
Schorse, Hannover
Am 28. Oktober 2021 in Deutschland | 3087 Aufrufe | 1 Kommentar
Ein ähnliches Konzept hat man an diesem Ort schon mal versucht. Diesmal scheint es zu klappen. Linkerhand betritt man durch einen dezenten Vorhang den Fine Dining-Bereich mit dem „Votum“, rechterhand liegt mit dem „Schorse“ die etwas rustikalere Abteilung, in der Oliver Welter sich eine verfeinerte, bodenständige Küche auf die Fahnen geschrieben hat. Und nachdem wir die Abteilung hinter dem Vorhang bereits ausprobiert haben, steht heute genau dieser Teil der Gastronomie im Leineschloss, dem Gebäude des Landtags, an.
Wir haben sehr kurzfristig reserviert und haben Glück, denn wir erwischen tatsächlich den letzten freien Tisch. Ein Anblick, den wir hier lange nicht erlebt haben und der uns natürlich freut, denn es spricht dafür, dass man diesmal offensichtlich den Nerv des Publikums besser trifft.

Dass bei der Gestaltung der Speisekarte aber auch Benjamin Gallein, Küchenchef im „Votum“, seine Finger mit im Spiel hat, wird schnell klar, denn obwohl man hier durchaus vermeintlich bekannte Zutaten und Gerichte listet, finden sich in den Beschreibungen immer auch Komponenten, die man nicht unbedingt erwarten würde und die einen kreativen Touch versprechen.
Vorspeisen liegen zwischen 9 und 17 Euro, Hauptgerichte zwischen 13 und 29 Euro, Desserts zwischen 7 und 9 Euro. Zusätzlich gibt es noch ein Tagesmenü in drei bis fünf Gängen (41 – 55 Euro).
Mich hätte zwar das ein oder Gericht aus dem Menü interessiert, aber da es die nicht à la Carte zu bestellen gibt, widmen wir uns halt der Standardkarte und beginnen mit Jakobsmuscheln. Die kommen in einem farbenfrohen Arrangement mit Blumenkohl in Variationen, Trauben, diversen Kernen und einer leicht aufgeschäumten Sauce. Den entscheidenden Kick erhält das Gericht aber durch Tupfen von Kimizu, einer mayonnaiseartigen Creme aus Eiern, Mirin und Reisessig, die alles sehr aromatisch und cremig verbindet.

Der Service hatte uns die Vorspeisen als größere Tapas-Portionen angekündigt, was uns dazu verleitet, gleich mal drei davon zum Teilen auf den Tisch stellen zu lassen. Über die Definition einer Tapas-Portion, auch einer größeren, kann man geflissentlich diskutieren. Wir haben es hier mit ausgewachsenen Vorspeisen zu tun, was auch auf das Garnelentempura zutrifft. Auf einem üppigen Salatbett von vor allem Feldsalat, finden sich fünf prächtige Exemplare, die tatsächlich sehr fein ausgebacken sind. Die Chili-Mayonnaise liefert dazu den genauen richtigen Pepp, ohne alles mit zu prägnanter Schärfe zuzudecken. Kein über die Maßen originelles Gericht, aber eines mit Spaßfaktor und handwerklich sehr ordentlich gemacht.

Von unseren drei Vorspeisen ist die Sülze sicherlich diejenige, die am kreativsten klingt. Bratkartoffelvinaigrette und Auster sind jetzt vermutlich nicht unbedingt Komponenten, die man in dieser Form erwarten würde. Und tatsächlich ist das Gericht auch sehr schön präsentiert. Wir machen allerdings den Fehler, den Teller als letztes zu probieren, was dazu führt, dass die dünn geschnittene Sülze im relativ warmen Raum ihre vermutlich ursprünglich festere Konsistenz verloren hat und dadurch insgesamt nur noch recht cremig zu essen ist. Die Vinaigrette ist gut, aber der Bratkartoffelgeschmack ist nicht zwingend als solcher erkennbar, dafür geben lila Kartoffelchips Knusper. Über die Auster dazu gehen die Meinungen am Tisch mal wieder auseinander. Während sich mir der Sinn der Kombination nicht wirklich erschließt, sieht mein Mann es mal wieder anders. Nun ist er aber auch der Austern-Junkie von uns beiden. So oder so bin ich aber ein großer Fan von hausgemachten Sülzen und würde mir das sicher wieder bestellen – dann aber auch als erstes essen.

Als Zwischengang mache ich mit einer krisensicheren Kombination weiter. Denn Ei, Kartoffel, Spinat und Trüffel passen einfach immer gut zusammen und hier kommt eine einwandfreie Zubereitung dazu. Das Ei ist perfekt pochiert mit flüssigem Kern, Kartoffel als Brei und Espuma sowie Spinat versprechen ein süffiges Löffelvergnügen. Der Herbsttrüffel ist für mein Empfinden noch etwas schwach auf der Brust, wirkt sich aber auch nicht nachteilig auf das Gesamtergebnis auf.

Auf der anderen Seite des Tisches gibt es eine kleine Portion von Schorses Fischeintopf. Und es ist auch gut, dass das nicht als Bouillabaisse angekündigt ist, denn auch wenn die Farbe Assoziationen aufkommen lässt, ist das Geschmacksbild schon deutlich anders. Der Sud könnte zwar noch etwas intensiver sein, ist aber auch so aromatisch und mit schön knackigem Gemüse und einer reichlichen Fischeinlage ausgestattet. Garnele, Lachs, Muscheln und Kabeljau sind auch in der kleinen Version schon üppig bemessen und akkurat gegart. Der Mann ist zufrieden.

