The Jane, Antwerpen

„Fucking perfect“ – so heißt ein Film über Sergio Herman und nichts weniger dürfte vermutlich zutreffen auf einen Koch, der auf dem Höhepunkt seiner Karriere sein Restaurant schließt und andere Projekte verfolgt. Das „Oud Sluis“ hatte 3 Michelin-Sterne, 20 von 20 Gault Millau-Punkten (was vor ihm nur Marc Veyrat vergönnt war) und auch sämtliche Kritiken, die man heute noch lesen kann, sind ohne Einschränkungen überschwänglich.

Wir hatten nie das Vergnügen, im „Oud Sluis“ zu essen und so mussten wir, um zumindest einen Hauch der Sergio Herman-Magie zu erleben, auf seine Nachfolgeprojekte ausweichen, die er seinen ehemaligen Sous Chefs übertragen hat und bei denen er nur noch konzeptionell mitwirkt.

Das Pure C in Cadzand an der holländischen Nordseeküste, nahe der belgischen Grenze gelegen, war das erste Objekt, das er noch parallel zum „Oud Sluis“ eröffnete und in dem Syrco Bakker in einem mäßig hässlichen Strandhotel, das allerdings nach und nach modernisiert wird, ein sehr stylishes Restaurant bekocht, das extrem kosmopolitisch wirkt.

Als klar war, dass Sergio Hermans nächstes Projekt nach der Schließung des „Oud Sluis“ die Eröffnung eines neuen Restaurants in einer alten Kirche in Antwerpen sein würde, war der Andrang vom ersten Tag an gewaltig und bis heute hat die Strahlkraft als kulinarischer Hotspot nicht nachgelassen. Trotz Online-Reservierungssystem und selbst bei top-pünktlicher Bereitschaft, morgens um 8.00 Uhr an mehreren Rechnern gleichzeitig alle Tasten zu drücken, kommt der Erfolg einer Reservierung noch immer einem Lotteriespiel gleich.

The Jane außen
The Jane außen

Nick Bril, ehemaliger Sous Chef im Oud Sluis, führt an diesem Ort das Zepter und der Ort ist nicht weniger als spektakulär. Die Küche in einem Glaskubus im ehemaligen Altarraum platziert, erlaubt allen Gästen direkten Blick ins Geschehen, eine übermächtige, beeindruckende Lampenkonstruktion beherrscht den Raum, auf der Upper Galery, wo um eine Bar herum ein abgespecktes Menü genossen werden kann, beschallt ein DJ an den Turntables die Szene mit loungigen, später dann auch schnellerer Housemusik. Ich ertappe mich, wie ich beim Besuch der Toilette im Untergeschoss, wo die Musik besonders laut ist, am Waschbecken anfange, die Hüften zu bewegen und sich erste Tanzschritte in die Füße vorarbeiten… Im eigentlichen Gastraum hingegen ist die Lautstärke der Musik angenehm.

Antwerpen ist eine Modestadt. Das wird auch spätestens am Outfit des überragend freundlichen Service klar. Goldene Sneakers, die Männer in megahippen Jogginghosen, Hosenträgern, Westen und Krawatten, die Frauen in schlicht, elegant gehaltenen schwarzen Kleidern. Alles hier ist ein Gesamtpaket, das vom ersten Moment an nicht aufgesetzt wirkt, sondern so wie es ist, zusammen passt.

The Jane_Interior
The Jane_Interior

Während wir bereits zweimal im Pure C waren, ist dies unser erster Besuch im The Jane. Als wir um kurz nach 12 die Kirche betreten, sind die Erwartungen hoch. Und um es vorwegzunehmen: Sie werden nicht enttäuscht – und es soll ein denkwürdiger Lunch werden.

Der beginnt mit einigen flott servierten Amuses. Zuallererst ein Makrelen-Rillette mit Schafskäse, dazu indisches Brot. Danach ein Krabbentatar mit kleinem Gemüsesalat, getoppt von gepopptem Reis und serviert in einer vietnamesischen „Tom Yum Goong“-Suppe.

Mit diesen beiden Grüßen ist bereits eine Stilistik erkennbar, die wir auch aus dem Pure C in ähnlicher Form kennen. Relativ viele, oft kleinteilige Komponenten werden durch cremige Elemente miteinander verbunden, fügen sich zu einem harmonischen Gesamtbild zusammen und sind wunderschön präsentiert.

Weiter geht es mit zwei Sprotten, in hauchdünnem Tempurateig ausgebacken und mit einer Dillcreme und Sour Creme serviert. Das ist schlicht, aber überzeugend.

Sprat, dill, sour creme
Sprat, dill, sour creme

Abschließender Gruß, bevor es mit dem eigentlichen Menü losgeht, ist ein Tatar vom Kalb mit Anchovis und Kapernblättern. Wie auch bei vielen folgenden Gerichten, wird dieses in einer Schüssel serviert und der Löffel ist eigentlich das bevorzugte Esswerkzeug. Denn die Gerichte sind hier für den unkomplizierten Genuss konzipiert, bei denen man sich einmal quer durch alle Komponenten durcharbeiten kann, ohne diese einzeln auseinander analysieren zu müssen. Es wird sich zum Guten fügen.

