Golvet, Berlin
Am 18. Februar 2023 in Deutschland | 2069 Aufrufe
Mit dem Lastenfahrstuhl geht es in den achten Stock. Überall sonst hätte ich mich vielleicht gewundert. Aber das hier ist Berlin. Da passt das schon.
Einmal eingetreten, ist das Ambiente auch gleich großstädtisch. An Weinschränken und offener Küche vorbei geht es in den großzügig gestalteten Hauptraum, der im Sommer sicherlich eine beeindruckende Aussicht bietet. Jetzt im Winter ist es vor allem dunkel.
Wir sitzen mit direktem Blick in die Küche, die ohnehin das spannendere Programm bietet
und die von Jonas Zörner geführt wird. Er ist seit 2018 im Haus und seit 2020 Head Chef. Es werden zwei siebengängige Menüs (jeweils 160€) angeboten, eins davon vegetarisch, die sich nach den Jahreszeiten richten.
Es beginnt mit drei vegetarischen Grüßen, die gleichzeitig serviert werden. Ein Lollipop mit Zuckerwatte-Anmutung, der an Bratapfel erinnern soll, präsentiert Steckrübe in einer Karamellhülle. Nicht schlecht, aber etwas süß.
Eine Tartelette mit Käsecreme und Birne-Rauchmandel, gerät sehr kräftig und mit viel Umami, so dass sich fast eine Speckanmutung ergibt. Gefällt mir sehr gut.
Am prägnantesten gerät ein Churro mit Petersiliensphäre, Radieschen und frittiertem Grünkohl. Das ist alles originell und gut gearbeitet, lässt aber noch Luft nach oben.
Das Menü startet mit Hecht, der acht Tage gereift, gebeizt und geräuchert wurde. Eine Räucherfischmousse als Platte, Wacholder als Creme und im Sud, Schmorgurke ebenfalls in Variation und Sanddorn als geeiste Perlen geben dem Gericht nicht nur einen frischen und kühlen Charakter, sondern auch feine Säurenoten und einen eleganten regionalen Touch.
Die Berliner mögen ja ihre Vorbehalte gegenüber der großen Anzahl von Schwaben haben, die vor allem in den angesagten Stadtteilen ihre neue Heimat gefunden haben. Angenommen haben sie indes ihr Mitbringsel, die Seele, die quasi auf kaum einem Wochenmarkt fehlen darf. Auch im „Golvet“ hat dieses, auch von mir geliebte Gebäck, neben Laugenbrötchen, einer Karamellbutter und einem köstlichen Aufstrich seinen Auftritt.
Im nächsten Gang geht es vor allem um Kohlrabi – als Creme, Carpaccio, eingelegt und in Stücken. Dazu gibt es ein Blutorangengel sowie nur zurückhaltend eingesetzten Estragon. Auch Tamarinde findet sich in der Creme, aber faktisch bleibt nur der Kohlrabi im Vordergrund. Das ist hübsch präsentiert und mit den unterschiedlichen Texturen auch durchaus vielschichtig in Szene gesetzt. Dennoch hätte ich mir gewünscht, dass die übrigen Komponenten stärker mitspielen.
Viel Textur ist auch beim Huhn von Odefey im Spiel. Das Keulenfleisch wurde gezupft und dann wie ein elegantes Curry mit Blumenkohl, Mango und Sonnenblumenkernen zubereitet. Das hat viel Biss, ist aber vor allem durch den Schaum von grünem Curry sehr scharf. Durch die fruchtige Note ist das aber dennoch abwechslungsreich.
Separat gibt es ein gefülltes Naan-Brot, das etwas neutralisieren soll. Das ist auch etwas milder, aber immer noch ziemlich würzig. Oder aber die Schärfe vom Schaum hallt noch nach. So genau kann ich das nicht unterscheiden. In jedem Fall ist das originell und köstlich – wenn man es sehr spicy mag, so wie wir.
Es folgt auf den Punkt gegarter Rinderrücken mit einer Auflage aus Trüffel. Dazu gibt es eine Happy Foie Gras, also ungestopfte Leber, die durch nachträglich angereicherte Fette eine Anmutung von Stopfleber erhalten soll. In der Tat hat die Creme auch eine schöne Lebernote, der aber dennoch der letzte Foie Gras-Touch fehlt. Über die super konzentrierte Sauce gehen am Tisch die Meinungen auseinander. Mein Mann mag sie, mir ist sie zu hart an der Grenze zum Bitteren und die feine Lebercreme übertönend.
