Votum, Hannover

Für Hannovers Gastronomie war der März in diesem Jahr ein besonderer Monat. Zu den zwei Michelinsternen, die das „Jante“ bereits vorher hielt, gesellten sich Sterne für das „Handwerk“ sowie das „Votum“ im Leineschloss dazu. Beide kamen für mich nicht unerwartet, wenngleich ich die Auszeichnung dem „Handwerk“ schon früher gegönnt hätte. Dass aber das „Votum“ nicht mal ein dreiviertel Jahr nach Eröffnung den Stern bekommen würde, war nicht überraschend, hat man mit Benjamin Gallein und Nico Kuckenberg doch das Team angeheuert, das sich schon in der „Ole Deele“ in Burgwedel bis zu dessen Schließung in die Spitze der niedersächsischen Restaurants gekocht hatte.

Auch an neuem Standort, im zentral in der Innenstadt gelegenen Leinschloss direkt unter dem Landtag, knüpfte man nahtlos an die Leistungen an, wie wir bei unserem ersten Besuch konstatieren konnten.

Ein gutes Jahr ist seitdem vergangen und das Konzept des gastroerfahrenen Inhabers, Johannes Lühmann, scheint weiterhin gut aufzugehen. Linkerhand die Gourmetabteilung mit dem „Votum“, rechterhand das „Schorse“ mit kreativ-bürgerlicher Küche sind beide gut besucht, was an diesem prominenten Standort leider nicht immer der Fall war.

Im „Votum“ gibt es weiterhin ein gesetztes Menü in sechs Gängen (155 Euro), das um zwei zusätzliche Gänge upgegradet werden kann. Zum Apéritif gibt es außerdem die Möglichkeit, optional eine Variation rund um Gillardeau-Auster zu ordern, wovon wir auch Gebrauch machen.

Fällt die Version mit Schalotten-Vinaigrette noch recht klassisch aus, spielt das zweite Exemplar mit fermentierter Melone, Champagnergranité und Kaviar gekonnt im Spannungsfeld von fruchtig, salzig und jodig.  Ein alkoholfreier an Bloody Mary angelehnter Shot ergänzt das Trio um eine etwas scharfe Variante, mit der die Geschmackspapillen zusätzlich auf Habacht-Stellung gebracht werden.

Es folgen vier Grüße, mit denen Benjamin Gallein und Nico Kuckenberg deutlich machen, was die Gäste im Laufe des Menüs erwarten können, nämlich kreative Kombinationen, die sich bewusst Schubladendenken entziehen.

Den Anfang macht ein Krapfen mit Tomaten-Knoblauchfüllung mit ungemein zarter Textur, zu dem ein Dip aus schwarzem Knoblauch, geräuchertem Hüttenkäse und Basilikumöl gereicht wird. Alleine genommen wäre mir der Dip zu ölig, aber zum Krapfen passt es auch aromatisch sehr gut.

Bildhübsch präsentiert sich ein Pilzsandwich mit Ziegenjoghurteis, das einen Hauch Fichtenaroma mitbekommen hat. Auch hier überzeugt eine hauchfeine Textur und natürlich das kühl-frische, waldige Aromenspektrum.

Amuse Bouche II
Amuse Bouche II

Mit dem pochierten Ei mit Räucherfisch aus der Wedemark, Forellenkaviar, Gelee und Espuma folgt ein süffiger Crowdpleaser, von dem es durchaus auch die doppelte Größe geben dürfte. Schlichtweg einfach immer köstlich.

Amuse Bouche III
Amuse Bouche III

Den Abschluss der Grüße markiert ein Baiser auf Basis von Kokoswasser mit einem Stück Chicken Teryaki und Matcha, bei dem ebenfalls von den unterschiedlichen Konsistenzen bis zu den kräftigen Aromen alles passt.

