Steirereck, Wien

Über viele Jahre sind wir regelmäßig ins „Steirereck“ gefahren. Unseren ersten Besuch, noch lange vor der Neugestaltung des Restaurants, habe ich noch sehr präsent im Kopf. Seinerzeit hatten wir auf der Terrasse so wegweisende Gerichte wie den Saibling im Bienenwachs oder ein fabelhaftes Dessert um Himbeeren und Pandan genießen dürfen. Und danach waren wir noch viele Male dort, aber irgendwann schlich sich eine gewisse Müdigkeit ein, der Zauber des ersten Mals war langsam einer gewissen Routine gewichen und mit anderen Restaurants in der Stadt taten sich spannende Alternativen auf, so dass das „Steirereck“ irgendwie immer mehr von unserer Liste rutschte.

Aber wie so oft braucht es vielleicht nur eine Pause und dann einen neuen Anlauf. So wollen wir an diesem Montag Mittag sehen, ob sich die alte Liebe neu entflammen lässt.

Abgesehen davon, dass wir ohnehin sehr gerne mittags ausgehen, bringt es im „Steirereck“ den Vorteil mit, dass es zusätzlich zum großen Menü in sechs oder sieben Gängen, die jeweils aus zwei Alternativen bestehen, noch eine Auswahl an à la Carte-Gerichten gibt, aus denen man sich ebenfalls ein Vier- oder Fünfgang-Menü zusammenstellen kann.

Seit 2014 erstrahlt das Restaurant nach einem grundlegenden Umbau in futuristischem Glanz von außen und sachlicher Eleganz von innen.

Bevor wir in unser Menü aus der Mittagskarte starten, baut der Service einige Apéros vor uns auf, deren Details sich aber kaum alle erinnern lassen.

Zu den knusprigen Schweinsrüsselchips gibt es einen Sauerrahm und Kren, ein Tartelette mit Topinambur, Hechtleber und Erbsen ist angenehm frisch. Gleiches gilt auch für die sehr differenzierte und köstliche Kaltschale aus Erdbeer, Melone, Lavendel und Tomate. Ein Babymais am Stiel ist eine nette, aber geschmacklich harmlose Spielerei und das Sauerteigröllchen mit Fenchel ist eine vor allem cremige Angelegenheit.

Zu den kaum wegzudenkenden Institutionen im „Steirereck“ gehört natürlich Andreas Djordjevic, von allen eigentlich nur „Brot-Andy“ genannt und so steht es mittlerweile auch auf seiner Schürze. Er ist Hüter über den ebenso legendären Brotwagen, den es in dieser Form und Menge wohl kaum vergleichbar irgendwo sonst gibt. In Dieter Thomas Heckscher Manier zählt Andy die mehr als 20 Sorten auf, die nicht alle im Haus gebacken werden. Man arbeitet mit bis zu 10 verschiedenen Bäckern zusammen und nur wenige Sorten, darunter aber das mindestens genauso legendäre Blunzenbrot, stammen aus der eigenen Küche. Dies ist nichts für Kohlehydratverweigerer – dies ist ein Himmel für Brotliebhaber.

Brotwagen
Brotwagen

Für den Start in mein Menü habe ich mir den Signature-Dish des Hauses schlechthin gewählt. Es gibt vermutlich unzählige Fotos oder Videos von der Zubereitung des Saiblings in Bienenwachs. Und in der Tat ist die Präsentation auch für mich nach bestimmt 10 Jahren immer noch faszinierend. Das Saibling-Filet wird dem Gast in einem Holzrahmen roh präsentiert und dann mit 80 Grad warmem, flüssigem Bienenwachs vollständig bedeckt. Am Tisch kann man dann über die folgenden 10 Minuten beobachten, wie das Wachs aushärtet und darin der Fisch gart. Anschließend wird der Rahmen gekippt und das Filet auf der darunter liegenden Silikonmatte leicht herausgelöst. In der Küche wird der Teller dann komplettiert und bietet mit wunderbar saftigem Fleisch und einer Art Ravioli mit Rahm ein unwiderstehliches Vergnügen. Ein Alltime-Classic!

Saibling im Bienenwachs mit gelber Rübe, Pollen & Rahm
Saibling im Bienenwachs mit gelber Rübe, Pollen & Rahm

Mein Mann beginnt mit Wildschweinkopf in Form einer dünn aufgeschnittenen Sülze, die mit Purple Haze-Karotte, Radicchio und Ananas-Succo gleichwertige Mitspieler bekommt. Gepuffter Buchweizen liefert Crunch und am Tisch wird noch eine Emulsion von Purple Haze-Karotten angegossen, die zwar relativ süß ausfällt, aber trotzdem passt. Insgesamt auch dies ein prima Start.