Insgesamt ist das gut und aromatisch und trotz der Einschränkung zur Sauce ein starker Gang.
Vor dem nächsten Gang gibt es ein Granité mit einer Sphäre von Glühwein, der als solcher kaum erkennbar ist. Aufgegossen wird das mit einem Sud aus Tee, Aquavit und Mescal. Das ist leicht herb und super erfrischend.
Fisch als Hauptgang nach dem kräftigen Fleischgang zu servieren, mag unkonventionell erscheinen, aber hier macht es durchaus Sinn. Der Stör wurde zwar nur sanft gegart, erhält aber eine würzige Auflage. Quitte sorgt für etwas Säure, aber der dominanteste Teil ist die prägnante Sauce auf Basis von 12 Monate gereiftem Garum, dem Holzkohle beigefügt wurde. Ein kräftiger und origineller Fischgang.
Für das erste Dessert bemüht die Küche Assoziationen zu Waldaromen. Nun ja, für mein Empfinden braucht es da schon etwas Fantasie. Pistazien-Softcake mit Pistazienschaum und Crumble ergänzt geröstete Topinamburschale. Dazu gibt es ein Sorbet aus Topinamburschale und Moos, das insgesamt aber sehr unauffällig bleibt. Das „Waldigste“ sind der Birkensud und der Fichtennadelgeist, der am Tisch über das Gericht gesprüht wird. Eine nette Idee, die sich aber aromatisch so schnell verflüchtigt, wie es eben Versprühtes meistens tut.
Trotzdem ist das in Summe stimmig. Ich würde es nur nicht unbedingt mit dieser Assoziation versehen.
Den Menüabschluss bildet ein Maronen-Vanille-Biskuit mit einer Maronencreme, Bergamottesorbet, Zuckerplättchen und Dillsud. Dieses abwechslungsreiche Spiel von Süße, Säure und kräutrigen Noten ist nicht nur texturell variantenreich, sondern in Summe auch sehr frisch. Sehr schön, wie hier gekonnt winterliche Aromen eingefangen werden, ohne dass es schwer wird.
Die finalen Petit Fours – Marshmallow, Profiterole, Praline und Schokoladen-Haselnuss-Riegel – sind allesamt akkkurat und fein gearbeitet, bleiben jedoch relativ konventionell.
Der Service im „Golvet“ ist herzlich und aufmerksam. Und das macht ohnehin schon mal die halbe Miete aus. Mit der Weinkarte, die erfreulicherweise online einsehbar ist, hadere ich allerdings. Sie weist viele mir unbekannte Namen und noch mehr Naturals auf, so dass nur mit reichlich Recherche vorab und guter Beratung vor Ort etwas Passendes gefunden werden kann. Für Liebhaber von Naturweinen ist das sicher ein fabelhafter Ort. Da wir uns damit etwas schwertun, ist die Auswahl dann doch etwas schwieriger. Aber dank des umsichtigen Service hatten wir nichts auszustehen und haben Weine gefunden, die uns gut gefallen haben.
Das Menü von Jonas Zörner hat uns überzeugt. Es zeigt deutlichen Mut zu kräftigen Aromen, die gerne auch mal die Grenzen ausloten wie beim Huhn und beim Rind. Darüber hinaus ist die Küche kreativ und von hohem technischen Aufwand geprägt. Sie ist regional ausgerichtet, aber dabei nicht dogmatisch.
Diese Leistung wurde 2022 mit dem Titel „Berliner Meisterkoch“ gekürt. Jonas Zörner sieht sich aber mehr als Teamplayer. Wenn man den Aufzug zum Schluss wieder besteigt, kann man deutlich sehen, wie er das versteht.
Details
Restaurant: | Golvet |
Adresse: | Potsdamer Straße 58, 10785 Berlin |
Öffnungszeiten: | Mittwoch - Samstag: 18.00 - 22.45 Uhr Sonntag - Dienstag: Ruhetag |
Website: | www.golvet.de/ |
Schlagworte
Berlin, Berliner Meisterkoch, Fine Dining, Golvet, Jonas Zörner, kreativ, Michelin
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