Amuse Bouche IV
Amuse Bouche IV

Beim Anblick des ersten Gangs ist mein erster Gedanke zunächst, ob es hier auf dem Teller nicht etwas zu wild zugeht. Schon die Auflistung der Zutaten lässt erahnen, dass hier geschmacklich nicht unbedingt pianissimo gespielt wird. Ungestopfte, sehr schmelzige Entenleber, die von herkömmlicher Foie Gras kaum zu unterscheiden ist, wird eingefasst von einem Gelee mit Aal und Algen. Eingelegte grüne Erdbeeren, Shiso-Eis sowie ein Sud aus Kombucha und Shisoöl lassen hier einiges im Mund passieren. Für ein Lebergericht ist das alles eine ungewöhnliche Einfassung mit leicht asiatischem Hauch, was sich aber in Summe doch erstaunlich gut auflöst und miteinander funktioniert. Sehr gelungen.

Ungestopfte Entenleber / Aal / Shiso / Grüne Erdbeere
Ungestopfte Entenleber / Aal / Shiso / Grüne Erdbeere

Und so unkonventionell geht es weiter. Den gegrillten Lauch kombiniert Gallein mit Kaviar, einer luftigen Austernemulsion und einer Hafermilch-Zitronenverbene-Vinaigrette. Erwartet man hier eher den Lauch im Vordergrund, übernehmen die sehr jodigen und markanten Meeresnoten die Oberhand. Überraschend und gut.

Lauch / Chefs-Kaviar / Austernemulsion / Hafermilch-Zitronenverbene-Vinaigrette
Lauch / Chefs-Kaviar / Austernemulsion / Hafermilch-Zitronenverbene-Vinaigrette

Dass sich Benjamin Gallein, geboren in Magdeburg und seine Ausbildung in Dresden gemacht, gerne in seinen Menüs auch mit den Klassikern der ostdeutschen Küche auseinandersetzt, kennen wir bereits aus „Ole Deele“-Zeiten, wo zum Beispiel das Würzfleisch, die DDR-Version des Ragout Fin, häufiger bei den Grüßen auftauchte.

Hier widmet er sich nun der Soljanka, einer vor allem in Osteuropa verbreiteten Suppe, in der eingelegtes, saures Gemüse eine entscheidende Rolle spielt. Nun habe ich, soweit ich mich erinnern kann, nie eine mehr oder weniger originale Soljanka gegessen, so dass mir die Vergleichsmöglichkeiten fehlen. Diese Version hat natürlich mit dem Label Rouge Lachs einen deutlich luxuriösen Hauptdarsteller, als es in der DDR üblich und möglich war. Eingelegte San Marzano-Tomaten und Gartengurken liefern die säuerlichen Komponenten, aber insgesamt überwiegt hier neben dem herben Ton eine leicht süßliche und vor allem fruchtige Note. Überhaupt erscheint mir die Sauce recht erdbeerlastig. Ob das dem Originalgeschmack nahe kommt, wie Gallein erzählt, kann ich nicht beurteilen, aber es ist auf jeden Fall eine spannende Kombination.

Soljanka / Label Rouge Lachs / Gebeizte San-Marzano / Eingelegte Gartengurke
Soljanka / Label Rouge Lachs / Gebeizte San-Marzano / Eingelegte Gartengurke

Nicht nur mit kräftigen Farben, sondern auch mit ebenso herzhaftem Geschmack punktet die mit geschmortem Lammbauch gefüllte Artischocke. Die kommt leicht paniert und ausgebacken auf einer Paprikasauce mit Petersilienöl. Eine gelungene Überleitung zum Hauptgang.

Gefüllte Artischocke / Petersilie / Paprika / Lamm
Gefüllte Artischocke / Petersilie / Paprika / Lamm

Und mit dem wird es auf einmal überraschend klassisch. An den Tisch rollt der Wagen, auf dem sich die Wachteln befinden, die zuvor am Tisch im Ganzen präsentiert und dann tranchiert werden. Die auf den Punkt gegarte Brust ist mit einer Farce aus Steinpilzen, Gänseleber, Pistazien und Trüffeln umgeben. Letzterer ist zwar kaum merkbar. Aber auch so ist das geschmacklich schon eine Bombe und als Liebhaber solcher Zubereitungsarten bin ich alleine schon vom ausgezeichneten Handwerk begeistert. Das Ganze erfährt mit einer Blaubeer-Pfeffer-Sauce, die mit Gänseleber gebunden ist sowie Blaubeeren, Fichtennadeln und Steinpilzen eine ausgesprochen passende fruchtig-herbe Einfassung. Sehr stark!