Wildschwein-Kopf mit Purple Haze Karotten, Ananas, Radicchio Tardivo & Buchweizen
Wildschwein-Kopf mit Purple Haze Karotten, Ananas, Radicchio Tardivo & Buchweizen

Auf der Seite des Tisches geht es weiter mit dem mittlerweile ebenfalls berühmt gewordenen Pilzbeuschel. Nun mag man darüber streiten, ob die Bekanntheit der Tatsache geschuldet ist, dass Tim Mälzer in „Kitchen Impossible“ grandios an diesem Gericht verzweifelte und es mit fragwürdigen Methoden versuchte nachzuahmen oder ob es nicht doch dem unnachahmlichen Geschmack zu verdanken ist. Einigen wir uns lieber auf Letzteres, denn das Beuschel, das hier im Gegensatz zu einem herkömmlichen Beuschel, das ein traditionelles Innereien-Gericht aus Herz, Milz, Niere und Zunge ist, in der vegetarischen Variante auf den Tisch kommt, ist von beeindruckend nachhaltigem Geschmack.

Aus gedörrten, frischen und eingelegten Pilzen wird mit zahlreichem Wurzelgemüse, diversen Getreiden sowie getrockneten Essiggurken und Salzkapern zusammen mit einer intensiven Pilzbrühe ein gehaltvoller Eintopf. Ein Auflauf von Waldstaude, einer Urform von Roggen, auch bekannt als Johannisroggen, unterstützt dieses füllige Gericht gekonnt.

Die Reinanke aus dem Millstätter See ist kurz gebraten und sehr saftig. Als Beilage auf einem knusprigen Zwiebel-Rettich-Kuchen ein kunstvoll arrangierter, mit Calamansi und Thai-Basilikum marinierter Salat mit eingelegten Steinpilzen. Dazu gibt es einen, wie immer bei Reitbauer, relativ dünnen, aber durchaus intensiven Saft, der aus den gerösteten Reinanken-Abschnitten und Calamansi gezogen wurde. Im Ergebnis ist das sehr facettenreich und elegant.

Reinanke mit Sommersalat, Calamansi & Steinpilzen
Reinanke mit Sommersalat, Calamansi & Steinpilzen

Vom Wiener Schnitzel im „Steirereck“ sagt man ja gerne, dass es zu den Besten der Stadt gehöre. Jedenfalls darf Heinz Reitbauer häufig erläutern, was ein perfektes Schnitzel ausmacht. Nun gehört es zwar nicht zu den Kreativgerichten, die das „Steirereck“ ausmachen, aber vielleicht charakterisiert ja das auch gerade die Philosophie des Hauses, dass man sich auch weiterhin den Klassikern verpflichtet fühlt und damit auch seinen Wurzeln. Das Schnitzel übrigens, ganz puristisch nur mit Petersilenkartoffeln und recht säuerlich abgeschmeckten Preiselbeeren serviert, schafft es zwar nicht in unsere Schnitzel- Hall of Fame, klopft aber zumindest schon mal an die Tür.

Wiener Schnitzel vom Milchkalb mit Petersilien–Erdäpfel
Wiener Schnitzel vom Milchkalb mit Petersilien–Erdäpfel

Für mich geht es weiter mit Lamm vom Pogusch, das in dreierlei Version kommt. Der Rücken ist exzellent gebraten und weist eine schöne Kruste auf. Die kleinen Stücke vom Bries sind fein, aber der eigentliche Star ist die ebenfalls mit Bries gefüllte, super saftige Brust. Eingerahmt ist das Fleisch von einem mit Sprossen gefüllten Artischockensalat und Selleriekohlblättern. Das ist abwechslungsreich und vielschichtig. Gut.

Pogusch Lamm mit Marchfelder Artischocken, Selleriekohl & Ysop
Pogusch Lamm mit Marchfelder Artischocken, Selleriekohl & Ysop

Bevor es zu den Desserts geht, rollt ein weiterer legendärer Wagen an den Tisch. Das „Steirereck“ ist seit jeher berühmt für seine großartige und umfangreiche Käseauswahl, die sowohl hier als auch ein Stockwerk tiefer in der „Meierei“ perfekt gepflegt wird.

Käsewagen
Käsewagen

Traditionell und außergewöhnlich gleichermaßen geht es beim Dessert meines Mannes weiter. Das Törtchen mit „Linzer Aromen“ nimmt tatsächlich das Thema der Linzer Torte auf, wobei sich in den Boden auch noch Eierschwammerl-Pulver, also von Pfifferlingen, und Salzmarillen-Marmelade hineinmogeln. Sie tun das aber so zurückhaltend, dass sie nicht explizit herauszuschmecken sind. Wesentlich deutlicher präsent sind die Pfifferlinge hingegen im großartigen Eis auf Basis von weißer Schokolade. Ist der Kuchen, dessen zweite Hälfte am Tisch auch noch auf den Verzehr wartet, noch recht brav, ist das Eis für mich ganz und gar großartig. Trotzdem ist der Sättigungsgrad so weit fortgeschritten, dass der restliche Kuchen nicht mehr zu schaffen ist.