Ich entscheide mich im Hauptgang für den Klassiker schlechthin, das Wiener Schnitzel. Im „Schorse“ kommt es mit Kartoffelsalat und kalt gerührten Preiselbeeren. Das Schnitzel hätte vielleicht etwas stärker aufsouffliert sein können, war aber ansonsten völlig in Ordnung. Allerdings gebe ich zu, dass jedes Wiener Schnitzel sich natürlich an meiner persönlichen Referenz messen muss und da liegt die Latte aus dem Kölner „Essers Gasthaus“ vor allem aufgrund der ungleich leckereren Panade doch arg hoch. Die Wahl der richtigen Brösel kann hier entscheidende Unterschiede machen.
Der Kartoffelsalat hingegen muss keinen Vergleich scheuen, ist nur, auch angesichts des fortgeschrittenen Sättigungsgrades, schlicht zu viel. Üblicherweise brauche ich zwar keine Preiselbeeren zum Schnitzel, aber dass diese hier gut gemacht sind, erkenne auch ich.

Das Roastbeef vom Schleswig-Holsteiner Rind ist perfekt gebraten, das Kartoffelpüree ebenso akkurat gemacht, auch die Sauce ist klassisch gut. Lediglich beim Spitzkohl muss der Koch wohl schockverliebt gewesen sein. Trotzdem unterm Strich ein sehr guter Hauptgang.

Ein Dessert schaffe ich an dieser Stelle eigentlich nicht mehr, aber die Chronistenpflicht gebietet es. Und mit dem Karotten-Mandarinen-Eis im Sud und Kompott von Orangen fällt die Wahl auch auf eine recht leichte Version. Das Eis ist ausgezeichnet, aber ich vermisse die angekündigte Petersilie. Auf Nachfrage ist sie in das Kompott eingearbeitet. Aber da kann ich sie auch nicht ausmachen, was ich schade finde. Denn die Kombination liest sich nicht nur spannend, sondern ich stelle sie mir auch sehr stimmig vor. Hier hätte ich mir etwas mehr Mut gewünscht. Und für den Anfang vielleicht zumindest etwas Petersilienöl, was auch einen farblich schönen Akzent hätte geben können.
Aber ich will nicht über Gebühr kritteln. Das ist hier immer noch ein gutes und befriedigendes Dessert, das in diesem Rahmen auch die Erwartungen der meisten Gäste sicherlich erfüllt.

So beenden wir ein Essen, das uns nicht nur gut gesättigt in den Abend entlässt, sondern auch durchgehend Spaß gemacht hat. Die Abgrenzung zum Fine Dining-Bereich gelingt gut und die Karte hat ein eigenständiges Profil, das in der Tat sehr mehrheitsfähig, dabei aber alles andere als langweilig oder beliebig ist. Die kreativen Schlenker, die man hier einbaut, sind so geschickt gesetzt, dass sie eher konservative Esser nicht verschrecken müssen, aber interessant genug für neugierige Gäste sind.
Der Service, bei den früheren Betreibern eine der großen Schwachstellen, macht seine Sache hier ausgesprochen gut. Aufmerksam und kenntnisreich bei Nachfragen zur Stelle, den Kontakt zum Gast suchend, aber nicht aufdringlich.
Mit diesem Niveau machen wir uns über die Zukunft des „Schorse“, wie der Gastronomie im Leineschloss generell, keine Sorgen. Haben wir hier doch gleich zwei Adressen, die den Wiederbesuch lohnen.
Details
Restaurant: | Schorse |
Adresse: | Hannah-Arendt-Platz 1, 30159 Hannover |
Öffnungszeiten: | Montag – Samstag: 12:00 – 14:30 Uhr & 17:30 – 21:30 Uhr Sonntag: Ruhetag |
Website: | www.schorse-im-leineschloss.de |
Schlagworte
Benjamin Gallein, bürgerliche Küche, Hannover, kreativ, Landtag, Leineschloss, neue deutsche Küche, Schorse
Verwandte Artikel
Bootshaus, Bingen
13. Feb. 2025Ein dringender Tipp vorab für alle, die einen Besuch im „Bootshaus“ in Bingen ... Weiterlesen
Atable, Freinsheim
12. Feb. 2025Die Pfalz ist für uns immer eine Reise wert. Für Weinkauf sowieso und ... Weiterlesen
irori, Knittelsheim
10. Feb. 2025Manchmal ist der Weg das Ziel, auch wenn es dafür einige Umwege braucht. ... Weiterlesen
Waldhotel Sonnora, Dreis
24. Jan. 2025Zu den Vorzügen, nicht mehr arbeiten zu müssen, gehört es, dass man auch ... Weiterlesen
Pottkind, Köln
15. Jan. 2025In einer Stadt zu wohnen, die mehr als reich mit guten und sehr ... Weiterlesen
maiBeck, Köln
7. Jan. 2025Wenn ein Konzept mit anspruchsvoller, aber leicht zugänglicher Küche in der Kölner Altstadt ... Weiterlesen
Das war doch ein wirklich anständiges Essen mit einer gerechten Aufteilung, Auster für W., Sülze für T., für Carsten aber der Trüffel Teller! 🙂