Den Übergang zu den Desserts bildet ein Eis von schwarzem Knoblauch mit Korianderöl. Darunter und damit gar nicht auf den ersten Blick zu erkennen, gibt es aber mit gepufftem Reis, Ananas, gebrannter weißer Schokolade und dezent eingesetztem Chili noch eine ganze Reihe weiterer Komponenten. Was damit zunächst nach aromatischem Overkill klingt, erweist sich dann als wesentlich weniger exotisch, als man hätte erwarten mögen. Präsent ist vor allem ein harmonischer Nougattouch und in Summe ist das originell und sehr gut.

Pré-Dessert
Pré-Dessert

Auch im Hauptdessert bricht Nico Kuckenberg mit den Erwartungen, ohne dabei aber den Pfad eines typischen Desserts zu verlassen. Brombeereis und zurückhaltend, aber deutlich erkennbare Rote Bete funktionieren in Kombination bestens. Blumenkohl indes hatte ich bisher noch nicht in einer Nachspeise (oder zumindest kann ich mich nicht daran erinnern). Hier findet sie sich in Form einer Creme in einer Hülle aus weißer Schokolade. Pur gegessen ist der Eigengeschmack deutlich auszumachen, zusammen mit der Schokolade übernimmt diese die Oberhand. Gemüse im Dessert ist ja immer so eine Sache, aber wenn es so geschickt wie hier gemacht wird, mit einer immer noch guten Süße, funktioniert das bestens. Dazu muss man auf jeden Fall auch das bildhübsche Arrangement hervorheben.

Brombeere / Rote Bete / Blumenkohl / Valrhona Opalys 33%
Brombeere / Rote Bete / Blumenkohl / Valrhona Opalys 33%

Das hohe Niveau halten auch die abschließenden Grüße in Form eines geeisten Lollys mit Passionsfrucht sowie eines Windbeutels mit Salzkaramell. Der Michelinstern findet sich dann auch noch mal wieder in Form einer Mousse mit Himbeertee und Petersilienöl.

Petits Fours III
Petits Fours III

All das wird von Jonas Gohlke und Laura Kuckenburg im Service locker, professionell und jederzeit aufmerksam begleitet. Da auch die Köche oft am Tisch präsent sind und ihre Gerichte erklären, findet hier viel Interaktion mit dem Gast statt. Wie so häufig, sind die Details zu den einzelnen Gängen oft so zahlreich, dass man sie sich kaum merken kann. Und falls einem doch eine Einzelheit entfallen ist, kann der Service die Lücke kompetent schließen.

In jedem Fall ist deutlich, dass die Kreativitätsmaschine hier weiter hochtourig läuft. Da ist es fast beruhigend, wenn, wie mit der Wachtel im Hauptgang, eine fast schon klassisch anmutende Zubereitung auf den Tisch kommt. Was die übrigen Gerichte nicht schmälern soll.

Das „Votum“ hat seinen festen Platz in der hannoverschen Spitzengruppe gefunden und es wird spannend sein, die weitere Entwicklung zu beobachten.

Details

Restaurant: Votum
Adresse: Hannah-Arendt-Platz 1, 30159 Hannover
Öffnungszeiten: Dienstag - Samstag: ab 18.30 Uhr
Sonntag + Montag: Ruhetag
Website: www.vo-tum.de/

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Kommentare

  1. Carsten am 2. Januar, 2023 um 15:46 Uhr.

    Man denkt ja gerne an einen Abend in der ole deele zurück. Vielleicht sollte man das hier mal fortsetzen!

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