Marille mit "Linzer"-Aromen, Eierschwammerl & Sanddorn
Marille mit "Linzer"-Aromen, Eierschwammerl & Sanddorn

Geht man nach den Nummern der Kärtchen, die im „Steirereck“ zu den Gerichten gereicht werden und die auch anderen Restaurants zum Vorbild dienten, um Details der Zubereitung und der Zutaten aufzulisten, war das Marillen-Dessert mit der Laufnummer 1334 ein eher jüngeres Gericht, während ich mich erneut für einen Klassiker von Heinz Reitbauer entscheide.

Mit der Nummer 664 gibt es Mispeln, Veilchen und Frittaten. Letztere sind innen mit Mispeln-Veilchen-Marmelade gefüllt und außen tatsächlich ein wenig knusprig. Die Veilchenblüten sind erfreulich mild und nicht, wie fast von mir befürchtet, zu parfümiert. Das separat auf einem Eisblock servierte Mispelkerneis hat einen nahezu mandelartigen Charakter und gefällt mir sehr gut. Insgesamt ein bildschön arrangiertes und sehr gutes Dessert.

Mispeln, Veilchen & Frittaten
Mispeln, Veilchen & Frittaten
Mispelkerneis
Mispelkerneis

Für die Petits Fours wird es auf dem Tisch noch einmal voll und verspielt. Aufgebaut wird ein kleiner Jahrmarkt, wenn man so will, die süße Version des Praters.

Ob im Riesenrad der Marille-Estragon-Marshmallow, das Schaumröllchen, ein säuerlicher Drop aus Pelargonien, Churros mit Karamellsauce, Zuckerwatte und gebrannten Mandeln oder den Früchten auf Eis – alles macht Spaß und schmeckt lecker. Zusätzlich gibt es noch vom Eiswagen die Wahl zwischen zwei Slushies, die beide willkommene Erfrischungen darstellen.

Petits Fours
Petits Fours

Das „Steirereck“ nimmt in Österreich eine ganz herausragende Rolle ein. Vielen gilt es als das beste Restaurant des Landes und als Juan Amador als erstem Restaurant im Land der dritte Michelin-Stern verliehen wurde, ätzten viele, inklusive eines der namhaftesten lokalen Gastrokritiker über diese Entscheidung, denn sie hätten diese Auszeichnung schon längst Heinz Reitbauer gegönnt.

Seine Verdienste um die Erhaltung von seltenen Gemüse- und Kräutersorten sind unbestritten. Noch bevor es den großen vegetarischen Boom gab, spielte bei ihm Gemüse bereits längst die Hauptrolle und Fisch und Fleisch waren bestenfalls noch gleichwertige Mitspieler in seinen Gerichten.

Sein Wort hat Gewicht, auch in der Politik. Als es um Maßnahmen zur Entlastung der Gastronomie während der Coronakrise ging, saß er mit Kollegen und Branchenvertretern gemeinsam am Tisch mit dem Bundeskanzler und den zuständigen Ministern.

Birgit Reitbauer ist die Verkörperung der charmanten Gastgeberin, René Antrag einer der besten Sommeliers des Landes. Beide waren an diesem Tag offenbar nicht im Haus, was dem reibungslosen und perfekten Ablauf keinen Abbruch tat. Allerdings lief vieles für uns auch etwas sehr routiniert und professionell ab. Dabei geht dann schon mal ein wenig der persönliche Touch verloren, für den es manchmal auch nur einen kleinen Smalltalk bräuchte. Ist nicht tragisch, denn wir kommen ja vor allem wegen des Essens und das war gut, in weiten Teilen sogar sehr gut.

Konnte dieser Lunch also unsere alte Liebe wieder entflammen? Das vielleicht nicht, aber es zündelt schon wieder ein wenig.

Details

Restaurant: Steirereck
Adresse: Am Heumarkt 2a im Stadtpark, 1030 Wien
Öffnungszeiten: Montag bis Freitag: 11.30 bis 14.30 Uhr und ab 18.30 Uhr
Samstag, Sonntag & Feiertag: Ruhetag
Website: www.steirereck.at/

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Kommentare

  1. Gero Kettler am 20. September, 2020 um 12:27 Uhr.

    Alte Liebe kostet doch!

  2. Kolbenschlag, Manfred am 20. September, 2020 um 15:55 Uhr.

    Wo liegt der tatsächliche Unterschied zwischen steirereck.at – Wiener Schnitzel und der Schnitzel-Hall of Fame?

  3. Thomas Westermann am 20. September, 2020 um 16:13 Uhr.

    Vor allem der Geschmack der Panierung macht den Unterschied und die Welligkeit beim Ausbacken. In diesen Punkten hatten wir schon Schnitzel, die uns anderswo mehr überzeugten. Aber noch mal: das Steirereck-Schnitzel war schon sehr gut…

  4. Carsten am 21. September, 2020 um 12:17 Uhr.

    Der Brotwagen……ja, der ist schön!

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