Veal, anchovy, caper leaves
Veal, anchovy, caper leaves

Der erste offizielle Gang ist erneut Makrele, ganz zart wie ein Ceviche mariniert, mit einem Fenchelsalat kombiniert und in einem leicht säuerlichen Sud angerichtet. Am Tisch wird frischer Meerrettich darübergehobelt. Dies gibt zum insgesamt frischen Gesamteindruck eine ganz dezente, aber perfekt passende Schärfe.

Mackerel, fennel, whey, horseraddish
Mackerel, fennel, whey, horseraddish

Ähnlich frisch präsentiert sich auch die folgende Jakobsmuschel, roh aufgeschnitten und von Sellerie und Apfel begleitet. Dazu ein Mandarinen-Granité, das dem ganzen Gericht einen zusätzlichen Frischekick verleiht und gleichzeitig eine spannende Zitrusfruchtigkeit beisteuert.

In der Weinbegleitung, bei der man zwischen „Essentials“ (60€) oder „Intimables“ (80€) wählen kann, haben wir uns für die zweite Variante entschieden. Zu beiden Gängen gab es einen 2014 „Corps de Garde“ aus der recht nördlichen Appelation Saint-Bris. Spannend hieran ist vor allem, dass es sich um eine Rebsorte handelt, von der ich noch nie etwas gehört habe, Fié, und die weltweit scheinbar nur auf ca. 50ha angebaut wird. Dieses Exemplar von Goisot, verbindet Fruchtigkeit mit einer ausgeprägten Mineralität. Nicht wirklich mit anderen Weinen vergleichbar, vielleicht noch am ehesten mit einem Sauvignon Blanc, aber äußerst spannend und passend.

Scallops, celeriac, apple, fresh mandarin
Scallops, celeriac, apple, fresh mandarin

Die nächsten beiden Gänge sind dem Thema Auster gewidmet. Im ersten Teil kombiniert Nick Bril zwei Creuse Austern mit Thunfischbauch. Öl aus Kyoto-Zwiebeln soll hier eine aromatische Rolle spielen, aber das schmecke ich so nicht unbedingt heraus. Dafür liefert auch dieser Gang durch fein gestiftelte Gurke und Rettich erneut eine andere Variante von Frische, die mir angesichts der noch bevorstehenden sechs Gänge sehr entgegen kommt.

Die zweite Variante ist eine flache Auster, die warm serviert wird und durch Wirsing, Buddhas Hand-Zitrone und Bergamotte einen sowohl erdigeren als auch gleichzeitig säuerlichen Ton bekommt. Gepuffte Kartoffel und Eis liefern zusätzliche Textur und Abwechslung. Wieder sehr stark!

Zusammen mit dem zu beiden Gängen servierten 2014 Pouilly-Fuissé „Sur la Roche“ von der Domaine Guerrin & Fils umso mehr. Der elegante, schlanke, aber kraftvolle Wein liefert mit seiner mineralischen Note eine gute Ergänzung zu den jodigen Gerichten.

Mit dem Stück Knurrhahn, der zunächst nur von einigen Tupfen Aioli umrahmt ist, kommt ein Teller auf den Tisch, der die klassische „ach, wie übersichtlich“-Assoziation auslöst. Tatsächlich aber wird am Tisch aus einer kleinen Cocotte noch „suquet catalán“ beigegeben, eine Art Meeresfrüchte-Paella mit Nudeln statt mit Reis. Weiterhin wird ein intensiv duftender Krustentierjus angegossen. In dieser Kombination ist der Teller natürlich alles andere als übersichtlich und verdient auch sonst nur ein Prädikat: sensationell! Die „falsche“ Paella ist schlotzig, geschmacksintensiv, der Fisch perfekt gebraten, die Aioli, einmal als Paprika- und einmal in leichter Original-Version sind köstlich. Alles zusammen ein Gericht, das ich ohne zu zögern sofort noch einmal essen würde. Ich bin geneigt, in diesem Rahmen ein aufrichtiges Dankgebet zu sprechen, belasse es aber mit einem schlichten „Fucking perfect“ auf die Frage, wie es uns geschmeckt hat. Was der Service mit einem Grinsen quittiert…

Gurnard, camarón-aioli, "suquet catalán"
Gurnard, camarón-aioli, "suquet catalán"

Das danach servierte Perlhuhn hat es nun ohnehin etwas schwer, noch mal einen drauf zu setzen. Und in der Tat ist dies auch vielleicht der für mich schwächste Gang des Menüs (wir jammern natürlich auf ziemlich hohem Niveau). Obwohl die separat gereichte hauchdünne Hühnerhaut perfekt ist, ist jene auf dem Huhn ziemlich weich, das Fleisch zwar super saftig und zart, aber auch die Beilagen, etwas Chicorree und ein Ravioli mit für meinen Geschmack zu festem und zu dickem Teig, können mich nicht wirklich umhauen. Daran ändert auch der mit Trüffel aromatisierte Espuma nicht viel.

