üppigen Käsegang funktioniert.

Geeiste Rote Bete - Moosbeere - Tofu
Geeiste Rote Bete - Moosbeere - Tofu

Doch schon mit dem folgenden Gericht verschwimmen die Grenzen bereits wieder. Der Cironé Cheesecake mit zwei Jahre gereiftem Schweizer Milbenbergkäse wird kurz und heftig gebacken, zeigt außen eine Hülle und ist innen noch flüssig. Sellerie als Chip und als Pulver sowie dehydrierte Trauben decken den Kuchen ab. Am Tisch schlägt man ein kleines Loch in die Mitte, in die der Service dann eine Emulsion von Espresso und Mandeln gibt. Auf die Idee, Käse mit Espresso zu kombinieren, muss man auch erst mal kommen, aber die leichte Bitternote steht dem Käse gut. Erneut sehr faszinierend.

Cironé Cheesecake - Kaffee - Sellerie
Cironé Cheesecake - Kaffee - Sellerie

Die Extravaganz treibt René Frank mit dem Kaviar-Popsicle, der sich mittlerweile zum Signaturedish entwickelt hat, richtig auf die Spitze. Um die Vanille-Topinambureiscreme mit Pekannussganache wird französischer Ossietra-Kaviar gegeben. Der ist relativ mild und nicht zu salzig. Die Kälte nimmt dem Kaviar zwar etwas von der Intensität, aber er ist immer noch sehr präsent. Das ist nicht nur sehr originell, sondern auch erstaunlich harmonisch.

Caviar Popsicle
Caviar Popsicle

Etwas konventioneller wird es nach meinem Geschmack mit im eigenen Saft gegarter Süßkartoffel auf Mandelbiskuit mit Apfel und kaum merklichem Shiitake. Schmandgranité bringt als kühlendes Element einen schönen Temperaturkontrast. Das ist sehr harmonisch, zeigt aber, anders als bei den vorherigen Gerichten, keine Widerhaken. Es ist ohne Frage gut, aber wenn man so will, der bisher bravste Gang.

Süßkartoffel - Schmand - Apfel - Shiitake
Süßkartoffel - Schmand - Apfel - Shiitake

Dass die Erwartung nach Schokolade in einem Dessert-Restaurant wie diesem bisher nicht erfüllt wurde, ist nicht wirklich überraschend. Aber jetzt zum Schluss kommen die Schoki-Liebhaber doch noch auf ihre Kosten. Im „CODA“ wird auch die Schokolade selbst hergestellt aus gerösteten, gemahlenen fermentierten Kakaobohnen aus Ecuador. Der Riegel aus Schokocreme ist nur mit einer Emulsion von lila Karotten gesüßt, mit der er auch glasiert ist. Dazu gibt es einen Schaum von Haselnüssen sowie roter Zichorie. In Summe ist das abwechslungsreich und sehr gut – und definitiv noch am ehesten im „klassischen“ Dessert-Bereich anzusiedeln.

Nacional Kakao - Lila Karotte - Zichorie - Haselnuss
Nacional Kakao - Lila Karotte - Zichorie - Haselnuss

Den Abschluss bilden noch einige bunte Süßigkeiten, in denen Mandel, Wagyu-Beef-Fudge, Haselnuss, dehydrierte Rote Bete und Olive die geschmacksgebenden Komponenten sind. Dazu gesellen sich noch Luftschokolade und eine Ganachepraline. Allesamt gut gearbeitet.

Süßigkeiten
Süßigkeiten

Ein Wort zu den begleitenden Drinks, die im Menü inkludiert sind. Ich habe mir dazu keine weiteren Notizen gemacht, aber sie stehen den Gängen in Sachen Eigenständigkeit nichts nach und ergänzen diese vortrefflich. Auch hier muss man ein hohes Maß an Originalität konstatieren, wenn zum Beispiel Berliner Weiße mit Dill-Anis Aquavit, Dillgeist und Birne oder Sake mit Sherry und Kirschbrand kombiniert werden.

Der Service ist super freundlich und sehr gut eingespielt. Muss er auch sein, denn zum Zeitpunkt unseres Besuchs wurden die Tische noch in zwei Seatings vergeben, wobei in der Sitzung, die um 22.00 Uhr begann, das Menü nur in kürzerer Version bestellt werden konnte. Ab Mitte April wird es nur noch ein Seating sowie ein erweitertes Menü geben. Wir fühlten uns indes nicht gehetzt. Aber 18 Uhr ist normalerweise nicht ganz unsere Zeit, weswegen der neue Starttermin um 19 Uhr uns mehr entgegenkäme.

Ich weiß nicht, ob wir dieses Jahr noch mal ein ungewöhnlicheres Menü erleben werden. Aber was René Frank und sein Team im „CODA“ bieten, ist schon einzigartig. Auch wenn mittlerweile in vielen Desserts auch Kräuter und Gemüse verarbeitet werden, sind die Gerichte hier von einer anderen Qualität, weil sie sich eben auch in einen klassischen Menüablauf einpassen. Eine Vorspeise wie die Mascarponecreme hätte ich auch in jedem anderen Restaurant als solche fabelhaft gefunden und nicht unbedingt mit einem Dessert assoziiert. Wäre es mir aber als Abschluss eines Menüs serviert worden, wäre ich ähnlich begeistert gewesen.

Das „CODA“ hat sich mit diesem Konzept, das die Grenzen klassischer Desserts auslotet und erweitert, ein eindeutiges Alleinstellungsmerkmal geschaffen und ist hierbei auch stilprägend für eine ganze Branche. Ob man das nun avantgardistisch oder progressiv nennt, ist dabei unerheblich. Es ist einfach außergewöhnlich gut.

Details

Restaurant: CODA Dessert Dining
Adresse: Friedelstraße 47, 12047 Berlin
Öffnungszeiten: Mittwoch - Samstag: ab 18.00 Uhr (2 Seatings)
Sonntag - Dienstag: Ruhetag

Geänderte Öffnungszeiten ab 18.04.2023:
Dienstag - Samstag: ab 19.00 Uhr
Website: www.coda-berlin.com/

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