Fabelhaft aber hierzu der auch zum Fisch bereits servierte 2014 „Il Frappato“von Arianna Occhipinti, ein schlanker, nahezu untypischer Rotwein für so eine heiße Gegend wie Sizilien. Stilistisch näher am Burgunder, aber doch relativ kräftig. Eine tolle Entdeckung!

Guineafowl, chicory, hay, truffle
Guineafowl, chicory, hay, truffle

Und genauso toll geht es auch beim Hauptgang auf dem Teller weiter. E gibt Wild, leider nicht näher benannt, aber ich würde auf Hirsch tippen. Die zahlreichen Beilagen, darunter vor allem der Black Pudding, die Artischocke und die würzige Kräuterjus lassen jetzt auch in der Menüdramaturgie das eindeutig kräftigste Gericht entstehen. Erneut aber greifen hier alle Komponenten harmonisch ineinander, sorgen für geschmackliche und texturelle Abwechslung. Blaubeeren liefern, ganz typisch für Wild, einen dezenten fruchtigen Akzent. Ein ganz hervorragendes Gericht!

Im Glas wird es jetzt ebenso deutlich kräftiger und zwar mit einem 2012 „Rancio“, einem Chianti Classico Riserva von Fèlsina, der mit seinem fülligen Charakter, Noten von Leder, Tabak, Kräutern ausgezeichnet zum Wild passt.

Venison, Jerusalem artichoke, black pudding, myrtille
Venison, Jerusalem artichoke, black pudding, myrtille

Mit dem ersten Dessert kommt dann, neben dem Knurrhahn, das für mich nächste große Highlight. In der Schale sind am Rand Eis, Creme, feingewürfelte Apfelstücke, Baiser, Crumble geschichtet. Angegossen wird ein fruchtiger Sud aus Weizengras. In Kombination ist das saulecker – frisch, fruchtig, cremig, knusprig, alles in einem. Fabelhaft!

Green apple, pine, Matterhorn Gin, wheatgrass
Green apple, pine, Matterhorn Gin, wheatgrass

Das Menü schließt mit einem beeindruckend kunstvoll arrangierten Ensemble aus diversen Cremes, Mousses und Eis von Schokolade, Kokosnuss, Rum und Kaffee. Eine Tellerschönheit, die wiederum alle Texturen bedient, unglaublich viel Spaß macht und trotz des schokoladigen Grundtons überhaupt nicht schwer daher kommt. Zum Abschluss noch mal ganz großes Kino!

Beide Desserts werden im Glas von einer feinherben Riesling „Schiefergestein“ von Schäfer-Fröhlich begleitet, der nur eine ganz dezente Restsüße mitbringt und sich erstaunlich gut macht.

Inaya chocolate, coco, rum, coffee
Inaya chocolate, coco, rum, coffee

Insgesamt muss man sowieso festhalten, dass die Weinauswahl nicht nur wirklich hochwertig, sondern auch sehr eigenständig war. Dass zwischendurch auch immer großzügig nachgeschenkt wurde, um die Gläser bis zum nächsten Gang nie leer werden zu lassen, sei nur nebenbei bemerkt.

Da wir zu diesem Zeitpunkt bereits deutlich über 4 Stunden im Restaurant sind, mag man eine leise Vorahnung davon haben, dass wir weintechnisch wahrlich nichts auszustehen hatten.

Zum Kaffee folgen noch einige leckere Petits Fours, bevor sich ein langer Nachmittag dem Ende zuneigt. Als wir die Kirche verlassen, ist es nach 17 Uhr, die meisten Tische sind noch besetzt und in weniger als anderthalb Stunden beginnt der Abendservice. Auch das eine erstaunliche Leistung.

So haben wir nicht nur das längste Mittagessen unseres Lebens erlebt, sondern auch eine Gesamtperformance, die von A-Z beeindruckend ist. Zu keinem Zeitpunkt kam Langeweile auf, der Service war aufmerksam, hat sich oft nach unserem Befinden erkundigt und ehrlich bemüht, jedem Gast ein besonderes Erlebnis zu verschaffen.

Wenn dazu auch noch eine Küche kommt, die nicht verkopft, sondern unkompliziert und trotzdem komplex ist und den Gast ganz direkt abholt, bleibt nur ein Fazit – fucking perfect!

The Jane_View from upper gallery
Blick von der Upper Gallery

Details

Restaurant: The Jane
Adresse: Paradeplein 1, 2018 Antwerpen
Öffnungszeiten: Di - Sa Lunch + Dinner
So + Mo Ruhetage
Website: www.thejaneantwerp.com

Schlagworte

, , , , , , , , ,

Verwandte Artikel


Dein Kommentar